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Musiktheater
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Einstein

Oper in drei Akten Prolog, zwei Intermezzi und Epilog
Text von Karl Mickel
Musik von Paul Dessau

Premiere am 8. April 2006 im Theater Dortmund

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)


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Theater Dortmund
(Homepage)
Der Tod ist ein Hanswurst aus Deutschland

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

An das Musiktheater seiner Gegenwart hat Paul Dessau eine klare Forderung gestellt: „Für völlige Verständlichkeit des Wortes ist zu sorgen.” Nicht durch die Musik transportierte, wenig greifbare „Stimmungsmalerei”, sondern die (außermusikalische) Botschaft steht im Vordergrund. Eine extrem reduzierte Instrumentation und „Auf-den-Sinn-Singen” statt „Kehlkopfakrobatik” (Originalzitate Paul Dessau) gewährleisten bei Einstein eine in diesem Sinne klare, aber dementsprechend textlastige Struktur. Seit 1955 hat sich Dessau mit dem Gedanken an eine Oper über den großen Physiker getragen; während des Kalten Krieges und dem atomaren Aufrüsten in Ost und West interessierte den aus dem amerikanischen Exil nach (Ost-)Berlin zurückgekehrten Komponisten und überzeugten Kommunisten weniger die Biographie als vielmehr die Frage nach der moralischen Verantwortung des Wissenschaftlers. So wird Einstein hier zur Ikone des Atomzeitalters stilisiert und verliert fast alle individuellen Züge – ihm zur Seite agieren zwei Physiker, die im Gegensatz von jung und alt und von politisch engagiert und opportunistisch angepasst das Dilemma Einsteins symbolisch auf der Bühne verkörpern. Die gedankliche Nähe zu Brechts Drama Leben des Galilei ist unverkennbar, allerdings verzichtet Dessau in Einstein auf den inhaltlichen Diskurs um die Rolle des Wissenschaftlers. Allein mit den Anforderungen eines Opernlibrettos, das gezwungenermaßen konzentrieren und verknappen muss, ist das nicht zu erklären. Vielmehr muss Dessaus einzelne Stationen im Leben des Physikers pointierendes Konzept als programmatische Idee verstanden werden.

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Die Lage ist bekanntlich hoffnungslos, aber nicht ernst: Hans Wurst (Björn Arvidsson) und Krokodil (Maria Hilmes)

Die konkrete Ausarbeitung des Einstein-Plans mit einem Libretto von Karl Mickel (1935 - 2000), das teilweise auf Dessaus Textentwürfen basiert, erfolgte erst Anfang der 70er Jahre; 1974 wurde die das Werk an der Ostberliner Staatsoper uraufgeführt. Inzwischen schwebte auch Dürrenmatts Verdikt „ein Gedanke, der einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden” (Die Physiker, 1962) über der Thematik. Zwischen diesen Polen entwickeln Dessau und Mickel einen holzschnittartigen Bilderbogen, der die Problematik plakativ vereinfacht, sodass sie sich widerspruchsfrei goutieren lässt: Mit bösen Nazis, anders bösen Amerikanern, einer dümmlichen (west-)deutschen Friedensbewegung und natürlich dem Schrecken über die atomare Katastrophe, dem sich ohnehin niemand entziehen kann, ist der Verzicht auf Reibungspunkte weitgehend gesichert. Wohl nicht zufällig wurde Dessau im Uraufführungsjahr 1974 der „Nationalpreis der DDR 1.Klasse” verliehen.

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Figuren aus dem Setykasten der deutschen Geschichte: Einstein (Oscar Hillebrandt, 2.v.l.)

Inhaltlich-thematisch ist Einstein eben der genannten Vereinfachung wegen in erster Linie von musealem Interesse an der verblichenen Gegenwartskunst der DDR (entsprechende Beispiele ließen sich für die „Westkunst” freilich genauso finden). Auch die sprachliche Struktur des Librettos, das etliche Zitate der Weltliteratur und der Bibel in plakativ banalem Kontext verwendet, hat einen pubertären Beigeschmack. Schon eher interessant ist die formale Brechung: Die Einstein-Handlung wird im Prolog und Epilopg sowie in zwei Intermezzi von einem Kasperle-Spiel durchbrochen. Das Welttheater erscheint somit unter der Perspektive der Kasperle-Figur „Hans Wurst”, was die nötige Distanz schafft. Musikalisch ist dieser Buffo-Rahmen üppiger behandelt als die eigentliche Handlung, sowohl von der Instrumentierung als auch von Harmonik und Melodik. Ernst zu nehmen ist diese Welt nicht, scheint Dessau musikalisch zu sagen.

