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Musiktheater
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Lady Macbeth von Mzensk
Oper in 4 Akten von Dimitri Schostakowitsch
Text von Arkadi Preis und Dimitri Schostakowitsch
Nach der Erzählung von Nikolai Lesskow
Fassung von 1934

In russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere am 8. Oktober 2005
Besuchte Vorstellung am 22. Oktober 2005

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Theater Freiburg
(Homepage)

Ein Karussell von Gewalt und Begierde

Von Christoph Wurzel / Fotos von Maurice Korbel

Vom Teufelskreis aus Begierde und Gewalt erzählt diese Oper, die sicher zu den beeindruckendsten Hervorbringungen des Musiktheaters des 20 Jahrhunderts gezählt werden kann. Ihr Titel ist eigentlich irrefühernd. Bei dieser "Lady Macbeth" aus der russischen Provinz handelt es sich nicht wie bei der Shakespeareschen Figur um eine Mordanstifterin aus eiskalter Machtbesessenheit, sondern um eine Frau, die sich mit ihrem manischen Befreiungsversuch aus der lieb- und erlebnislosen Enge einer kleinbürgerlichen Existenz schrecklich in Schuld verstrickt. Mithilfe ihres neuen Liebhabers bringt sie erst ihren Schwiegervater, dann ihren Ehemann um. Als sie am Schluss der Liebhaber verlässt, tötet sie ihre Rivalin und dann sich selbst. Nichts an Grausamkeit und nacktem Schrecken ist dem Geschehen in dieser Oper durch den Librettisten Akkadi Preis und durch die Musik von Schostakowitsch genommen, dennoch zeigen beide die Protagonistin nicht allein als berechnende Täterin, sondern auch als ein Opfer, als Opfer von Verhältnissen, die eine persönliche Glückserfüllung nicht erlauben.

Gegen diese Verhältnisse offener wie struktureller Gewalt rebelliert Katerina Ismailowa einerseits mit den Mitteln ihrer erotischen Ausstrahlung, welche aufseiten der Männer in die Münze nackter Gewalt heimgezahlt wird. Der Schwiegervater, in der Aufführung mit Raubvogelkopf, versucht sich geil über sie herzumachen und der Geliebte Sergej beraubt sie gemein ihrer letzten Habe, eines Paars warmer Strümpfe, um gerade damit sich die Gunst seiner neuen Geliebten zu erkaufen.

Bei all dem bleibt Katerina vor allem musikalisch mit tiefer Anteilnahme gezeichnet, nicht desavouiert als Mensch, sondern ernst genommen in ihren sehnsuchtsvoll zwanghaften Verstrickungen. Und die Musik spricht von den seelischen Abgründen zwischen Sehnsüchten und Schuldgefühlen. Er habe Katerina als eine Frau darstellen wollen, die das Mitgefühl des Publikums verdiene, sagte Schostakowitsch über seine Opernfigur. Andere positive Figuren habe die Oper dagegen nicht.

Keine Helden, nirgendwo - nur die verbogenen Existenzen der autoritären Gesellschaft des vorrevolutionären Russland, in welchem Lesskows Erzählung von 1864 angesiedelt ist. Der junge Schostakowitsch wählte den Stoff für sein zweites Bühnenwerk, die er als "satirische Oper" bezeichnete. Im Sujet nicht unähnlich dem "Wozzeck" von Alban Berg, den er als Vorbild verehrte, komponierte Schostakowitsch jedoch ganz anders. Als eine Collage aus westlichen Stileinflüssen, Elementen der Trivialmusik und seiner eigenen frühen avantgardistischen Tonsprache zeichnet die Musik grotesk und grell die gefühlsausbeuterische Welt einer entsetzlich provinziellen Enge.

