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La Traviata

Oper in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach La Dame aux camélias von Alexandre Dumas d. J.
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln


Premiere im Theater Dortmund am 15.10.2005
(Rezensierte Aufführung: B-Premiere am 21. Oktober 2005)

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


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Theater Dortmund
(Homepage)
Der Abstieg eines Topmodels

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Picture Gmbh)

Immo Karaman und sein Choreograph Fabian Posca wollen in ihrer Neuinszenierung der Traviata Aufstieg und Fall einer Kultfigur nachzeichnen: Marie Duplessis, das historische Vorbild für Verdis Violetta, war eine solche, Kate Moss war es in den letzten fünfzehn Jahren, bevor ihre Kokainsucht von den Moralaposteln der Klatschgazetten in wahrlich übertriebener, moralisierender Weise abgestraft wurde (Johanna Adorján weist in ihrem im Programmheft zitierten Artikel "Das Ende unserer Sehnsüchte" zurecht darauf hin, dass man die Londonerin gerade für ihren "Heroin Chic" in die höchsten Höhen der Mode- und Zeitgeistwelt gehieft hatte: "Kein anderes Model hatte jemals auch nur annähernd so einen Einfluss auf den Massengeschmack, auch keine Schauspielerin").

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Die Menge (Chor und Statisterie des Theater Dortmund) ist verrückt nach ihrem Idol Violetta Valéry (Marcie Ann Ley).

Die Bühne ist wie so häufig beinahe leer (was akustisch kein Vorteil ist), man sieht all die Technik, und an einem Seilzug auch Violetta, nachdem ein Scheinwerfer sie lange gesucht hat. Auf dem Laufsteg, der quer über die Bühne führt, schreitet ein Mädchen nach vorn, in viel zu großen Schuhen - es muss die kleine Violetta/Kate sein, die viel zu schnell ihr Kindsein aufgeben musste, weil sie in den Modezirkus geraten ist und nun mit ihrer weißblonden Perücke, die nicht nur auf den Produktionsfotos im Programmheft etwas billig wirkt (wirken soll?), ihrem weißen Kunstpelz und dem rückenfreien weißen Kleid, über das vorn eine rote Pailettenlinie gezogen ist, ihre Rolle zu spielen hat. Der Blick der Regie ist von Anfang an auf die Hauptfigur fokussiert, und auch die von unten hochgefahrene Modeszene, die sich bald als lüsterne, voyeuristische Meute herausstellt (Wolfgang Marggraf weiss in seiner Verdi-Biografie: "Die Unbarmherzigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, die Verdinglichung aller menschlichen Beziehungen und ihre Reduzierung auf bloße Geldverhältnisse, die grundsätzliche Fragwürdigkeit der bürgerlichen Moralbegriffe - alles dies ist aus der Traviata ablesbar. Es kann keine Frage sein, dass es diese Durchleuchtung des Gesellschaftlichen war, die Verdi an dem Stück interessierte"), auch wenn sie Violetta im Wortsinn auf den Händen trägt, hat nur Augen für das Topmodel, das sich in lasziven Gesten ergeht und dies noch unbeschwerter tut, nachdem ihr ihre Stylistin Annina ein wenig Kokain gereicht hat. Der Divenstatus wird durch die Anwesenheit von Tänzern, die sie ständig umlagern und sich nicht zuletzt als lebende Sitzmöbel anbieten, noch weiter unterstrichen, das Künstliche, Unnatürliche der Situation durch die stilisierten Gesten des Chores, der dadurch offenbar so gefordert ist, dass die Konzentration auf gemeinsame Einsätze und der dafür nötige Blick zum Kapellmeister zweitrangig werden. Die szenische Hektik macht den Zuschauer beinahe nervös, stellt aber einen eindrucksvollen Kontrast dar zu den ruhigen Momenten, in denen Violetta allein auf der Bühne kauert.

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Auch in ihren eigenen vier Wänden findet Topmodel Violetta (Marcie Ann Ley) nicht das ersehnte Glück.

Nach einer langen Umbaupause finden wir die Liebenden in einer eleganten Dachwohnung wieder, die merkwürdig in der Luft hängt und dominiert wird von weißen Möbeln und zwei riesigen Prospekten mit kitschigen Panoramabildern von Alpenlandschaften, und auch das fehlende Glas unterstreicht das Unwirkliche dieses Raumes von Johann Jörg. Alfredo stürmt mit freiem Oberkörper auf die Bühne und frottiert die Haare, bevor er zur Kamera greift und das Model in seinen vertrauten Posen fotografiert - den Menschen Violetta scheint auch er nicht zu sehen, er will nur das Objekt seiner Begierde, das er nun nicht mehr mit der Masse teilen muss, festhalten. Glücklich wirkt dieses Paar jedenfalls von Anfang an nicht, aber die Beziehung zu Alfredo scheint der drogensüchtigen Schönheit wenigstens etwas Halt zu geben, die sich mit einer Überdosis Tabletten das Leben nehmen will, als ihr klar wird, dass sie sich vom Geliebten wird trennen müssen. Dessen Vater hält sie vom Suizid ab, nachdem er für Violettas Geständnis, den Sohn zu lieben, nur ein zynisches Klatschen über hatte.

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Alle wollen so aussehen und so sein wie Violetta (Marcie Ann Ley).

