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La Clemenza di Tito
Opera seria in zwei Akten
Dichtung nach Metastasio von Caterino Mazzolà
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf am 4. Februar 2006



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Deutsche Oper am Rhein
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Seelische Verwüstungen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub

Unter den großen Opern Mozarts nimmt La Clemenza di Tito eine Sonderstellung ein. Das Werk scheint nicht in die Entwicklung des Komponisten zu passen, der nach dem Idomeneo von 1781 keinen Stoff der – zu dieser Zeit bereits „altmodischen - opera seria vertont hat und ausgerechnet in seiner letzten Oper auf ein bereits 1734 entstandenes Libretto zurück greift. Nach der Hochzeit des Figaro und dem Don Giovanni stellt das in vieler Hinsicht einen kaum verständlichen Rückschritt dar. Zwar hat Mozart das Libretto des legendären Hoflibrettisten Metastasio von Caterino Mazzolá gemäß seinen eigenen musikdramatischen Vorstellungen über- und umarbeiten lassen, die Diskrepanz zu den ungleich lebendigeren, im Verhältnis von Musik und Text weitaus flexibleren vorangegangenen Opern bleibt unüberhörbar.

Vergrößerung

Streng choreographierte Hierarchie: Titus (Corby Welch) entscheidet liegend über das Ansinnen des Annius (Katarzyna Kuncio, r.); Publius (Sami Luttinen) hält sich im Hintergrund bereit

Der Dirigent der Düsseldorfer Neuinszenierung, Andreas Stoehr, spricht in einem Beitrag für das Programmheft in diesem Zusammenhang von „Vorurteile“, die es (auch für ihn selbst) „abzutragen“ gilt. Die Versuche, den Titus argumentativ zu retten, blenden dabei das offensichtlich Unbefriedigende fast durchweg aus. Gemessen an dem, was Mozart zuvor (und zeitgleich in der Zauberflöte) geschaffen hat, lässt der Titus vergleichsweise kalt (selbst wenn das alte Seria-Schema an allen Ecken und Enden durchbrochen wird). Nachdem im Figaro der Graf mit großer Geste um Absolution bittet (und die Musik die Utopie einer egalitären Gesellschaft über soziale Schranken hinweg aufleuchten lässt), mutet die herrscherliche Milde des Titus, die im formal strengen Rahmen von da-capo-Arien verhandelt wird, recht befremdlich an, und das ist mit „Vorurteilen“ gegen das Stück nun kaum zu erklären. Sinnvoller scheint es, die Oper nicht im Kontext der vorangegangenen zu betrachten, sondern isoliert, und ihre offensichtlichen Schwierigkeiten aufzugreifen, anstatt sie vordergründig wegzudiskutieren. Bewähren muss sich der Titus letztendlich auf der Bühne.

Vergrößerung Blutige Hände nach dem gescheiterten Attentat auf den Freund: Sextus (Annette Seiltgen) mit Schuldgefühlen

Regisseur Christoph Nel setzt sich in seiner Inszenierung konkret mit den genannten Schwierigkeiten des sperrigen Werks auseinander. Er zeigt die formelhafte, statische Struktur des Werks ebenso wie die Aktualität, die darin verbirgt. Nel schält die Zeitlosigkeit des Grundkonflikts aus der historisierenden Fassade heraus, was schon an den Kostümen von Ilse Weiter deutlich wird. Überwiegend weiß gehalten (wie auch der abstrakte, auf geometrische Strukturen reduzierte Bühnenraum von Roland Aeschlimann) verleihen sie den Figuren etwas Schablonenhaftes und bilden den Hintergrund, vor dem sich die Individualisierung durch die Musik entwickeln kann. Altrömische Elemente werden mit modernen Kleidungsstücken verbunden, je nach Person mehr zur einen oder zur anderen Sphäre tendierend. Ein Historiendrama hat Nel nie im Sinn gehabt, aber auch keine Übertragung in eine andere Zeit. Vielmehr scheinen sich die Figuren wie aus einem marmornen Denkmal heraus zu verlebendigen.

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Seelische Eiszeit, im Bühnenbild konkret greifbar: Sextus (Annette Seiltgen, vorne) verstört, Annius (Katarzyna Kuncio. l.) und Servilia (Anke Krabbe) im Zwiegespräch

Enttäuschter Ehrgeiz, die Zerrissenheit zwischen Liebe und Verbundenheit mit dem Freund, Vertrauen und der Zwang zum Täuschen – die Triebmechanismen des Titus lassen sich mühelos in jede einigermaßen komplexe heutige Beziehung übertragen. Nels Ansatz zeigt das unmittelbar. Er erfordert vom Publikum die Bereitschaft, sich auf die (auch ästhetisch) strenge Reduktion einzulassen – Unterhaltungstheater ist es nicht gerade, was man in Düsseldorf geboten bekommt, und der Volkstheateraspekt der parallel zum Titus entstandenen Zauberflöte ist denkbar weit. Nel beschränkt sich auf wenige, konzentrierte Aktionen und Symbole, die den Abend aber tatsächlich tragen – vor allem deshalb, weil ihm ein schauspielerisch wie musikalisch exzellentes Ensemble zur Verfügung steht. Wenn man von einer „Rettung“ des Titus sprechen will, dann geschieht sie hier aus dem Geist der Musik und nicht durch einen inszenatorischen Überbau.

