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Musiktheater
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Hänsel und Gretel
Märchenspiel in drei Bildern
Text von Adelheit Wette
Musik von Engelbert Humperdinck


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 17. November 2005

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Die dunkle Seite des Märchens

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre

Vergrößerung in neuem Fenster Kinderspiele: Hänsel (Regina Richter) neckt Gretel (Claudia Rohrbach) nach Jungenart

Ein jeder Engel ist schrecklich. So befindet Rainer Maria Rilke in der ersten der Duineser Elegien, und fügt erklärend hinzu: Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Engel, die von Rilke geschaffen sein könnten, sind in der Kölner Neuinszenierung von Humperdincks Hänsel und Gretel von Beginn an präsent; einer steht am Zaun, einer sitzt auf dem Dach der armseligen Hütte. Mit den üblichen goldgelockten Kinderchor-Engelchen oder Raffaels verschmitzt dreinschauenden Putten haben sie nicht viel gemein; diese Engel sind trotz aller androgynen Züge männlich, trotz ihrer äußerst zerbrechlichen Flügel. Es geht etwas Geheimnisvolles, auch unterschwellig Bedrohliches von Ihnen aus, und sie sind eine Macht, denen die Kinder ausgeliefert sind.


Vergrößerung in neuem Fenster Die Nacht im düstren Wald gebiert Ungeheuer. Die Gestalt links im Bild ist keines, sondern das Sandmännchen (Myung-Hee Hyun), die das Geschwisterpaar in den Schlaf befördert.

Der Auftritt der vierzehn im Abendsegen herbeizitierten Engel ist die eindrucksvollste Szene der Produktion, in der Jürgen Rose gleichermaßen für Regie wie für Ausstattung und Lichteffekte verantwortlich ist. Der auf den ersten Blick fotorealistisch gemalte Wald hat surreale Züge und vermittelt mit seinen düsteren Bäumen eine gefährliche Grundstimmung für das gesamte Werk. Der Baum, auf dem Hänsel und Gretel sich zum Schlafen niederlassen, umklammert die Kinder mit seinen Ästen, und wenn die Armada der Engel die beiden Schlafenden herunter hebt, hat das auch den Charakter einer Leichenprozession (allerdings lässt aus dem Bühnennebel unfreiwillig Peter Jacksons Herr der Ringe grüßen). Rose beschwört die dunkle Seite des Märchens wie eine Schicht des Unterbewussten, die immer präsent ist, auch wenn das scheinbar harmlose Märchenspiel an der Oberfläche bleibt. Hier greifen das Regiekonzept und die stark symphonisch geprägte musikalischen Interpretation ausgezeichnet ineinander: Markus Stenz dirigiert das Werk nicht als Märchen-Singspiel, sondern als große spätromantische Oper mit allem tiefenpsychologischem Bombast der Wagner-Nachfolge. Unter der Kinderlieder-Schicht von „Brüderlein, komm tanz' mit mir“ und „Ein Männlein steht im Walde“ tun sich musikalische Abgründe auf.


Vergrößerung in neuem Fenster Schrecklich schöne Schutzengel behüten Hänsel und Gretel im Schlaf.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?"; Regina Richter (Hänsel), Claudia Rohrbach (Gretel)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: Abendsegen; Regina Richter (Hänsel), Claudia Rohrbach (Gretel)
(MP3-Datei)


Leider glaubt Jürgen Rose (wie die meisten Regisseure von Hänsel und Gretel), dem Stück eine plausible psychoanalytische Erklärung beigeben zu müssen, und so mutiert die strenge Mutter in der Perspektive der bestraften Kinder zur Hexe (und der Vater gleich dazu, schließlich will man in Köln nicht frauenfeindlich inszenieren, sodass beim Hexenritt ein veritables Duo auf dem Besen herumhüpft und Humperdincks Musik im Duett singt: Nicht ganz werktreu, aber politisch korrekt). Inhaltlich wirkt die psychologisierende Sichtweise in dieser Konkretisierung allzu plakativ (und wiederum für Kinder, die man als Zielpublikum mit vielen Nachmittagsvorstellungen anvisiert, unnötig irritierend). Musikalisch ist diese Sichtweise unglücklich, weil Dalia Schaechter in dieser Doppelrolle zwar um große Nuancierung bemüht ist und mit ihrer großen Bühnenerfahrung die Rolle differenzieret gestaltet, aber ihre Stimme nicht mehr die Kraft besitzt, sich gegen den satten, dabei oft wenig sängerfreundlichen Sound des Orchesters zu behaupten. Martin Ganter singt den Vater mit elegantem, sauber geführtem Bariton und komödiantischen, in der Beschwörung der Hexenwelt fast ironischen Untertönen – als Verkörperung der „wirklichen“ Hexe wirkt er aber dadurch deplatziert.


