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In der Gummizelle
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture Gmbh Eine Stadt edler Weine wird man Dortmund nicht nennen wollen. Die Trink- und Brautradition legt Bier sehr viel näher, und so ist es nur logisch, dass man sich in Luthers Weinkeller nicht am Rebensaft labt, sondern lokalpatriotisch zum Flaschenbier greift. Eine nostalgische romantische Oper, das wird schnell klar, möchte Regisseur Alexander Schulin nicht präsentieren, sondern die dahinter lauernden Abgründe in die Gegenwart transportieren. So wird der Weinkeller zum fensterlosen Pausenraum mit Selbstverpflegung mit der bedrückenden Atmosphäre eines unterirdischen Bunkers. Hoffmanns Sehnen geht ganz bildlich nach Höherem, und zum Beginn seiner Erzählungen entflieht er dem drückend engen Raum durch die Dachluke. Oben ist es allerdings auch nicht viel besser: Gepolsterte Wände und weißbekittelte Pfleger zeigen die Welt als Irrenhaus. Vor dem Plakat der angebeteten Stella: Hoff,mann (Timothy Richards)
In der Rezeptionsgeschichte wird die Oper meist als Widerstreit der (weltlichen) Liebe Hoffmanns, verkörpert durch die (im Stück stumme) Sängerin Stella, und der Kunst in Gestalt der Muse gesehen. Gleichzeitig erscheinen die drei Erzählungen von der todkranken Sängerin Antonia, der Puppe Olympia und der Kurtisane Giulietta als quasi autobiographische Erlebnisse der Titelfigur, sozusagen dichterisch überhöhte Erfahrungsberichte. Schulin dagegen betont den (ansonsten schnell übersehenen) künstlerisch-schöpferischen Aspekt: Er zeigt Hoffmann nicht nur als passiv Ertragenden, sondern gleichzeitig als aktiv handelnden, sprich: die Erzählungen erfindenden und konstruierenden Künstler, der immer auch arrangierend eingreift. Damit wird er selbst nicht die Muse treibende Kraft der Handlung. Ganz klar werden die Personenkonstellationen in Schulins Inszenierung allerdings nicht; dass mag daran liegen, dass er das Gebrochene, Uneindeutige der Romantiker Offenbach wie auch des Dichters E. T. A. Hoffmann zeigen möchte. Die Regie akzentuiert manche Brüche und Widersprüche, was bei einer viel gespielten Oper wie dieser nicht das schlechteste ist. Etwas mehr Klarheit wäre dennoch wünschenswert, denn manche Idee wirkt allzu bemüht. Die Muse etwa im Antonia-Akt die Stimme der Mutter singen zu lassen bringt ohne erkennbaren Gewinnzuwachs die Symmetrie des Werkes durcheinander. Schaurig bürgerliches Ambiente: Docteur Miracle (Simon Neal, rechts) übt geradezu hypnotische Macht auf Crespel (Bart Driessen) aus.
Zu Beginn des Antonia-Aktes stehen alle drei Frauengestalten auf der Bühne eine nach der anderen wird der Prüfung nicht standhalten. Welche Rolle die Muse dabei spielt, wird nicht recht deutlich; am Ende, wenn es eine Oberwelt (Irrenhaus) und eine Unterwelt (Bunker) gibt, bleibt sie ein braves Mädel im Stewardessendress allein unten zurück, während Lindorf oben triumphiert (wenn man denn in der Gummizelle vom Triumph sprechen mag). Das grandios-pathetische Schlusscouplet ist unter allen Akteuren aufgeteilt. Wer siegt, bleibt offen. Angesichts einer fehlenden hoffnungsvollen Option ist das Ende für alle schrecklich. Über die Problematik der verschiedenen Fassungen von Hoffmanns Erzählungen lässt sich nach wie vor streiten. Offenbach hinterließ das Werk unvollendet, und wesentliche Teile seiner Hinterlassenschaft sind vernichtet oder unauffindbar, was eine exakte Rekonstruktion des Komponistenwillens unmöglich macht. Jede Fassung muss ihre Bühnentauglichkeit in der konkreten Aufführung beweisen, und im Sinne des Theaterpraktikers Offenbach dürfte eine gelungene Vorstellung allemal einer um jeden Preis authentischen