Beim zweiten "Ball" hat die Gesellschaft die Trends der Protagonistin aufgegriffen, versucht sich im Violetta-Style zu kleiden, trägt ihre Accessoires und ahmt ihre Bewegungen nach, aber wie so oft gerät genau das peinlich, was beim Original mondän und exaltiert wirkte. Folkloristische Einlagen mit Zigeunerinnen und Matadoren passen natürlich nicht in ein nüchtern-sezierendes, sachliches Regiekonzept. Dafür wird das Liebesnest des Paares auf die Bühne herabgelassen, Bühnenarbeiter (ein überflüssiger Verfremdungseffekt) nehmen das Appartement auseinander, um dessen Interieur die Masse sich streitet.

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Das Ende: Violetta (Marcie Ann Ley) allein und im Drogensumpf.

Im letzten Bild ist der Laufsteg zerborsten, die Karriere als Topmodel und Celebrity ist zuende, das Kleid verschmutzt, die Haare nicht länger toupiert und hochgesteckt, sondern strähnig herunterhängend, nicht einmal die Matratze liegt mehr im Bettgestell, dafür ein anständiger Vorrat an Drogen davor, mit denen die Todeszuckungen freilich nicht dauerhaft zu unterdrücken sind. Violetta ist allein in ihren letzten Stunden, die übrigen Mitwirkenden deliriert sie sich zusammen, sie singen nur aus dem Off, was akustisch keine übermäßig problematische, dramaturgisch aber durchaus konsequente Entscheidung ist, zumal sich in den kleineren Partien eigentlich niemand hervortat, vielleicht am ehesten noch Johanna Schoppa mit quälender Stimme, aber viel Präsenz als Make-up-Stylistin Violettas, weniger Maria Hilmes als Flora oder die diversen Herren. Der Auftritt des kleinen Mädchens, das die langen, nach vorn hängenden Haare im wahrsten Sinne gesichtslos wirken lassen, schließt den Bogen zum Anfang dieser durchaus konsequenten, wenn auch nicht in jedem Moment überzeugenden Inszenierung.

Marcie Ann Ley, die die Violetta bereits in Boston gesungen hat, ist mit ihrem lyrischen Sopran, der im Forte nicht sehr attraktiv klingelt, schrill wird und große Durchschlagskraft bei Tönen oberhalb des Systems entwickelt, aber etwa in den ruhigen Teilen ihrer großen Szene im ersten Akt auch zu feineren, sensibleren Töne fähig ist, keine schlechte Wahl für die Violetta, wären da nicht die verwaschenen, unsauberen, nicht akzeptablen Koloraturen. Dass die Stimme mehr Reserven hat, als man vermutet hätte, zeigte die lange Auseinandersetzung mit Alfredos Vater, aber trotzdem meint die Künstlerin häufiger schreien zu müssen, als es gut sein kann, wenn man nicht nur ein paar Jahre singen will. Dass sie eine Menge Tricks aus dem außermusikalischen Bereich wie Sprechgesang, Seufzen und (übertriebene) Portamenti kennt, passt nicht schlecht zu der Kunstfigur, die sie zu portraitieren hat, und in der Umsetzung des szenischen Konzepts liegt wohl die eigentliche Stärke der Amerikanerin.

Das gelingt auch Charles Kim, der mir schon als Sou-Chong im Land des Lächelns gut gefallen hatte. Auch als Alfredo überzeugte er mit sorgfältiger Phrasierung, hervorragendem Legato und wohl überlegten messa-di-voce-Effekten, mit Stilgefühl und Geschmack, aber auch Herzblut und Emphase. Den Jubel über Aris Argiris' Leistung als Germont père konnte ich dagegen nicht nachvollziehen: Er sang die Partie im Wesentlichen ordentlich, aber besonders eindringlich war seine Interpretation keineswegs, die hohen Töne hat man auch schon bedeutend souveräner und farbiger gehört, und auch einige schöne Piani können nicht davon ablenken, dass es dem jungen Sänger bisher noch an Individualität und Ausstrahlung fehlt.

Keinen besonders guten Eindruck hinterließ das Orchester an diesem Abend, das anfangs schlecht gestimmt und unkonzentriert musizierte und sich nur bedingt steigern konnte - die Gruppen mischten sich nicht sehr gut, das Hervorheben einzelner Stimmen fiel auf, blieb aber wenig funktional, die schmierigen Streicherläufe im dritten Bild verärgerten sensible Ohren, zündende, inspirierende Momente wechselten sich mit platten, derben ab, wie überhaupt der vordergründige Effekt im Zentrum der vom Ersten Kapellmeister Dirk Kaftan verantworteten Wiedergabe stand.

FAZIT

Eine Traviata-Neuinszenierung, die ihre Momente und einige Konsequenz hat, die einen sehr kühlen Blick auf die leicht rührselig wirkende Geschichte offenbart und doch auch konservative Besucher nicht allzusehr verstören sollte. Trotzdem lautet mein persönliches Fazit, dass ich diese Produktion nicht ein weiteres Mal anschauen möchte.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Dirk Kaftan

Inszenierung und
Choreografie
Immo Karaman
Fabian Posca

Bühne
Johann Jörg

Kostüme
Nicola Reichert

Choreinstudierung
Granville Walker

Dramaturgie
Berthold Schneider


Chor und Statisterie
des Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der B-Premiere

Violetta Valéry
Sylvia Koke/
* Marcie Ann Ley

Flora Bervoix
* Maria Hilmes/
Franziska Rabl

Annina,
Violettas Dienerin
Johanna Schoppa

Alfredo Germont
* Charles Kim/
Timothy Richards

Giorgio Germont,
sein Vater
* Aris Argiris/
Simon Neal

Gastone, Vicomte
de Letorières
Hannes Brock/
* Blazej Grek

Barone Douphol
Aris Argiris/
* Thomas Günzler

Marchese d'Obigny
Ramaz Chikviladze

Dottore Grenvil
Bart Driessen

Ein Diener Floras
Edward Steele



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