Im Zentrum steht der Sextus, den Annette Seiltgen mit höchster Intensität gestaltet. Klare, hochkonzentriert und mit Nachdruck ausgesungene Koloraturen auf der einen, aufblühende lyrische Phrasen auf der anderen Seite kennzeichnen einen an der Grenze der Leidensfähigkeit zerissenen Charakter. Sicher hört man der Sängerin die enormen Anstrengungen an, aber auch dieses gehören zu einem enorm geschärften Rollenprofil, das keine Schonung duldet. Die größere Stimme hat Nataliya Kovalova als Vitellia, was musikdramaturgisch auch sinnvoll ist. Sie setzt mit Furor die dramatischen Akzente, ohne den Boden eines immer schönen und sauberen Mozart-Tones zu verlassen. Den Kontrast dazu setzt das zweite, lyrische Paar, mit leichteren, wenn man so will: kindlicheren Stimmen besetzt: Anke Krabbe (Servilia) und Katarzyna Kuncio (Annius) setzen wunderschöne, glockenreine Ruhepunkte.

Vergrößerung Das erwünsche Hochzeitskleid ist auch eine Art Zwangsjacke: Vitellia (Nataliya Kovalova)

Nicht ganz dieses Niveau erreichen die Herren. Corby Welch (Titus) hat eine leicht baritonal timbrierten Tenor mit sicherer, dabei weich ansprechender Höhe (eine Spur heldischer könnte es für die Rolle allerdings sein), erlaubt sich aber manche Ungenauigkeiten, wodurch die Interpretation trotz großer Momente an Kontur verliert. Auch der Publius von Sami Luttinen hat, obwohl schön und sonor gesungen, etwas Diffuses und klingt etwas zu pauschal. Bei allen Einwänden: Ein in sich stimmiges Mozart-Ensemble auf diesem Niveau (der glänzende Chor passt sich bestens ein) hört man nicht allzu oft.

Dirigent Andreas Stoehr, 1. Kapellmeister der Rheinoper, arbeitet seit einigen Jahren mit dem Orchester an einer dem originalen Klangbild angenäherten Aufführungspraxis – zuletzt in Scarlattis Telemaco mit beträchtlichem Erfolg. Der Eindruck bei diesem Titus ist zweischneidig. Auf der einen Seite steht der klare, „unromantische“ Streicherklang, der gut mit Blechbläsern und Pauke korrespondiert. Im Zusammenklang überzeugt insbesondere der „imperiale“ Gestus dieser Kaiseroper. Auf der anderen Seite klingen die Holzbläser recht neutral, wirken selbst da, wo sie solistisch oder gar konzertierend eingesetzt werden, übermäßig diszipliniert – so verschenkt Stoehr die intimen (und vielleicht schönsten) Momente der Partitur. Bei den Tempi orientiert sich Stoehr an klassischem Ebenmaß; um einen „Sturm-und-Drang-Aspekt“, von dem er im Programmheft spricht, hörbar zu machen, müsste er mit mehr Mut auch einmal die Extreme suchen. So wirkt der instrumentale Part insgesamt recht statisch und fast zu sehr den Sängern untergeordnet.

Vergrößerung

Finale Milde: Auf Stelzen vekündet Titus (Corby Welch, l.) das glückliche Ende, das kaum jemandem hilft.

„Muss ein Mensch, der ständig auf Stelzen läuft, nicht dauernd auf die neidisch sein, die beim Laufen ihre eigenen Beine gebrauchen?“ Dieses Zitat (dem Programmheft entnommen) ist im Schlussbild ganz wörtlich umgesetzt. Selbstverliebt in die eigene Milde stolziert Titus auf goldenen Stelzen umher (wie überhaupt das Schuhwerk viel von der „Bodenhaftung“ der Charaktere erzählt). An das glückliche Ende glaubt das Regieteam nicht, dazu hat es zuvor zu viele seelische Verletzungen gegeben. Natürlich ist es klischeehaft, mit Brecht zu sprechen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen, aber es trifft viel vom Kern dieser Aufführung, die den Titus nicht neu erfindet oder erklärt, die sich aber auf sehr offene – und sehr engagierte – Art mit ihm auseinander setzt.


FAZIT

Große Ensembleleistung in strengem Gewand – kein „leichter“ Mozart, aber ein gewichtiger Beitrag zum Mozartjahr.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Stoehr

Inszenierung
Christof Nel

Bühne
Roland Aeschlimann

Kostüme
Ilse Welter

Licht
Volker Weinhart

Chor
Gerhard Michalski

Szenische Analyse
Martina Jochem

Dramaturgie
Steffi Turre



Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Mitglieder des Chores der
Deutschen Oper am Rhein

Die Düsseldorfer Symphoniker
Andreas Stoehr, Cembalo


Solisten

Tito
Corby Welch

Vitellia
Nataliya Kovalova

Servilia
Anke Krabbe

Sexto
Annette Seiltgen

Annio
Katarzyna Kuncio

Publio
Sami Luttinen

Lentulo
James Thompson

Berenice
Carole Schmitt








Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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