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Der König Kandaules

Oper in drei Akten
Libretto von Alexander Zemlinsky
nach dem Drama Le Roi Candaule von André Gide
in der deutschen Übersetzung von Franz Blei
Musik von Alexander Zemlinsky

In deutscher Sprache mit französischen und flämischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Théâtre Royal de Liège am 27. Januar 2006
Koproduktion mit der Opéra de Nancy et de Lorraine

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Opéra Royal de Wallonie
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Vom Unbehagen in der Kultur

Von Stefan Schmöe / Fotos von der Opéra Royal de Wallonie


König Kandaules ist unsagbar reich. Die Armut im Land (von der er nichts weiß) könnte er quasi aus der Portokasse beseitigen. Der Fischer Gyges ist unsagbar arm, selbst Hütte und Netz hat er verloren. Kandaules hat eine unglaublich schöne Frau, Nyssia, die im Verborgenen lebt, aber Kandaules will ihre Schönheit der Welt zeigen. Gyges hat eine Frau, Trydo, die er vor den Augen des Hofstaats tötet, als er begreift, dass sie eine Affäre mit einem Höfling hatte und er sie also nicht mehr allein besitzt. Kandaules und Gyges verkörpern Gegenpole, die sich anziehen und umkreisen und gegenseitig vernichten müssen. Alexander von Zemlinskys spätes (1935 begonnenes) und nicht mehr vollständig instrumentiertes Operndrama Der König Kandaules - erst 1996 wurde die vervollständigte Fassung uraufgeführt - basiert auf dem gleichnamigen Drama von André Gide von 1899, dessen deutsche Übersetzung durch Franz Blei Zemlinsky mit wenigen Veränderungen zum Libretto straffte. An einer naturalistischen Erzählweise war schon Gide nichts gelegen; vielmehr zeigt das Libretto Querverbindungen zum symbolistischen (Musik-)Drama wie Debussys Pelleas et Melisande. Kandaules, Gyges und Nyssia sind kaum fassliche Gestalten, allesamt von einer rätselhaften Aura umgeben.

Vergrößerung Herrenparty bei König Kandaules

Ein Ring, der unsichtbar macht, und der Schleier, der Nyssias Angesicht verhüllt, bilden die zentralen Symbole: Sehen und Nichtsehen ist das Thema des Stückes. Im verhüllenden Schutz des Ringes soll Gyges auf Kandaules Wunsch unsichtbar die unglaubliche Schönheit der Nyssia erblicken, und er kann der Versuchung nicht widerstehen und verbringt (unerkannt, weil sie ihn für Kandaules hält) eine Liebesnacht mit der ahnungslosen Nyssia. Diese befiehlt ihm, als sie die Angelegenheit durchschaut, den König – der sie in ihren Augen verraten hat – zu töten. Gides Drama ist als Parabel auf den scheiternden Künstler des Fin de Siècle gedeutet worden – der Kraftmensch Gyges triumphiert ganz im Sinne Nietzsches über den wankelmütigen Kandaules. In der Neuinszenierung der Oper an der Opéra Royal de Wallonie im belgischen Liège wird eher die Nähe zu Zemlinskys Zeit- und Schicksalsgenossen Siegmund Freud deutlich (beide mussten vor dem Naziterror aus Deutschland emigrieren). Zemlinskys Musik gewinnt die Bedeutung eines tiefenpsychologischen Kommentars, der subkutan der Handlung unterlegt ist und diese jederzeit bestimmt. Parallelen etwa zwischen Freuds Aufsatz vom „Unbehagen in der Kultur“ von 1930 und den zwischen Eros und Tod zerriebenen Hauptfiguren der Oper liegen nicht nur der zeitlichen Nähe wegen nahe.

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Gegenwelten: Gyges (sitzend: Werner van Mechelen) und Kandaules (Gary Bachlund)

Dirigent Bernhard Kontarsky ist wenig an den spätromantischen Zügen Zemlinskys gelegen; vielmehr hebt er die Neuerungen hervor. Bei allen (vereinzelt) aufblitzenden Anklängen an die Strauss'schen Psycho-Schocker Salome und Elektra macht Kontarsky in der außerordentlich transparenten, trotz riesiger Orchesterbesetzung (bei der angesichts der Bläserübermacht die Streicher dennoch unterrepräsentiert erscheinen) kammermusikalisch klaren Interpretation nicht nur eine Verwandschaft mit Debussy, sondern auch mit der Zemlinsky nachfolgenden Generation Alban Bergs und Anton Weberns deutlich. Gerade das aufgebrochene, in seine elementaren Bestandteile zerlegte Klangbild Weberns prägt die musikalische Gestaltung und zeigt einen (trotz des - bei allem harmonischen Wagemut - letztendlichen Insistierens auf der klassische Funktionsharmonik) „modernen“ Zemlinsky. Das Orchester der Opéra Royal setzt dies engagiert und diszipliniert um, dürfte aber etwas mehr Glanz (vor allem in den oft unsauberen Streichern) besitzen.