Bekannt ist, was nach der Uraufführung 1934 folgte: nach großen Erfolgen in der Sowjetunion selbst und bald auch im westlichen Ausland ging mit einem Artikel in der Prawda im Januar 1936 die ideologische Keule auf das Werk nieder: "Chaos statt Musik" war das vernichtende Verdikt, das auf Stalins Geheiß Schostakowitschs Meisterwerk verdammte und den Komponisten in eine erste schwere Existenzkrise stürzte. War dieser Artikel auch ein erbärmliches Zeugnis hochgradiger künstlerischer Ignoranz, so war er zugleich unerbittlicher Ausdruck nackter Macht. Das Werk passte weder inhaltlich noch musikalisch in die real existierende totalitäre Kulturpolitik.

Vergrößerung

Peter Klaveness ( Boris Ismailow) und
Lisa Livingston (Katerina Ismailowa)

So genau nun, wie es in Freiburg geschah, sollte man Stücke lesen! So wie Schostakowitsch seine Oper verstand, als tragische Satire, als anklagende Entlarvung von Menschenunwürdigkeit wurde "Lady Macbeth von Mzensk" auch auf das Freiburger Theater gestellt; dazu mit einem desillusionierenden Blick auf die Geschlechterbeziehung.

Thomas Krupa ist eine Inszenierung mit hohem Phantasiepotential gelungen, angespannt bis zur letzten Minute und zugleich in hohem Maße musikadaequat.

Die Bühne von Andreas Jander stellt ein Karussell dar als Chiffre für den sich tragisch-absurd wiederholenden Kreislauf aus Erotik und Brutalität. Das Zirkusmilieu liefert die Folie für den Widerspruch zwischen Schein und Sein, worin als grotesker Conferencier ein Clown immer wieder gleichsam das Schicksalsrad anschiebt. Hinter dieser Gestalt verbirgt sich auch die Rolle des Schäbigen, der schließlich die Leiche im Keller entdeckt und damit das Verhängnis beschleunigt.

Was auf der Bühne geschieht, verfolgt man im Parkett mit gebannter Aufmerksamkeit, aber Einfühlung kommt nicht zustande. Bewusst wird auf Distanz gesetzt, ganz brechtisch ist es der kritische Blick auf den Lauf der Dinge. Und da die Musik so viel von selbst erzählt, muss die Bühne nicht noch verdoppeln, was man ohnehin schon weiß. Vielmehr wird an vielen Stellen ein bildkräftiger Kontrapunkt gesetzt wie in der Liebeszene im 1. Akt mit der berüchtigten Beischlafmusik. Krupa vermeidet jeden voyeuristischen Effekt. In ein Symbolbild fasst er die Ekstase der Liebenden, die auf einer Schaukel dahinfliegen, während die Banda vom Bühnenrand den brutalen Kommentar dazu herausposaunt. Und der Vergewaltigungsversuch Sergejs an der Köchin Axinja erscheint chiffriert als circensische Messerwerfernummer, aufseiten der Täter mit Gejohle begleitet und angstverzerrt durchlitten von ihrem Opfer.

Sein Bühnenhandwerk versteht dieser Regisseur. Auf der beeindruckend arrangierten Drehbühne ( wenige Requisiten, nur dann und wann ein zähnefletschender Karusselltiger) entwickelt er das groteske Spiel in perfekt ausbalancierter Gratwanderung von Entlarvung und Empathie. Von der makaber komischen Sterbeszene des Boris, über Katarinas gespenstische Traum-Erscheinung des Mordopfers, die derb satirische Polizeiszene bis hin zur zombiehaft grotesken Entdeckung der Leiche - diesem Sog bildmächtiger Szenen entzieht man sich nicht. Und ein subtiler Sinn für Details beweist sich, wenn Sergej vor Beginn der Liebesnacht noch an der Ikone die Kerzen löscht. Bis zum Schlussbild hält die Szenerie diese Schlüssigkeit. Eigentlich ist dort ein Arbeitslager dargestellt, hier aber sind in einer Art Mummenschanz hinterm Stacheldrahtzaun alle Figuren dieser verkehrten Welt nochmals wie in einem Panoptikum versammelt - eine abgründig verzerrte Variante des Gulag als clowneske Persiflage der Wirklichkeit.

