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La Gioconda
Oper in vier Akten
Text von Tobia Gorrio (eigentlich Arrigo Boito)
Nach dem Drama Angelo, tyran de Padoue von Victor Hugo
Musik von Amilcare Ponchielli


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am Freitag, 25. Mai 2006
Alte Oper Frankfurt

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Alte Oper Frankfurt
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Überraschungen

Von Thomas Tillmann

Große Aufregung herrschte nicht nur am Pressetisch in der Alten Oper in Frankfurt, sondern auch in den Foyers: Der Beginn der für 19 Uhr angesetzten konzertanten Aufführung von Ponchiellis La Gioconda musste um letztlich vierzig Minuten verschoben werden, weil Last-Minute-Einspringerin Alessandra Rezza erst um 18.45 Uhr am Veranstaltungsort eingetroffen war (Paoletta Marrocu, die für diesen Abend ihr Rollendebüt geplant hatte, fühlte sich am Morgen des Konzerts aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Partie zu singen, und hat auch die zweite Vorstellung am 30. Mai abgesagt). Die Erstgenannte war für die Frankfurter Intendanz freilich keine ganz unbekannte, hatte sie in der Mainmetropole doch vor gut einem Jahr bereits als Leonora di Vargas debütiert. Die venezianische Straßensängerin hatte die 1975 in Velletri geborene Künstlerin bereits im polnischen Wroclaw, aber auch an der Deutschen Oper Berlin und in Modena interpretiert, so dass sie couragiert auf eine Verständigungsprobe verzichtete, ohne dass man im Verlauf des Abends Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den übrigen Mitwirkenden oder dem Dirigenten bemerkt hätte. Die gab es eher und mitunter schmerzlich mit der Attacke von Tönen oberhalb des Systems, die sie einfach nicht oder zum Teil erheblich zu tief erreichte, mitunter in Kombination mit einem unschönen Flackern. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es sich vielleicht weniger um ein technisches Problem handelt, sondern um ein psychologisches, das heißt dass sie einfach Angst hatte vor diesen exponierten Tönen und sich dann verkrampfte, was angesichts der Umstände mehr als verständlich wäre. Leider gelang es ihr so natürlich nicht, die vielen Ensembleszenen mit den glanzvollen Spitzentönen zu krönen, die man von einer Gioconda-Interpretin erwartet. Und doch gab es vieles zu bewundern an dieser wunderbaren, jungen, üppig-saftigen, aber nicht fetten Stimme, die von Zeit zu Zeit auch eine gewisse nicht unangenehme Schärfe zeigt, die herrlich gesund klingt in der reichen Mittellage und auch tiefe Töne unverkrampft erreicht, wobei es der Italienerin hoch anzurechnen ist, dass sie sich gerade in dieser Lage nicht zum Forcieren und zum unkontrollierten Einsatz der Bruststimme verleiten ließ, wie sie überhaupt an vielen Stellen eher auf subtiles, durchaus gehaltvolles Piano und Verinnerlichung als auf grobe Dramatik setzte - ein im besten Sinne altmodisches Singen in der Tradition einer Tebaldi und anderer italienischer Sängerinnen dieser Zeit, wobei die Optik eher an die junge Callas oder die Cerquetti erinnert. Ihre Interpretation und die Durchdringung des gesungenen Wortes allerdings bleiben im Moment noch eher Versprechen als Erfüllung - sie sollte noch ein paar Jahre die Finger von den sehr dramatischen Partien lassen (wie die Amelia in Un ballo in maschera, Abigaille in Nabucco, Lady Macbeth und Norma!), die Höhe stabilisieren und an der Agilität der Stimme weiter arbeiten, ihre expressiven Möglichkeiten erweitern und erst dann die Schritte zur ganz großen Karriere einleiten, die man ihr aufgrund der Qualität der Mittel zweifellos zutraut.

Auch über Johan Bothas interpretatorische Fähigkeiten und die Schönheit des vergleichsweise hellen, "geraden" Timbres mag es geteilte Meinungen geben - die Mühelosigkeit seines Singens auch in einer solch schwierigen Partie verdient jede Anerkennung (den Enzo sang er erstmals 1998 in Chicago), die endlosen Legatobögen, das heldische Auftrumpfen und die Forteraketen in den entscheidenden Momenten, aber noch mehr die vollendete messa di voce, die Risikobereitschaft, das heftig akklamierte "Cielo e mar" mit einem zarten Piano zu beenden.

Die vielleicht bemerkenswerteste, idiomatischste Leistung des Abends gelang Zeljko Lucic, der den Barnaba in der kommenden Saison auch an der New Yorker Met singen wird. Dabei ist es gerade in dieser langen Rolle leicht, sich mit Deklamieren als eindimensionaler Brunnenvergifter zu präsentieren und vokale Qualitäten hintan zu stellen. Der Bariton überzeugte dagegen mit der unangestrengten Virilität seines Singens, mit einer beeindruckenden klanglichen Fülle, mit großem Differenzierungsvermögen auch und gerade hinsichtlich der Dynamik, mit einer durchdachten Textwiedergabe - Maestro Carignani hätte ruhig eine Pause für verdienten Applaus nach dem prachtvollen "O monumento!" lassen können.

