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Götterdämmerung unter kühner Kuppel -
Der Ring in Breslau ist nun vollständig
Nach dem Ring ist vor dem Ring. Mit der Premiere der Götterdämmerung in der Jahrhunderthalle ist der Wagner-Zyklus in Breslau nun komplett. Und schon bereitet sich die Oper Breslau auf ein Wagnerfestival vor. Im Oktober führt sie den gesamten Ring des Nibelungen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden in dem historischen Bauwerk auf. Die Jahrhunderthalle in Breslau - ein imposantes Gebäude als Spielort für die Götterdämmerung.
Der Einstudierung der Wagnerschen Tetralogie kommt allein schon deshalb eine besondere Bedeutung zu, da es das erste Mal nach 1945 ist, dass der Ring in Breslau vollständig aufgeführt wird. Damit knüpft die Breslauer Oper an eine große Tradition an. Denn schon ab dem 1.9.1882 fand hier - sechs Jahre nach der Bayreuther Uraufführung - der erste Ring als geschlossener Zyklus statt. Diese Verbundenheit der Stadt mit dem Werk setzte sich fort. Ab der Spielzeit 1896/97 war der Wagner-Zyklus stets Bestandteil des Programms. "Viele Jahre lang war es in Breslau üblich, die Spielzeit mit der vollständigen Aufführung des Rings zu beschließen", berichtet Intendantin und Generalmusikdirektorin Ewa Michnik. "Das wieder einzuführen, das ist mein Traum", fügt sie mit glänzenden Augen hinzu. Für die kommende Spielzeit wird der vollständige Ring auf jeden Fall eine spektakuläre Eröffnung geben. Und dann wird nicht nur ein Wagnerfestival zu feiern sein. Auch den außerordentlichen Spielort, die Jahrhunderthalle, gilt es damit noch einmal zu feiern, ist das singuläre Baudenkmal doch gerade von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt worden. Das von Architekt Max Berg entworfene Bauwerk wurde 1912/13 zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht von Leipzig errichtet. Die kühne Stahlbeton-Konstruktion war seinerzeit weltweit die größte ihrer Art. Das gigantische Ausmaß beeindruckt denn auch noch heute: Die Kuppel ist 42 Meter hoch, besitzt einen Innendurchmesser von 65 Metern, die Gesamtfläche des Gebäudes lässt sich auf 13.330 Quadratmeter beziffern. Die Halle verfügt über 6000 Sitzplätze und kann bis zu 20.000 Menschen aufnehmen. Weit entfernt vom Stadtzentrum gelegen, trotzte sie weitgehend unbeschadet zwei Weltkriegen. Hat sich für die Verwirklichung des Breslauer Rings im besonderen Maße eingesetzt: Intendantin und Dirigentin Ewa Michnik.
Auf Initiative der Operndirektorin Ewa Michnik wird die Jahrhunderthalle seit einiger Zeit unter anderem für große Opernevents genutzt. Da lag es nun auch nahe, den Wagnerschen Zyklus an diesem Ort aufzuführen. Auch der Regisseur des Breslauer Rings, Hans-Peter Lehmann, ist begeistert von dem Spielort: "In ihrer räumlichen und gedanklichen Größe hat die Halle ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, wie eben auch der Ring. Wie kein anderer Spielort atmet sie den Geist dieses Jahrhunderts." Und zweifellos ist es ein ganz besonderes Erlebnis dort, unter der riesigen Kuppel, deren Konturen sich im Dunkeln verlieren, zu sitzen und der Musik Wagners zu lauschen. Dabei sitzt man auf hellblauen Hartschalen-Sitzen, ein funktionales Gestänge dient als Geländer am Rande der Sitzblöcke. Diese Ausstattung versprüht einen Sporthallen-Flair und kündet von der Mehrzweck-Nutzung der Halle. Doch das ist gut. Es sorgt für eine spürbare Portion Erdung in dem gigantischen Ausmaß von Raum und Werk. Das traditionsreiche Opernhaus in Breslau ist frisch renoviert und wird 2009 zum Spielort für den Wagner-Zyklus.