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Lisa Livingston (Katerina) und
Alexej Kosarev (Sergej)

Dieser präzise entwickelten Szenerie folgt die musikalische Realisierung auf Schritt und Tritt. Unter Karen Kamenseks Leitung beweist das Orchester höchste Vitalität und Ausdruckskraft. Der vielfach solistisch begleitete Bühnengesang wird beredt unterstützt. Und wie genau die Partitur durchgearbeitet ist, zeigen die orchestralen Zwischenspiele, deren Expressivität bis zum Reißen gespannt ist. Schostakowitschs Musik entfaltet ihre enorme Farbigkeit voll und ganz und breit die Ausdruckspalette zwischen ironischer Distanz und empfindsamen Lyrismen (in den Passagen der Katerina). Das Orchester hält in beeindruckender Form diesen Standard bis zum Schluss.

Freiburg hat glänzende Sängerdarsteller in dieser Produktion aufzubieten, die Hauptrollen sind aus dem Ensemble besetzt. Stimmlich in Bestform und höchst präsent Lisa Livingston in der Titelrolle, ebenso sehnsuchtsvoll zart wie hochdramatisch erregt. Viele Facetten kann sie entfalten. Als Sergej zeigt Alexey Kosarev deutlich ein Machogesicht und schwingt sich durchaus glaubhaft zu heldentenoralen Höhen hinauf. Als zutiefst ekliger Schwiegervater Boris hat es Peter Klaveness zudem meist unter der Raubvogelmaske, nicht so leicht stimmlich zu trumpfen. Nachhaltigen Eindruck hinterlassen auch Radu Cojacariu als lüsterner Pope, Neal Schwantes als korrupter Polizeichef und im letzten Akt Anna Smirnova in der Rolle der nuttigen Zwangsarbeiterin Sonjetka.


FAZIT

In szenischer und musikalischer Realisierung ist dem Freiburger Stadttheater nicht allein eine höchst phantasievolle, bühnenwirksame Produktion gelungen, sondern vor allem auch eine Inszenierung, die dem Geist des Werks und der Intention des Komponisten sehr nahe kommen dürfte. Eine Glanzleistung durch und durch.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karen Kamensek

Inszenierung
Thomas Krupa

Bühne
Andreas Jander

Kostüme und Comics
Valerie von Stillfried

Choreografie
Teresa Rotemberg

Choreinstudierung
Bernhard Moncado

Dramaturgie
Laura Berman


Chor und Extrachor des
Theaters Freiburg

Bewegungschor des
Theaters Freiburg

Philharmonisches
Orchester Freiburg


Solisten

* Alternativbesetzung

Boris Ismailow,
Kaufmann
Peter Klaneness

Sinodi,
sein Sohn
Dong Won Kim *
/ Sung-Keun Park

Katerina Lwowna Ismailowa,
seine Frau
Lisa Livingston

Sergej,
Handlungsgehilfe bei den Ismailows
Alexey Kosarev

Axinja,
Köchin
Sigrun Schell

Der Schäbige,
ein heruntergekommener Arbeiter
Patrick Jones

Verwalter
Juri Mannschott *
/ Laurence Stephens

Hausknecht
Tobias Link *
/ Naoshi Sekiguchi

Vorarbeiter
Sung Man Cho *
/ Jörg Golombek

Mühlenarbeiter
Naoshi Sekiguchi*
/ Tobias Link

Pope
Radu Cojacariu

Polizeichef / Polizist / Sergeant
Neal Schwantes *
/ Juri Mannschott

Wächter im Arbeitslager
István Tömö *
/ Dirk Golombek

Sonjetka,
Zwangsarbeiterin
Anna Smirnova

Alter Zwangsarbeiter
Alex Sanmartí

Zwangsarbeiterin
Sigrun Schell


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Freiburg
(Homepage)





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