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Der Held der westlichen Welt
Komische Oper in drei Akten
Musik von Jan Müller-Wieland
Text vom Komponisten
nach Motiven aus Annemarie und Heinrich Bölls Übersetzung
von The Playboy of the Western World von John Millington Synge



in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: 1h 45' (keine Pause)

Uraufführung im Opernhaus Köln am 7. April 2006

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Wehe der Oper, die Helden nötig hat

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre

Vergrößerung in neuem Fenster Im Schatten des Vaters: Der Held (Claudia Rohrbach)

In eine Kneipe an der irischen Westküste platzt ein unscheinbares Bürschlein herein und verkündet, es habe gerade seinen Vater ermordet. Die Anwesenden sind begeistert: Ein echter Vatermörder, das ist ein Held. Leider ist Papa noch ziemlich lebendig und holt sein Söhnchen höchst persönlich ab – nichts war's mit dem Heldentum. Als sich das Spiel wiederholt, muss der vermeintliche Held schon mehr Überzeugungsarbeit leisten (wobei dasselbe klägliche Ende nicht lange warten lässt). Beim dritten Versuch glaubt ihm keiner mehr und Papa muss ihn vor der aufgebrachten Meute schützen. Mit dem heroischen Element ist es also nicht weit her in der von der Kölner Oper bei Jan Müller-Wieland in Auftrag gegebenen und jetzt uraufgeführten „Komischen Oper in drei Akten“ Der Held der westlichen Welt.


Vergrößerung in neuem Fenster Selbst der Name der Kneipe hat tiefere Bedeutung, und die Wirtin heißt "Liebe" (Viola Zimmermann, rechts) - und verliebt sich in den tollkühnen Helden (Claudia Rohrbach)

Das vom Komponisten erstellte Libretto basiert auf Annemarie und Heinrich Bölls Übersetzung des Dramas „The Playboy of the Western World“ des irischen Dramatikers John Millington Synge von 1907. Die „westliche Welt“ meint ursprünglich die (dem sich von Osten her ausbreitenden englischen Einfluss entziehende) Westküste Irlands mit ihren archaischen, „unkultivierten“ sozialen Strukturen. Obwohl diese „rückständige“ Welt geradezu im Gegensatz zur „westlichen Welt“ im Sinne der westeuropäisch- nordamerikanischen, vom Fortschrittsdenken geprägten Kultur steht, ist die Verwechslung vom Komponisten ebenso gewollt wie die gewagte Übersetzung des Wortes „Playboy“ mit „Held“. Die ironische Umdeutung aller Bilder und Begriffe ist überhaupt das Grundprinzip dieser Oper. Der scheiternde Vatermörder etwa suggeriert eine aberwitzige Verdrehung des Ödipus-Mythos (dort tötet Ödipus ahnungslos den eigenen Vater, während hier der „Held“ den gewollten Vatermord gerade nicht vollbringt). „Vater“ spielt aber, mit durchaus gewollten blasphemischen Zügen, auch auf die christliche Gottesvorstellung vom „Vater unser“ an – die Diskussion um die Mohammed-Karikaturen, um den Umgang mit religiösen Bildern und Gefühlen und dem Toleranzbegriff im Gegensatz zur Freiheit der Kunst passt da wie bestellt. Und Schillers von Beethoven zur musikalischen Humanitätsbotschaft geadelter Vers „Überm Sternenzelt / muß ein guter Vater wohnen“ steht gar als Motto über der Oper: Diesen Vater gilt es abzumurksen.


Vergrößerung in neuem Fenster "Neu-e-Hel-den-braucht-das-Land": Das Volk hat eine neue Ikone. Man kennt so etwas vom Sport oder aus Casting-Shows, die Superstars (er-)finden.

Die übermächtige Vaterfigur ruft den Antihelden dreimal zur Ordnung; sie erscheint als Übervater, erinnert in der Inszenierung von Karoline Gruber mitunter an den steinernen Gast, der Don Giovanni in die Hölle ruft – womit der Assoziationsbogen um ein weiteres Kulturhighlight der westlichen Welt erweitert wäre. Die gescheiterte Emanzipation von der Vaterfigur als Thema der Oper? – nein, auch das wäre viel zu einfach. Papa entpuppt sich im zynisch-absurden Finale als todessüchtiger Arbeitsloser, mit einer Alkoholikerin verheiratet. Und die Tod bringende Axt wandelt sich, weil ganz traditionsbewusst ein Engel als Deus ex machina vom Arbeitsamt ein Stellenangebot vorbeibringt, als rettendes Element: Papa wird jetzt Holzfäller. Seit Dürrenmatt gilt eine Geschichte als beendet, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung erreicht hat. Nach diesem Opernabend muss man sich fragen, ob es in einer guten Geschichte überhaupt andere als schlimmstmögliche Wendungen geben kann.


Vergrößerung in neuem Fenster Leider ist "das männliche Monster Papa" (Andres Reblin) ziemlich lebendig - da kann auch die "Wirtin Liebe" den "Helden" nicht schützen.