Trotz dieser außergewöhnlichen Kulisse, in der das Wagnerfestival im Oktober ebenfalls stattfinden wird, will die Oper Breslau den Ring auch in ihr eigenes Haus holen. Das ist verständlich und auch überaus verlockend. Das Opernhaus ist soeben fertig renoviert worden und strahlt nun wieder im prächtigen Glanz. Die Fassade ist geputzt, das Foyer präsentiert sich elegant in milden Farbtönen. Der Innenraum ist nicht nur mit Goldfarbe und roten Samt neu ausgestattet und komfortabel mit viel verbleibender Beinfreiheit frisch bestuhlt, auch die Bühne erhielt modernste Technik. Für Regisseur Lehmann bietet der Einzug des Rings in das Opernhaus die zweite große Herausforderung des Projektes. Bestand die erste darin, das Werk speziell für die Gegebenheiten in der Jahrhunderthalle umzusetzen und eine freistehende, riesige Bühne von rund 50 Metern Breite zu bespielen, gilt es dann im Anschluss an das Wagnerfestival, die Inszenierung für die Bühne des Opernhauses umzugestalten (Bühnenbreite hier rund 15 Meter). "Es wird keine neue Inszenierung geben, aber es muss eine neue Topographie entstehen", so erklärt er und freut sich auf diese weitere Arbeit in Breslau. Die erste Premiere auf der Bühne des Opernhauses ist für das Jahr 2009 geplant. Nach den erfolgreichen Aufführungen von Rheingold, Walküre und Siegfried, zu denen insgesamt mehr als 30.000 Zuschauer in die Jahrhunderthalle kamen, konnte die Breslauer Oper nun auch mit der Premiere der Götterdämmerung überzeugen und mit einer höchst beachtlichen Gesamtleistung aufwarten, die vom Publikum wie schon bei den vorangegangen Teilen der Tetralogie enthusiastisch gefeiert wurde. Götterdämmerung in der Jahrhunderthalle: Chor und Solisten auf großer Bühne.
Regisseur Lehmann setzt die Inszenierung der Tetralogie ganz bewusst in eingängiger, erklärender Bildsprache um und hält sich mit einer bestimmten Ausdeutung und aktuellen Bezügen zurück. Denn, so erinnert er, "ein Großteil des Breslauer Publikums erlebt den Zyklus sicherlich zum ersten Mal auf der Bühne." So sieht er sich vor allem als Mittler dieses Werkes. Ohnehin fordert die Produktion ihren Tribut durch die besonderen Raum-Gegebenheiten. Muss die große Bühne doch ohne Bühnenapparat und Schnürboden ausgestattet und bespielt werden und die Szenerie auch aus der Ferne noch gut zu erfassen sein. Auch der Eventcharakter der Veranstaltung muss bedacht und integriert werden. Die Bühne säumen an beiden Seiten großflächige Leinwände, auf denen die Solisten in Nahaufnahme gezeigt werden. Die Leistung der Regiearbeit besteht vor allem darin, diese Komponenten geschickt und wirkungsvoll zusammenzubringen. Lehmann verwendet gemeinsam mit Bühnenbildner Waldemar Zawodzinski mehrere hohe Metall-Pfeiler, die nach oben hin spitz zusammenlaufen. Sie lassen sich drehen und variabel für verschiedene angedeutete Räumlichkeiten einsetzen. Den Bühnen-Hintergrund bildet ein großer Leinwand-Bogen, der über weite Strecken als Projektionsfläche dient. Dort erscheinen Bilder von übergrün leuchtender Landschaft am Rhein, ein anderes Mal sind auch Schnellstraßen neben dem bedeutungsvollen Strom zu sehen und künden dann doch von moderner Zeit. Ein anders Bild zeigt hoch emporragende Bürohaus-Architektur, fast verklärend im Abendlicht. So verweist Lehmann auf die Aktualität des Werkes, ohne weiter festzulegen und bietet somit die angekündigte Zurückhaltung. Doch die weitgehend als zeitlos konzipierten Kostüme von Malgorzata Sloniowska mit hohem Rüschen-Faktor bei den Damen und zünftiger Lederweste bei Siegfried lassen ebenso wie die überwiegend altbackenen Operngesten und die monumentale Personenführung unnötig Pathos entweichen. Die Chordamen dienen in adretten Ballkleidern brav aufgereiht vor allem zum Blumenhalten. Hier hätte durchaus mehr frischer Wind in das Spiel auf der Bühne hineinkommen können, ohne dass die Verständlichkeit gelitten hätte. Was im Blick auf die Bühne nur selten zu sehen ist, was stereotype Operngesten eben nicht hergeben, bleibt dennoch nicht verborgen. Denn die Großleinwände an beiden Seiten bieten mit ihren Nahaufnahmen des Bühnengeschehens ein Blick in die Gesichter der Solisten. Hier wird doch noch erstaunlich viel von dem spannungsreichen Beziehungsgeflecht der Protagonisten eingefangen. Die Leinwände werden zudem auch für die Einblendung der polnischen Übersetzung genutzt, die eigens für diese Produktion angefertigt wurde. Dem deutschsprachigen Besucher erinnern die Übertitel dabei auch immer wieder daran, dass fast alle Sänger in einer ihnen fremden Sprache singen. Respekt gebührt zweifellos für die gute Diktion der Sänger. Noch verbunden auf den Stufen, die den Felsen andeuten: Leonid Zakhozhaev als Siegfried und Nadine Secunde als Brünnhilde.
