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Seelische Verwüstungen
Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub Unter den großen Opern Mozarts nimmt La Clemenza di Tito eine Sonderstellung ein. Das Werk scheint nicht in die Entwicklung des Komponisten zu passen, der nach dem Idomeneo von 1781 keinen Stoff der zu dieser Zeit bereits altmodischen - opera seria vertont hat und ausgerechnet in seiner letzten Oper auf ein bereits 1734 entstandenes Libretto zurück greift. Nach der Hochzeit des Figaro und dem Don Giovanni stellt das in vieler Hinsicht einen kaum verständlichen Rückschritt dar. Zwar hat Mozart das Libretto des legendären Hoflibrettisten Metastasio von Caterino Mazzolá gemäß seinen eigenen musikdramatischen Vorstellungen über- und umarbeiten lassen, die Diskrepanz zu den ungleich lebendigeren, im Verhältnis von Musik und Text weitaus flexibleren vorangegangenen Opern bleibt unüberhörbar. Streng choreographierte Hierarchie: Titus (Corby Welch) entscheidet liegend über das Ansinnen des Annius (Katarzyna Kuncio, r.); Publius (Sami Luttinen) hält sich im Hintergrund bereit Der Dirigent der Düsseldorfer Neuinszenierung, Andreas Stoehr, spricht in einem Beitrag für das Programmheft in diesem Zusammenhang von Vorurteile, die es (auch für ihn selbst) abzutragen gilt. Die Versuche, den Titus argumentativ zu retten, blenden dabei das offensichtlich Unbefriedigende fast durchweg aus. Gemessen an dem, was Mozart zuvor (und zeitgleich in der Zauberflöte) geschaffen hat, lässt der Titus vergleichsweise kalt (selbst wenn das alte Seria-Schema an allen Ecken und Enden durchbrochen wird). Nachdem im Figaro der Graf mit großer Geste um Absolution bittet (und die Musik die Utopie einer egalitären Gesellschaft über soziale Schranken hinweg aufleuchten lässt), mutet die herrscherliche Milde des Titus, die im formal strengen Rahmen von da-capo-Arien verhandelt wird, recht befremdlich an, und das ist mit Vorurteilen gegen das Stück nun kaum zu erklären. Sinnvoller scheint es, die Oper nicht im Kontext der vorangegangenen zu betrachten, sondern isoliert, und ihre offensichtlichen Schwierigkeiten aufzugreifen, anstatt sie vordergründig wegzudiskutieren. Bewähren muss sich der Titus letztendlich auf der Bühne. Blutige Hände nach dem gescheiterten Attentat auf den Freund: Sextus (Annette Seiltgen) mit SchuldgefühlenRegisseur Christoph Nel setzt sich in seiner Inszenierung konkret mit den genannten Schwierigkeiten des sperrigen Werks auseinander. Er zeigt die formelhafte, statische Struktur des Werks ebenso wie die Aktualität, die darin verbirgt. Nel schält die Zeitlosigkeit des Grundkonflikts aus der historisierenden Fassade heraus, was schon an den Kostümen von Ilse Weiter deutlich wird. Überwiegend weiß gehalten (wie auch der abstrakte, auf geometrische Strukturen reduzierte Bühnenraum von Roland Aeschlimann) verleihen sie den Figuren etwas Schablonenhaftes und bilden den Hintergrund, vor dem sich die Individualisierung durch die Musik entwickeln kann. Altrömische Elemente werden mit modernen Kleidungsstücken verbunden, je nach Person mehr zur einen oder zur anderen Sphäre tendierend. Ein Historiendrama hat Nel nie im Sinn gehabt, aber auch keine Übertragung in eine andere Zeit. Vielmehr scheinen sich die Figuren wie aus einem marmornen Denkmal heraus zu verlebendigen. Seelische Eiszeit, im Bühnenbild konkret greifbar: Sextus (Annette Seiltgen, vorne) verstört, Annius (Katarzyna Kuncio. l.) und Servilia (Anke Krabbe) im Zwiegespräch Enttäuschter Ehrgeiz, die Zerrissenheit zwischen Liebe und Verbundenheit mit dem Freund, Vertrauen und der Zwang zum Täuschen die Triebmechanismen des Titus lassen sich mühelos in jede einigermaßen komplexe heutige Beziehung übertragen. Nels Ansatz zeigt das unmittelbar. Er erfordert vom Publikum die Bereitschaft, sich auf die (auch ästhetisch) strenge Reduktion einzulassen Unterhaltungstheater ist es nicht gerade, was man in Düsseldorf geboten bekommt, und der Volkstheateraspekt der parallel zum Titus entstandenen Zauberflöte ist denkbar weit. Nel beschränkt sich auf wenige, konzentrierte