Junge Bürschlein, die zum herbeigesehnten Helden nicht taugen, erfreuen sich einer gewissen Popularität bei zeitgenössischen Opernkomponisten. In Detlev Glanerts fast schon populär zu nennender (und vor Jahresfrist in Köln gespielter) Grabbe-Oper Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (unsere Rezension) wird ein Knabe zum „deutschen Nationalgenie“ herangezogen. Die Entwertung der traditionellen kulturellen Werte durch die ironische Brechung und der bewusste Verzicht auf die „großen Gefühle“ erlaubt es in beiden Fällen, eine Musik zu schreiben, die mit gleicher Ironie, aber aus sicherer emotionaler Distanz das Bühnengeschehen kommentiert. Durch das (begründbare) Ausblenden von Gefühlen ist die kompositorische Substanz auf ein in erster Linie technisches Handhaben der verfügbaren Mittel, die postmodern aus dem Fundus der westeuropäischen Operngeschichte geschöpft werden, reduziert. Die werkimmanente Kulturkritik erlaubt es – ein nicht unwillkommener Nebeneffekt für die Komponisten – sich der Wirkung der vermeintlich überkommenen Mittel wie effektvoller tonaler Momente zu bedienen, ohne als rückwärtsgewand zu gelten. Die Satire darf eben alles. Insofern markieren beide Opern ungeachtet ihrer unbestreitbaren Qualitäten einen Krisenpunkt des sich selbst auflösenden zeitgenössischen Musiktheaters. (Worin Glanerts Scherz letztendlich komischer ist als der Held der westlichen Welt.)


Vergrößerung in neuem Fenster Passionsspiel auf Kölsch? Held und Vater debattieren vor Bierkastenkreuzüber die Verwendungsmöglichkeit der Axt.

Bei Müller-Wieland blitzen immer wieder virtuos Anklänge an die Opernliteratur iauf, ohne dass er konkret zitieren würde. (Einzige - und ziemlich platte - Ausnahme: Wie einst Heinz Rühmann als alleinerziehender Clown - wer denkt da nicht gleichzeitig auch an Heinrich Böll - "Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu" sang, darf auch der Held zu seinen Mordfantasien das kleine Lied tongetreu nachsingen.). Die impressionistisch unterwanderten Sturmmusiken bewegen sich ebenso auf "klassischem" Boden wie die Strukturierung in traditionelle Formen wie Rezitativ, Arie, Courante oder Ballett. Die Frage nach Tonalität stellt sich meistens nicht, weil die Musik entweder gerade tradierte Elemente und Harmonien auseinander nimmt oder durch das dominante Schlagwerk rhythmisch bestimmt ist. Das Gürzenich-Orchester unter Leitung von Chefdirigent Markus Stenz lässt in der Umsetzung keine Wünsche offen. Melodisch bestimmen die Koloraturen des (mit einem Sopran besetzten) Helden das Geschehen (Claudia Rohrbach setzt das in dieser Uraufführung höchst beeindruckend um). Immer wieder schickt Müller-Wieland den Zuhörer in die musikalische Endlosschleife, in dem er den (von Andrew Ollivant vorzüglich präparierten und ausgiebig beschäftigten) Chor bestimmte Floskeln endlos wiederholen lässt. Viola Zimmermann als Wirtin, Andres Reblin als Papa und Andrea Andonian als Mama sowie Timm de Jong und Adrian Strooper als „Burschen“ komplettieren ein starkes und spielfreudiges Ensemble.


Vergrößerung in neuem Fenster Finale in Hartz-Dur: Der "Engel der Arbeit" (Rosl Schumacher) verkündet frohe Botschaft; das "Wrack Mama" (Andrea Andonian) säuft.

Regisseurin Karoline Gruber legt mit ein paar Requisiten (Autobahn-Leitplanke, leere Bierkästen) den sehr gegenwartsbezogenen Rahmen fest, die dezent übertriebenen Kostüme (insbesondere die durchgehende Verwendung von recht plumpen Perücken) stellen aber jederzeit klar, dass es nicht um eine „realistische“ Umsetzung geht. Passend zur Passionszeit soll der Held ans Kreuz, das schnell aus Bierkästen errichtet wird, geheftet werden – das Kölner Publikum nimmt's vergleichsweise gelassen hin. Der Schluss mit übergewichtiger, stark tätowierter Mama schwört alle bösen Klischees über gescheiterte Existenzen, die von der Sozialhilfe leben, herauf. Die westliche Welt mit ihren Mythen und Helden landet schließlich bei Hartz IV. Damit gehört der Held der westlichen Welt sicher zu den schwärzesten Opern der jüngeren Musikgeschichte. Das Kölner Premierenpublikum schwankte zwischen höflichem Beifall und maßvollem Protest.


FAZIT

Sicher eine der besseren „neuen“ Opern, trifft der Held der westlichen Welt den Nerv der Hartz-IV-Zeit: Bei allen Einwänden eine Uraufführung, über die sich das Diskutieren lohnt. Musikalisch makellos.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung
Karoline Gruber

Bühne
Thilo Reuther

Kostüme
Henrike Bromber

Bewegungsregie
Beate Vollack

Licht
Dirk Sarach-Craig

Dramaturgie
Oliver Binder


Statisterie der Bühnen Köln

Chor der Bühnen Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Der Held
Claudia Rohrbach

Die Wirtin Liebe
Viola Zimmermann

Das männliche Monster Papa
Andres Reblin

Das Wrack Mama
Andrea Andonian

1. Bursche
Timm de Jong

2. Bursche
Adrian Strooper

Das beste Schaf
Timm de Jong

1. Bursche
Cordula Hack

Der Engel der Arbeit
Rosl Schumacher


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)





Da capo al Fine

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