Die Breslauer Produktion hat ein anspruchsvolles Ensemble zu bieten. Freilich ist es um einige Wagner-erfahrene Gäste verstärkt worden, aber eine beachtliche Zahl an Solisten kommt auch aus dem eigenem Hause und bestimmt das Geschehen auf der Bühne entscheidend mit. Für die erste Premiere konnte Leonid Zakhozhaev vom Mariinsky Theater in St. Petersburg gewonnen werden. Zakhozhaev verfügt über viel Erfahrung in der Partie. Mit jugendlicher Strahlkraft gestaltet er den Siegfried und bietet dabei starke Bühnenpräsenz. Spürbar dabei auch eine leichte Unruhe beim Auftritt, die stets an der Oberfläche flackert. Doch passt dies verblüffend gut zur Rolle. Eine ebenbürtige Partnerin ist ihm Nadine Secunde als Brünnhilde, die mit sicher geführter Stimme überzeugt und mitunter durchaus den Ruhepol gegenüber Siegfried bildet. Das Sängerpaar musiziert gemeinsam stets auf hohem Niveau, und dennoch scheint es, als könne es innerlich nicht ganz zusammenfinden. Der Bruch der beiden Liebenden scheint da von verblüffender Logik. Ein glänzendes Paar vor glänzendem Gold: Boguslaw Szynalski als Gunther und Ewa Vesin als Gutrune. Hagen (Pawel Isdebski) bleibt den Geschwistern fern.
Um so inniger miteinander klingen Boguslaw Szynalski als Gunther und Ewa Vesin als Gutrune. Szynalski bietet eine kraftvolle, ausdrucksstarke stimmliche Gestaltung und verkörpert seine Partie mit außerordentlicher Präsenz, gegen die Pawel Isdebski als Hagen deutlich zurücktritt. Dieser erweist sich nicht als treibende finstere Kraft, die er hier sein soll, dafür tönt er nicht zupackend genug. Er vermag die Szene nicht zu führen. Die hat hingegen dieser herausragende Gunther im Griff und umschwärmt dabei deutlich seine Schwester. Gutrune wird von Ewa Vesin aus dem Breslauer Ensemble vortrefflich ausgeführt. Vesin entwickelt feinen Stimmklang, in den sie nuancierte wehmütige Färbung zu legen weiß. Auch die Nebenrollen konnten gut besetzt werden. Aufhorchen lässt Beata Libera-Orkowska als Waltraute (als Gast aus Warschau), den Alberich gestaltet Maciej Krzystztyniak von der Breslauer Oper. Gut zusammen klingen die aus dem Breslauer Ensemble besetzten Nornen und Rheintöchter, ebenso wie der Chor. In der gigantisch großen Halle ist freilich eine Verstärkung für Sänger und Orchester erforderlich. Leider ist diese bei weitem nicht auf dem hohen Niveau der Musiker. Die Tontechnik erweist sich nicht nur als äußerst undifferenziert, sondern zudem auch noch als störanfällig. Das ist ärgerlich. Doch glücklicherweise lassen sich die Musiker davon kaum beeinträchtigen. Das Orchester formiert sich auch unter den unvorteilhaften akustischen Bedingungen als tragfähiger Klangkörper, gestaltet unter der umsichtigen Leitung von Dirigentin Michnik farbreiche Spannungsbögen und stimmt gut mit den Sängern zusammen. Das Publikum, das gebannt die Aufführung verfolgt, feiert schließlich zu recht mit großem Jubel das Produktionsteam und alle Musiker für die außerordentliche Gesamtleistung. Dieser gelungene Abschluss der Tetralogie darf wohl als beste Einladung für das Wagnerfestival im Oktober gelten. Denn nach dem Ring ist vor dem Ring. Die Termine des Wagnerfestivals in der Jahrhunderthalle in Breslau im Oktober 2006:
06.10. Das Rheingold
Weitere Informationen und Tickets erhalten Sie von der
Oper Breslau
Lesen Sie weiter im OMM zu Ewa Michnik,
Weitere Informationen:
zur Stadt Breslau:
zur Jahrhunderthalle:
Webseite der Unesco zur Breslauer Jahrhunderthalle: |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Regie
Regieassistenz
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Sprachberatung, Übersetzung
Orchester der Oper Breslau Solisten*Abweichende Besetzung der2. Premiere am 24.6. Siegfried Leonid Zakhozhaev *Peter Svenson
Brünnhilde
*Lada Biriucov
Hagen
Gunther
*Stefan Stoll
Gutrune
Alberich
Waltraute
1. Norne
2. Norne
*Aleksandra Lemiszka
3. Norne
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
Die Termine des
06.10.: Das Rheingold
Weitere Informationen |
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E-Mail: oper@omm.de