vorzuziehen sein. Dennoch ist es bedauerlich, dass das Dortmunder Programmheft keinerlei Hinweise auf die Kriterien gibt, nach denen hier ausgewählt und entschieden wurde. Man spielt, an die Ausgebe von Michael Kaye angelehnt, eine Version mit gesprochenen Dialogen, die sich wohl in erster Linie an der Inszenierung orientiert. Ungewöhnlich ist die Reihenfolge der mittleren Akte, beginnend mit der AntoniaErzählung, dem OlympiaAkt als komödiantischem Scherzo und dem Venedig-Bild der Giulietta als Schlusspunkt. Man kann darin inhaltlich einen Abstieg von der wahren und echten Künstlerliebe zur käuflichen Lust der Kurtisane Giulietta sehen. Musikalisch und musikdramatisch müsste die Steigerung eher umgekehrt sein; auch in Dortmund wirkt der Giulietta-Akt sehr viel unfertiger als die beiden anderen. Der Dichter und die Kurtisane, für die er sein Spiegelbild hergeben wird: Giulietta (Elena Nebera) und Hoffmann (Timothy Richards)
Mehr als das nicht uninteressante, aber nicht immer schlüssige Gesamtkonzept bestechen einzelne Szenen und Bilder, in denen Schulin ungeheure Spannung aufbauen kann. Insbesondere der Antonia-Akt entfaltet eine Sogwirkung, die ihresgleichen sucht. Aber selbst in weniger stringenten Szenen beeindruckt die Selbstverständlichkeit der Abläufe und der Personenführung. Heraus kommt ein moderner, vielschichtiger Hoffmann, der trotz der genannten Schwierigkeiten das Publikum in den Bann zieht und bei der Premiere entsprechend gefeiert wurde. Nicht nachvollziehbar ist dagegen der ungetrübte Jubel des Premierenpublikums über die durchwachsenen musikalischen Leistungen. Überzeugend ist der höhensichere, wenn auch bei den Spitzentönen eine Spur zu matte Timothy Richards als Hoffmann. Simon Neal in der Vierfachrolle des Bösewichts hinterlässt ausgesprochen wechselhafte Eindrücke: Auf einen recht verhaltenen Lindorf im ersten Akt folgt ein dämonischer, in jeder Hinsicht brillanter Doctuer Miracle im Antonia-Akt; ein solider Coppélius im Olympia-Akt und ein entkräfteter Dapertutto (der nicht mehr den nötigen Schmelz für die schöne, aber an dieser Stelle höchst umstrittene Diamant-Arie aufzubringen vermag) im Giulietta-Akt. Maria Hilmes muss in die Rolle der Muse noch hineinwachsen; zu soubrettenhaft und zu wenig warm in der Mittellage klingt ihr ansonsten wunderschöner und beweglicher Sopran. In den Armen der Kunst? Die Muse (Maria Hilmes) tröstet Hoffmann (Timothy Richards)
Sylvia Koke hat für die Antonia schöne Piano-Töne, aber in den Mezzo-Lautstärken einen uninteressanten, im Forte einen angestrengten und flachen Klang (die stimmkräftigeren Mitsänger decken das gnädig zu). Heike Susanne Daum trifft mit wunderbarer Komik das mechanische der Olympia-Koloraturen. Elena Nebera ist eine ordentliche Giulietta mit recht undifferenziertem Vibrato. Überzeugend sind die (gar nicht so kleinen) Nebenrollen besetzt - genannt sei hier noch Bart Driessen als stimmkräftiger Crespel. Klangprächtig und präsent singt der von Granville Walker einstudierte Chor. Dirigent Dirk Kaftan leitet die ordentlich spielenden Dortmunder Philharmoniker sicher und unprätentiös durch die Partitur; hier und da würde man sich aber noch ein paar zusätzliche Klangschattierungen wünschen. Mit vorwärts treibendem Elan trägt er maßgeblich zu einer nicht immer runden, aber durchweg intensiven Aufführung bei. FAZITEine Inszenierung mit vielen spannenden Momenten; sängerisch mit Licht und Schatten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Hoffmann
Lindorf / Coppélius /
Nathanael / Spalanzani
Crespel
Andrès / Cochenille /
Hermann / Peter Schlemil
Olympia
Antonia
Giulietta
Niklausse / Muse /
Stella
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