Vergrößerung in neuem Fenster Knusper, knusper Knäuschen: Im Wald warten unerwartete Leckereien auf Hänsel und Gretel.

Überzeugender ist die Regie dann, wenn sie vor der Kulisse des bedrohlichen Waldes einfach nur das Märchen erzählt. Unnötiger Aktionismus wie eine Horde von Hexen auf Rollschuhen oder ein Hexendouble, das auf dem Besen durch die Luft reitet, mag kurzzeitig für Belustigung sorgen, ist aber eher störend, weil von der Musik abgelenkt wird. Denn Claudia Rohrbach als mädchenhafte Gretel mit schöner, schlanker Stimme und Regine Richter mit vollerem, etwas abgedunkeltem Mezzosopran als Hänsel können durch schauspielerische wie musikalische Präsenz das Publikum in ihren Bann ziehen, ohne dass es größerer szenischer Aktionen bedurft hätte. Beide Stimmen sind gut aufeinander abgestimmt und in den Orchesterklang eingebettet, wo sie wie zusätzliche Klangfarben erscheinen. Die koreanische Sopranistin Myung-Hee Hyun ist - nicht nur was das Aussehen betrifft, sondern auch vom Charakter der zerbrechlich anmutenden, aber leuchtkräftigen Stimme - ein knabenhaftes Sand- und Taumännchen.


Vergrößerung in neuem Fenster Wer unerlaubt nascht, hat ein schlechtes Gewissen. In der Kinderperspektive wird aus den strafenden Eltern ein Hexendoppel.

Das Gürzenich-Orchester und das Dirigat von Markus Stenz bestechen durch den schnellen Wechsel der Klangfarben und gleichzeitig großformatige Spannungsbögen, in die alle Gesangs-„Nummern“ schlüssig eingebaut werden. Die Musik entwickelt dadurch große Sogkraft, die vom Orchester getragen wird. Der luxuriöse und schwelgerische Klang geht allerdings auf Kosten der Genauigkeit, am deutlichsten am Beginn des Vorspiels. Was breit und getragen klingen soll, wird durch die fehlende Präzision unnötig breiig (und auch die Intonation muss sich zwischen Holz- und Blechbläsern erst einpendeln). Aber trotz einiger Abstriche schien das Premierenpublikum geradezu erleichtert, nach den (zumindest szenisch) gescheiterten Produktionen von Henzes Bassariden und Offenbachs Orpheus in der Unterwelt wieder eine solide Premiere erlebt zu haben und bedankte sich mit viel Beifall.


FAZIT

Szenisch wie musikalisch gelungene Produktion, die man trotz einiger Schönheitsfehler Kindern und Erwachsenen gleichermaßen empfehlen kann.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung, Ausstattung,
Lichtkonzept
Jürgen Rose

Choreographie
Marco Santi

Mitarbeit Regie
Georgine Balk

Mitarbeit Bühnenbild
Andreas Schwark

Mitarbeit Kostüm
Ines Burisch

Licht
Guido Petzold

Chor
Eberhard Metternich

Oliver Sperling


Mädchen und Knaben der
Chöre am Kölner Dom Köln

Statisterie der Bühnen Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Hänsel
Regina Richter

Gretel
Claudia Rohrbach

Mutter / Hexe
Dalia Schaechter

Vater
Martin Ganter

Sandmännchen / Taumännchen
Myung-Hee Hyun


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)





Da capo al Fine

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