Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Glücksschwein 2006
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle
Was ist Glück? Eine wirklich zufriedenstellende Antwort haben die Philosophen aller Epochen trotz intensiver Beschäftigung nicht finden können. Reichtum (allein) jedenfalls, so die Quintessenz jedes besseren Märchens, ist es wohl nicht, und deshalb ist das Märchen vom Hans im Glück, der durch allerlei Tauschgeschäfte seinen Reichtum verliert, irreführend. Glücklich und reich müsste man sein, könnte die postmoderne Antwort heißen, und das Fernsehen mit seinen Gewinnshows verspricht beides in zeitgemäßer Verschränkung. Monsieur Arriere's Makro Scrabble ist so eine Show, und das Hagener Theaterpublikum ist eingeladen, daran teilzunehmen und schaudernd in die Abgründe des Fernsehens (oder des Lebens?) hinabzublicken. Die Fanfaren des jüngsten (Fernseh-)Gerichts? Monsieur Arriére (Fosco Perinti), flankiert von der Security (Rochus Aust, Bosco Pohontsch)
Installative Theateroper nennt sich das Projekt mit einem (dominanten) Text von Arna Aley, collagenhaft komponierter beziehungsweise zusammengesetzter Musik von Rochus Aust und der (über klassisches Nachinszenieren einer Vorlage weit hinaus gehenden) Regie von Heinz Friedl. Gefördert wird die Produktion vom Fonds Experimentelles Musiktheater, einer vom Kultursekretariat NRW und der Kunststiftung NRW getragenen Einrichtung zur Förderung und Verankerung des experimentellen Musiktheaters. Experimentell bedeutet in diesem Zusammenhang auch das Überschreiten gewohnter Gattungsgrenzen, und ganz konkret sollen an der Entstehung förderungswürdiger Projekte Künstler aus Musik- und Sprechtheater gleichrangig beteiligt sein. Das ist mit Monsieur Arriére's makro scrabble durchaus gelungen, denn hier entsteht eine Theatersituation, die sich in gängige Schemata kaum einordnen lässt. Hans (Peter Schöne) im Glück? Zumindest Kandidat einer Fernsehshow mit attraktiven Gewinnen.
Das Publikum sitzt wie in einem Mini-Amphitheater (der "MediArena") auf einer Holkonstruktion, die gleichzeitig das Studio für die im Stück zentrale Fernsehshow darstellt. Monsieur Arriére (eine Spur zu klischeehaft: der Schauspieler Fosco Perinti) agiert als dämonischer Showmaster, der zynisch und brutal mit seinen Kandidaten umspringt, und relativ schnell stellt sich, nicht ganz ohne ein Gefühl der Beklemmung, der Verdacht ein, dass man als Besucher hier in einer Minderheit ist denn auch der Chor (das Kettwiger Bach-Ensemble bewältigt die ungewohnten Anforderungen souverän) ist auf der Bühne verteilt und greift lautstark in das surreal anmutende, immer wieder durchbrochene Geschehen ein. Das Märchen von Hans im Glück, in Ansätzen als Schattenspiel dargestellt, bildet den Rahmen, und Hans ist im folgenden der Kandidat Hans, der nach hinreichend bekannten Quizprinzipien Fragen wie Pferd 2000 wählt. Derweil laufen auf etlichen Fernsehern Wildwest- und Gladiatorenfilme, später auch rückwärts, und in 5-Meter-Übergröße wacht Hans' Mutter (mit dem Gestus der großen Opernheroine: Edeltraut Kwiatkowski) über das Geschehen. "Raus, raus, alle raus" - Monsieur Arrière (Fosco Perinti) lässt den Saal räumen. Zur Belohnung gibt's draußen Sekt für das Publikum, das bereitwillig mitspielt.
Hans (etwas verhalten: Bariton Peter Schöne) singt hin und wieder traurige Weisen, die an die Mittelalter-Moderne Arvo Pärts erinnern (Regisseur Heinz Friedl bewährt sich auch an verschiedenen Klarinetten), der Chor stammelt sattsam bekannte Kanon-Fragmente, ab und zu klingt ein Kinderlied an, und Rochus Aust und Bosco Pohontsch treiben als Security-Personal unter virtuos atomisierten Trompetenfanfaren nach und nach die Zuschauer zunächst die am Spiel beteiligten, später auch die zahlenden aus dem Saal in die Lounge. Da gibt es kostenlos Sekt und Saft, man plaudert mit den Mitwirkenden, und Rochus Aust (ich bin ihr Flugkapitän) schüttelt allen die Hand. Pause darf man das nicht nennen (jedenfalls wird laut Programmheft ohne Pause gespielt), aber jetzt geht es ohnehin ums Wohlfühlen. Mit einem giftgrünen Handtuch über dem Arm darf man wieder zurück in die MediArena, die jetzt das Inselparadies der Malediven darstellen soll. Hans und Monsieur Arriére liegen in Liegestühlen, der Chor summt mit einer berühmten Sarabande von Händel Hans in den Tod, und das Thema Kannibalismus wird noch kurz gestreift, bevor das Spiel ziemlich abrupt beendet ist. Die Einbeziehung des Publikums in das Spiel, nicht ohne leicht angestaubten Beigeschmack, hat den Charme eines Kindergeburtstags, bei dem man sich willig den Ideen des Gastgebers fügt. Mit ihren etlichen Brechungen ist die "Aufführung" oder besser "Installation" durchaus kurzweilig, kreist aber mit ihrer Verschränkung verschiedenster Kunstformen vom Text über die Musik bis zur Videokunst letztendlich um sich selbst. Das überschaubare Maß an zeitgeistvoller Kulturkritik entwickelt kaum Gewicht. Bei allem guten Willen zum Experiment und sympathischen Grenzüberschreiten bliebt eine Frage letztendlich offen: Und wozu der ganze Aufwand?
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Produktionsteam
Regie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Monsieur Arriére
Hans
Mutter
Assistentin
Assistent
Kameramänner
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