Vergrößerung Sehen und nicht sehen: Nyssia (Barbara Haveman), Kandaules (mitte: Gary Bachlund) und - für die anderen unsichtbar - Gyges (Werner van Mechelen)

Angesichts der tragenden Rolle des Orchesters ist die dekorative, dabei ästhetisch sehr überzeugende Inszenierung von Jean-Claude Berutti wohltuend zurückhaltend mit eigenen Deutungen. Berutti überfrachtet das Stück nicht, setzt aber einige markante Akzente. Er verlegt die Handlung in eine (irreale) Gegenwart. Bühnenbildner Rudy Sabounghi hat einen mit rotem Samt ausgeschlagenen postmodernen Salon von großer geometrischer Strenge geschaffen, der beeindruckend die Klammer zwischen plüschiger Fin-de-Siècle-Atmosphäre und der Sachlichkeit des 21. Jahrhunderts schafft und in der die illustre Männerrunde um Kandaules im würdevollen Outfit des diplomatischen Corps irgendwo zwischen Brüssel, Berlin oder Wien agiert (Kostüme: Colette Huchard). Kandaules' manische Sucht, seine Macht, Reichtum und schließlich die Schönheit seiner Gattin vorzuführen, zeigt sich darin, dass er permanent alles um sich herum fotografieren muss (das Schlafgemach der Nyssia ist gar ein komplettes Fotostudio). Darin wird deutlich, wie sinnentleert und nur auf Dokumentation dessen, was er mehr verwaltet als besitzt, ausgerichtet sein handeln ist. Gyges als zupackender Liebhaber hat da nicht allzu viel Mühe, Nyssia die aufregendste Liebesnacht ihres Lebens zu bereiten. Dem Regieteam gelingt es recht geschickt, im Halbdunkel hinter der Gardine gerade genug davon zu zeigen, ohne in Peinlichkeit zu enden.

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Ende des Versteckspiels: Gyges (Werner van Mechelen) offenbart sich Nyssia (Barbara Haveman)

Exzellent ist die nuancierte Personenregie, die stark choreographisch angelegt ist. Dadurch wirkt die Inszenierung trotz unzähliger, sauber ausgearbeiteter Details keineswegs naturalistisch, sondern behält etwas schwebend Unwirkliches. Das Ensemble bewältigt dies mit außerordentlich diszipliniert - jede noch so kleine Geste hat hier ihren genau festgelegten Ablauf und ihren (ästhetischen) Sinn. Musikalisch kann dieser hohe Standard nicht ganz gehalten werden. Gary Bachlund gibt in der Titelrolle einen ergrauten, sehr eloquenten Gastgeber mit perfekten Umgangsformen (hinter denen man das Gewaltpotential ahnt) ab. Stimmlich allerdings hat er Mühe, sich gegen das (von Kontarsky sängerfreundlich zurückgenommene) Orchester zu behaupten. In der hohen Lage wird sein in der Tiefe charmant baritonal eingefärbter Tenor eng und gequetscht. (An seiner eigenwilligen Aussprache des deutschen Textes wird sich das wallonische Publikum vermutlich weniger stören.) Mehr vokale Präsenz zeigt der solide und robuste, dabei sauber geführte Bariton von Werner van Mechelen in der Rolle des Gyges. Barbara Havemans Sopran wirkt für die Nyssia zu Beginn zerbrechlich und fast zu klein für die dramatischen Stellen. Im Schlussakt legt sie aber gehörig zu, und mit unerwartet zupackender verbaler Attacke besteht sie die hochdramatischen Momente des Finales. Im Rückblick erkennt man darin die Entwicklung der Figur vom zarten und gefährdeten Objekt männlicher Begierde hin zur treibenden und vernichtenden Kraft. Im Schlusstableau hält sie die Fäden in der Hand. Diese Brüche machen die Figur interessant. Solide besetzt sind die kleineren Rollen. Insgesamt eine beachtliche Leistung, die stimmig ist mit der Interpretation - auch wenn sie nicht viele vokale Glanzlichter setzt.



FAZIT

Ungeachtet einiger musikalischer Abstriche gelingt der Lüttischer Oper eine sehr eindrucksvolle Produktion eines faszinierenden, trotz der anhalten Zemlinsky-Renaissance noch zu selten gespielten Werks.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bernhard Kontarsky

Inszenierung
Jean-Claude Berutti

Bühne
Rudy Sabounghi

Kostüme
Colette Huchard

Licht
Laurent Castaing

Dramaturgie
Frédéric Roels

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Nyssia
Barbara Haveman

Trydo
Mireille Bailly

König Kandaules
Gary Bachlund

Gyges
Werner van Mechelen

Phedros
Peter Edelmann

Syphax
James McLean

Nicomedes
Patrick Delcour

Pharnaces
Randall Jakobsh

Philebos
Jean Teitgen

Simas
Guy Gabelle

Sebas
François Piolino

Archelaos
Léonard Graus

Koch
Roger Joakim



Weitere
Informationen

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Opéra Royal
de Wallonie

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