Nicht ganz nachvollziehen konnte ich den Jubel für Michaela Schuster, die sich nicht nur beim bunten Sommerkleid vergriffen hatte, sondern auch mit ihrer Neigung zu penetrantem Überspielen, zu aggressiven Effekten und aufdringlicher, vordergründiger Expressivität, die zu einer Preziosilla passen mögen, die sie am selben Ort gegeben hat, vielleicht auch zur Kundry, mit der sie im Opernhaus vor kurzem reüssierte, nicht aber zu Laura Adorno, die ja keine Chansonette ist. Die Stimme ist in erster Linie laut und metallisch, die Register sind nicht vollendet verbunden, die Höhe klingelt und verrät mindestens an diesem Abend nicht, warum die Künstlerin eine Soprankarriere anstrebt, die Mittellage klingt mir phasenweise zu quallig, die Tiefe zu vulgär. Dagegen war Elzbieta Ardam mit pastosem, reifen, nur beim Aufschwung in die Höhe etwas verspannt und steif werdenden Ton eine nicht nur im berühmten "Voce di donna o d'angelo" eine sehr schlichte, berührende La Cieca. Und sie ist eine der wenigen Sängerinnen, denen die tiefe Tessitur der Mutterpartie kaum Probleme bereitet - erstaunlich, dass auch sie an diesem Abend ihr Rollendebüt gab. Hörbar in die Jahre gekommen ist der zwar charaktervolle, aber doch auch ziemlich brüchig-heisere, an Nebengeräuschen reiche Bass von Magnus Baldvinsson, aber natürlich hatte sein Alvise immer noch Format, und ein netter Charakter ist der ja auch nicht. Simon Bailey nutzte anders als sein Tenorkollege Riccardo Iturra aus dem Chor nicht nur stimmlich jede Möglichkeit, um auf seine Mitwirkung in den kleineren Basspartien hinzuweisen.

Paolo Carignani setzte sich am Pult des Museumsorchester sehr für die Oper Ponchiellis ein, der Boitos antithetischer Dramaturgie verpflichtetem Libretto und damit eine grand opéra italien beschwörenden Ästhetik keineswegs vertraute, der wie manch anderer, aber vielleicht am wenigsten gerechtfertigt Opfer der dominierenden, ja übermächtigen Stellung Giuseppe Verdis im italienischen Musikleben der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war und der vielen eher als Lehrer von Puccini und Mascagni denn als eigenständiger Komponist bekannt sein dürfte. Wie stets bewies der Generalmusikdirektor große Sorgfalt im Detail, beschwor gefühlvoll tolle Farben und dichte Stimmungen, betörende Momente von großer Süße und solche überrumpelnder Dramatik, ohne dabei derbe oder knallige Effekte zu riskieren, auch nicht in den ausgelassenen Momente in der Furlana oder der berühmten Danza delle ore, wobei ich bei aller Bewunderung für die mitreißende Wiedergabe nicht verschweigen möchte, dass die Damen und Herren des Kollektivs nicht immer ganz zusammen waren und ins Schwimmen gerieten, was mir bei dem verstärkten Chören samt dem hervorragenden Kinderchor in der offenbar sorgfältigen Einstudierung von Alessandro Zuppardo nicht aufgefallen ist. Insgesamt könnte man sich das Werk rhythmisch pointierter, straffer, flotter und transparenter musiziert vorstellen, aber das bleibt Geschmackssache.


FAZIT

Das war ein überzeugendes Plädoyer für ein pralles Meisterwerk, das man gern häufiger wieder wenigstens in konzertanten Aufführungen erleben möchte (wie noch vor einigen Jahren an der Deutschen Oper am Rhein - wenn auch in heikler Besetzung - oder an den Wuppertaler Bühnen mit der individuellen, aber auf ihre Art hinreißenden Gudrun Volkert). Zsolt Horpácsy hat Recht, wenn er La Gioconda, dem "umstrittene(n) Melodramma" bescheinigt, es vermittle bei aller "Wildwüchsigkeit Momente echter musiktheatralischer Größe".


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Chor
Alessandro Zuppardo

Leitung Kinderchor
Apostolos Kallos



Chor, Extrachor und Kinderchor
der Oper Frankfurt

Frankfurter Museumsorchester


Solisten

La Gioconda,
Sängerin
Alessandra Rezza

Laura Adorno,
Genueserin, Frau von Alvise Badoero
Michaela Schuster

Alvise Badoero,
einer der Chefs der Staatsinquisition
Magnus Baldvinsson

La Cieca (Die Blinde),
Giocondas Mutter
Elzbieta Ardam

Enzo Grimaldo,
genuesischer Fürst
Johan Botha

Barnaba,
Straßensänger
Zeljko Lucic

Zuàne, Regattaschiffer
/ Ein Lotse
/ Ein Mönch
/ Ein Sänger
/Stimme aus der Ferne
Simon Bailey

Isèpo,
ein öffentlicher Schreiber
/Stimme aus der Ferne
Riccardo Iturra



Weitere Informationen


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