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Ein großer Abend
Von Thomas Tillmann
Als zweiter Teil des Eröffnungsprogramms zur Übernahme der Intendanz des Nationaltheater Mannheims durch Regula Gerber stand am 1. Oktober eine Operngala auf dem Programm, die gleichzeitig den Auftakt bildete zu der beliebten Reihe Die Festlichen Opernabende. Weltstars am Nationaltheater Mannheim, in deren Verlauf Künstler wie Malin Hartelius, Sumi Jo, Daniel Kirch, Kurt Moll (in Die Zauberflöte am 4. Dezember), Marcelo Álvarez, Ruth Ann Swenson, Elena Mosuc (in La Bohème am 5. März 2006), Violeta Urmana, Endrik Wottrich (am 23. April 2006 in der legendären Parsifal-Inszenierung von Hans Schüler), Sophie Koch, Rolando Villazón (am 28. Mai 2006 in Werther), Lado Ataneli und Ramón Vargas (in Un ballo in maschera am 16. Juli 2006) gastieren - wenn sie nicht mehr oder minder kurzfristig absagen. Dies hatte auch das ehemalige Ensemblemitglied Gabriele Schnaut aus gesundheitlichen Gründen Mitte der Woche tun müssen, wie die neue Generalintendantin dem Publikum mit viel Charme erklärte und gleichzeitig mit Luana DeVol einen adäquaten Ersatz und eine Sängerin ankündigte, die ebenfalls in Mannheim engagiert war (Ende der achtziger Jahre sang sie in Die Frau ohne Schatten, Elektra, Un ballo in maschera, Aida und Tannhäuser, 1988 machte sie hier ihr Rollendebüt als Elsa, 1992 als Brünnhilde im Siegfried) und dort zuletzt im vergangenen November als Isolde zu hören war. Ich wünschte, ich könnte dem Verfasser der auch sprachlich beeindruckenden biografischen Bemerkungen zustimmen, die man im Foyer ausgelegt fand: "Sie zählt derzeit zu den interessantesten, stimmlich ungewöhnlich frischen Erscheinungen im Fach der Hochdramatischen, die mit ihrer höchst individuellen Stimme zu den wichtigsten Wagner-Protagonistinnen zählt." Es wird mir immer wieder vorgeworfen, ich hätte etwas gegen die Sängerin, aber wer meine Berichte aufmerksam verfolgt, der weiß, dass ich sie in den Jahren, in denen sie in Düsseldorf als Aida, Tosca, Fidelio oder Ariadne gastierte, im richtigen Repertoire sehr geschätzt habe. Die lyrischen Stellen von Turandots "In questa reggia" lassen diese Vergangenheit und die Stärken ihres Soprans noch erahnen, aber im Forte wird er scheußlich scharf, und anders als manchem gelingt es mir nicht, über den ausladenden wobble hinwegzuhören. Bei den ganz hohen Tönen ging die Stimme manches Mal zudem im Orchester unter, in der Schlussphrase verzichtete die Sängerin ganz auf den in Klavierauszug und Partitur festgelegten Text (Johan Botha assistierte hier mit mühelosen, strahlenden Spitzentönen), das C klang gänzlich ausgebleicht und flach und rechtfertigte weder die enthusiastischen Publikumsreaktionen noch eine Wiederholung der Szene am Ende des Abends. Bis heute fehlt es der Stimme an Resonanz, Kraft und Volumen in der Tiefe und der unteren Mittellage (man wundert sich, dass Luana DeVol in dieser Saison sowohl an der New Yorker Met als auch in Barcelona wieder Ortrud singen will), die man für die Elektra eben auch braucht, und dieses Manko wird keineswegs aufgewogen durch die vielen grellen, gequetschten und flackernden Töne in der Höhe oder die sehr engen und wahrlich nicht souveränen über dem System (das C in alto gegen Ende des Monologs etwa musste sie mehrfach ansetzen, ohne dass man einen wirklich durchschlagenden, klangvollen Ton gehört hätte). In mancher Passage war die Amerikanerin schlichtweg wieder nicht zu hören, obwohl ihr Dirigent und Orchester es wahrlich nicht sonderlich schwer machten, und auch als Interpretin fand ich sie einmal mehr nicht so zwingend wie viele andere und empfand ihre Ausdrucksmittel als ausgesprochen pauschal und oberflächlich. Dass die Amerikanerin inzwischen einige Erfahrung und Routine im hochdramatischen Fach erworben hat, was ja immer gern angeführt wird, lässt sich wohl kaum verhindern und sagt doch nichts über die eigentliche Leistung oder Qualität, dass sie für November und Dezember 2006 Auftritte als Mutter in Hänsel und Gretel in Los Angeles geplant hat, könnte zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit inzwischen selber erkannt hat. Und so bleibe ich dabei: Irgendwie bei dieser zweifellos schweren, aber von anderen doch auch bewältigten Musik mit peinigenden Geräuschen und Geschrei durchzukommen, dabei schmerzverzerrt ins Publikum zu starren, mit wilden Gesten von der vokalen Not abzulenken (versuchen Sie es vor dem Badezimmerspiegel nachzumachen, Sie werden sich vor sich selber fürchten!) und dies als große Kunst zu verkaufen, ist unseriös und wird kein bisschen besser dadurch, dass andere es noch schlechter machen (oder sind wir so weit, dass wir jeder Respekt zollen, die angesichts der großen Anforderungen nicht sofort zu weinen beginnt?), dass zweifelhafte Umfragen sie zur Sängerin des Jahres gekürt haben und dass die Mehrheit der Zuschauer in entfesselte Bravorufe ausbricht, was psychologisch angesichts dieser umwerfenden Musik, der teuer erworbenen Karten, der Konfrontation mit Jubelkritiken aus wenig berufenem Mund und all den Tricks der Künstlerin, sich als sympathische, volkstümliche Person zu präsentieren, natürlich nachvollziehbar ist. Unter diesen Umständen war ich nicht allzu enttäuscht, dass der Auszug aus dem ersten Akt der Walküre erst mit den "Winterstürmen" begann, die dank der an italienischen Partien geschulten Phrasierungseleganz und Legatokunst Johan Bothas natürlich ein Erlebnis waren, der hier auch erstaunlich sinnlich klang, aber eben noch nicht sehr idiomatisch. Ehrlich gesagt mag ich beim Siegmund eigentlich auch dunklere, baritonalere Stimmen, und ich denke, der Sänger ist gut beraten, wenn er mit einer Erweiterung seines Wagner-Repertoires über Stolzing und Lohengrin hinaus noch eine Weile wartet oder vielleicht auch ganz darauf verzichtet. Seine Kollegin hat die Sieglinde meines Wissens auch nie gesungen, so dass ihre Interpretation nicht mehr als eine Skizze war, und auch hier ist es der Mangel an Farbe, an Klang in der tieferen Lage, der eine weitere Beschäftigung mit der Rolle nicht nahe legt. Der Südafrikaner und Wahl-Wiener hatte mit der Romanze des Radamès begonnen und hier bewiesen, dass die Stimme auch in tiefer gelegenen Passagen die richtige Rundung und einen vollen, leuchtenden Klang besitzt, dass sie in mezza voce und Piano keinesfalls an Qualität verliert und dass er - anders als viele behaupten - auch an seiner Textausdeutung gearbeitet hat. Beeindruckend ist, mit welcher Leichtigkeit er diese größtenteils in brutaler Lage notierte Arie bewältigt - wer singt das heute so mühelos, dazu ganz zu Beginn eines Programms, wer schafft das gefürchtete B wirklich im Piano und mit einem so vorbildlichen Morendo? Für den Otello, dessen letzte Szene er im weiteren Verlauf sang, mag der Künstler nicht ganz die richtige (dunkle) Farbe haben, aber dafür, dass er die Partie meines Wissens noch nie gesungen hat (solche Informationen übrigens erwarte ich von einem Programmheft!), war seine Gestaltung erstaunlich tief empfunden, wenn auch noch nicht wirklich bis ins Letzte ausgefeilt. Die Ausbrüche indes waren überrumpelnd in ihrer Wucht, die zarten Momente berührend, und auch einige fahlere Töne traute der Künstler sich in sein Portrait des sterbenden Generale einfließen zu lassen. Der Höhepunkt des Abends war für mich aber die erste Zugabe, Johan Bothas der Vollendung nahe kommende Wiedergabe der Gralserzählung aus Lohengrin mit wunderbarem Ton, einem nahezu exemplarischen Legato und vielleicht etwas zu lang gehaltenen Einzeltönen. Größten Anteil am Erfolg des Abends hatte zweifellos Frédéric Chaslin, der neue Generalmusikdirektor des Nationaltheaters, der seit 1999 auch fester Dirigent an der Wiener Staatsoper ist, regelmäßig an der Bayerischen Staatsoper München, der Deutschen Oper Berlin und an der Opéra National de Paris arbeitet und nach seinem Debüt an der New Yorker Met im Jahre 2002 im vergangenen November und Dezember dorthin zurückkehrte. Da gab es eine Wiederholung der Forza-Ouvertüre, die ich wie am Vorabend zwar spannend und stringent fand, aber eben doch auch zu schnell, zumal auch diesmal das Orchester manche Passage einfach nicht im verlangten Tempo schaffte. Die gleichermaßen konzentriert wie kontrollierte, zwar ebenfalls sehr zügige, aber nicht gehetzt wirkende und auf vordergründige Effekte verzichtende, manchmal sogar reizvoll unterkühlt wirkende Wiedergabe des Tanzes der sieben Schleier aus Salome machte Appetit auf die Neuproduktion der Strauss-Oper, die am 14. Januar 2006 Premiere hat (dass dem Franzosen am Ende der Taktstock davonflog, sagt viel über die Verve und Leidenschaftlichkeit seines Dirigierens), und auch die sehr frische, geradezu überrumpelnd sinnliche, schwelgerisch-wuchtige Version der Ouvertüre zu Die Meistersinger von Nürnberg konnte (nach etwas ungeschlachtem Beginn) mehr als überzeugen, auch wenn man diese Musik natürlich schon mit mehr Tiefgang interpretiert gehört hat.
Für die Mehrheit der Besucherinnen und Besucher war dies zweifellos ein ganz großer Abend, für den Rezensenten dank der Leistungen des Tenors und des Orchesters immerhin ein Großer. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
SolistenLuana DeVol, SopranJohan Botha, Tenor
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