Aktionen und Symbole, die den Abend aber tatsächlich tragen vor allem deshalb, weil ihm ein schauspielerisch wie musikalisch exzellentes Ensemble zur Verfügung steht. Wenn man von einer Rettung des Titus sprechen will, dann geschieht sie hier aus dem Geist der Musik und nicht durch einen inszenatorischen Überbau. Im Zentrum steht der Sextus, den Annette Seiltgen mit höchster Intensität gestaltet. Klare, hochkonzentriert und mit Nachdruck ausgesungene Koloraturen auf der einen, aufblühende lyrische Phrasen auf der anderen Seite kennzeichnen einen an der Grenze der Leidensfähigkeit zerissenen Charakter. Sicher hört man der Sängerin die enormen Anstrengungen an, aber auch dieses gehören zu einem enorm geschärften Rollenprofil, das keine Schonung duldet. Die größere Stimme hat Nataliya Kovalova als Vitellia, was musikdramaturgisch auch sinnvoll ist. Sie setzt mit Furor die dramatischen Akzente, ohne den Boden eines immer schönen und sauberen Mozart-Tones zu verlassen. Den Kontrast dazu setzt das zweite, lyrische Paar, mit leichteren, wenn man so will: kindlicheren Stimmen besetzt: Anke Krabbe (Servilia) und Katarzyna Kuncio (Annius) setzen wunderschöne, glockenreine Ruhepunkte. Das erwünsche Hochzeitskleid ist auch eine Art Zwangsjacke: Vitellia (Nataliya Kovalova)
Nicht ganz dieses Niveau erreichen die Herren. Corby Welch (Titus) hat eine leicht baritonal timbrierten Tenor mit sicherer, dabei weich ansprechender Höhe (eine Spur heldischer könnte es für die Rolle allerdings sein), erlaubt sich aber manche Ungenauigkeiten, wodurch die Interpretation trotz großer Momente an Kontur verliert. Auch der Publius von Sami Luttinen hat, obwohl schön und sonor gesungen, etwas Diffuses und klingt etwas zu pauschal. Bei allen Einwänden: Ein in sich stimmiges Mozart-Ensemble auf diesem Niveau (der glänzende Chor passt sich bestens ein) hört man nicht allzu oft. Dirigent Andreas Stoehr, 1. Kapellmeister der Rheinoper, arbeitet seit einigen Jahren mit dem Orchester an einer dem originalen Klangbild angenäherten Aufführungspraxis zuletzt in Scarlattis Telemaco mit beträchtlichem Erfolg. Der Eindruck bei diesem Titus ist zweischneidig. Auf der einen Seite steht der klare, unromantische Streicherklang, der gut mit Blechbläsern und Pauke korrespondiert. Im Zusammenklang überzeugt insbesondere der imperiale Gestus dieser Kaiseroper. Auf der anderen Seite klingen die Holzbläser recht neutral, wirken selbst da, wo sie solistisch oder gar konzertierend eingesetzt werden, übermäßig diszipliniert so verschenkt Stoehr die intimen (und vielleicht schönsten) Momente der Partitur. Bei den Tempi orientiert sich Stoehr an klassischem Ebenmaß; um einen Sturm-und-Drang-Aspekt, von dem er im Programmheft spricht, hörbar zu machen, müsste er mit mehr Mut auch einmal die Extreme suchen. So wirkt der instrumentale Part insgesamt recht statisch und fast zu sehr den Sängern untergeordnet. Finale Milde: Auf Stelzen vekündet Titus (Corby Welch, l.) das glückliche Ende, das kaum jemandem hilft. Muss ein Mensch, der ständig auf Stelzen läuft, nicht dauernd auf die neidisch sein, die beim Laufen ihre eigenen Beine gebrauchen? Dieses Zitat (dem Programmheft entnommen) ist im Schlussbild ganz wörtlich umgesetzt. Selbstverliebt in die eigene Milde stolziert Titus auf goldenen Stelzen umher (wie überhaupt das Schuhwerk viel von der Bodenhaftung der Charaktere erzählt). An das glückliche Ende glaubt das Regieteam nicht, dazu hat es zuvor zu viele seelische Verletzungen gegeben. Natürlich ist es klischeehaft, mit Brecht zu sprechen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen, aber es trifft viel vom Kern dieser Aufführung, die den Titus nicht neu erfindet oder erklärt, die sich aber auf sehr offene und sehr engagierte Art mit ihm auseinander setzt.
Große Ensembleleistung in strengem Gewand kein leichter Mozart, aber ein gewichtiger Beitrag zum Mozartjahr. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Szenische Analyse
Dramaturgie
SolistenTitoCorby Welch
Vitellia
Servilia
Sexto
Annio
Publio
Lentulo
Berenice
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