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Der "Führror" (Paul Lyon) schwebt herein

Analog zum Text verwendet auch die Musik immer wieder Zitate; vor allem Bach klingt oft an. Zu einer Bachschen Toccata wird Einsteins Wohnung von der SA zerstört – der Tod ist eben auch musikalisch ein Meister aus Deutschland. Diese collagenhafte Technik hat etwas Akademisches, wobei offen bleibt, ob Dessau sich in diese Tradition einreiht oder sich musikalisch davon distanziert – beides lässt sich da hinenininterpretieren. Tatsächlich finden sich hier noch am ehesten Spannungsmomente, die den Besuch der Aufführung lohnen.

Vergrößerung in neuem Fenster Der junge Physiker (Jeff Martin) zwischen fiesen amerikanischen Polizisten

Dirigent Dirk Kaftan und die gut disponierten Dortmunder Philharmoniker bleiben musikalisch jedenfalls nichts schuldig und heben die verschiedenen Sphären plastisch hervor – klar und trocken in den schlagwerk- und blechlastigen Einstein-Passagen, buffonesk verspielt bei Krokodil und Hanswurst. Oscar Hillebrandt ist ein souveräner Einstein mit gut verständlicher Deklamation bei sonorem Gesang. Jeff Martin überzeugt als junger Physiker mit markantem Tenor, Vidar Gunnarssons alter Physiker bleibt allzu unbestimmt und konturlos. Maria Hilmes jugendlich leuchtender Sopran macht das Krokodil der Rahmenhandlung zum Ereignis, Björn Arvidssons greller Charaktertenor passt gut zur Figur des Hans Wurst. Die Textverständlichkeit ist jederzeit gewährleistet. Per Übertitel wird zu jeder der Mini-Szenen eine kurze Inhaltsangabe eingeblendet – wohl mehr als Post-Brechtscher Verfremdungseffekt denn als Verständigungshilfe benötigt.

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Was als Resignation bleibt mir angesichts einer solchen Oper, scheint Einstein (Oscar Hillebrandt) zu denken.

Die Inszenierung von Gregor Horres bleibt ziemlich nah am Libretto (und verstärkt dieses noch unnötig, wenn der „Büttel” der Rahmenhandlung als bundesrepublikanischer Polizist dargestellt wird – das unterstreicht den musealen Charakter eher noch). Wie in einem riesigen Setzkasten erscheinen die Figuren, und dieses Bühnenbildmodell (Ausstattung: Kirsten Dephoff) erweist sich als ausgesprochen variabel, weil es nationalsozialistische Protzarchitektur ebenso andeutet wie die Bürogebäude der Nachkriegsbürokratien. Bei der Explosion der Atombombe fallen alle Leute um – ähnlichen Schrecken hat dereinst der Atomkraftwerk-Bausatz in Loriots Familie Hoppenstedt hervorgerufen. Die Bravi-Rufe, die sich in den verhalten freundlichen Premierenbeifall mischten, wirkten angesichts solcher Harmlosigkeiten wie Botschaften aus einer längst vergangenen Zeit.

FAZIT

So war die 70er-Jahre-Kunst: Dortmunder Ostalgie-Retro-Abend.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Dirk Kaftan

Inszenierung
Gregor Horres

Bühne und Kostüme
Kirsten Dephoff

Choreinstudierung:
Granville Walker

Dramaturgie:
Sylvia Roth


Statisterie des Theater Dortmund

Chor des Theater Dortmund

Philharmonisches Orchester
Dortmund


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Einstein
Oscar Hillebrandt

Junger Physiker
Jeff Martin

Alter Physiker
Vidar Gunnarsson

dünne Frau /
Jungfer 1/
Arbeiterin 1
Heike Susanne Daum

dicke Frau /
Arbeiterin 4
Maria Hiefinger

junger Mann /
Techniker 1
Tansel Akzeybek

SA-Mann 1 /
Techniker 3 /
Senator 2
Christian Pienaar

SA-Mann 2
Johannes Knecht

SA-Mann 3
Ramaz Chikviladze

Nasenlose /
die Schwarze/
Arbeiterin 2
Franziska Rabl

Adjutant /
weißer GI
Carl Kaiser

Bote 1 /
Posten 1
Bernhard Modes

Bote 2 /
Posten 2
Michael Silvan Scheel

Der Führror /
Präsident
Paul Lyon

Senator 1 /
weißer GI
Georg Kirketerp

Galilei
Hiroyuke Inoue

Giordano Bruno
Aris Argiris

Leonardo da Vinci
Charles Kim

Bulle 1
Hans Werner Bramer

Bulle 2
Jae-Seok Lee

Techniker 2 /
Bulle 3
Thomas Günzler

junge Frau /
Jungfer 3 /
Arbeiterin 3
Andrea Rieche

schwarze GIs
Johannes Knecht
Martin Müller-Görgner
Thomas Warschun

Casanova
Hannes Brock

Krokodil
Maria Hilmes

Büttel
Bart Driessen

Hans Wurst
Björn Arvidsson



Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
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Da capo al Fine

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