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Musiktheater
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Sofonisba

Dramma per musica
von Tommaso Traetta
Text von Mattia Veraci
nach dem Libretto von Antonio Maria Zanetti
und Girolamo Francesco Zanetti
zu dem gleichnamigen Dramma per musica
von Niccolò Pomelli (Venedig 1746)

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 1/4 Stunden (eine Pause)

Premiere am 25. Februar 2006
Besuchte Vorstellung: 10. März 2006
im Nationaltheater Mannheim


Homepage

Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Musikalischer Schatz gehoben

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel


Prunkstück an den absolutistischen Fürstenhöfen im 18. Jahrhundert war die Oper. In der kurpfälzischen Residenz in Mannheim blühte diese Kunst ganz besonders üppig und vor allem in großer Vielfalt. Christian Friedrich Daniel Schubart, der im nahen Württemberg in Ungnade gefallene Dichter, rühmte die Mannheimer Hofoper als Ort, an welchem man gleichsam repräsentativ den musikalischen Zeitgeist in seiner ganzen Breite aufnehmen könne. Das Repertoire aller bedeutenden zeitgenössischen Komponisten sei dort bestens vertreten.

Die Blüte der Mannheimer Hofoper dauerte von 1742, als sie vom Kurfürsten Carl Philipp gegründet wurde, bis zur Verlegung der Residenz nach München (1778) durch seinen Nachfolger, den berühmten Carl Theodor, der die reiche Tradition am Bayerischen Hof für eine Weile fortleben ließ und u.a. Mozart den Auftrag zum "Idomeneo" gab.

Stütze der Mannheimer Hofoper war die Hofkapelle, gerühmt als das seinerzeit beste Orchester im Heiligen Römischen Reich und Namensgeber der "Mannheimer Schule" mit ihrer kreativen und innovativen Kompositions- und Aufführungspraxis. Auch Mozarts Musiksprache hat davon nachweislich profitiert.

Zwei Theatersäle standen an der Residenz zur Verfügung: das große Hoftheater im kurfürstlichen Schloss, das den Zeitgenossen als einer der prächtigsten Theaterbauten galt und für die Sommerszeit das kleine Schlosstheater im barockisierten Renaissanceschloss zu Schwetzingen, das bis heute seine Originalgestalt bewahrt hat und alljährlich Mittelpunkt der Schwetzinger Festspiele ist.

Rund 35 Jahre bewegte Operngeschichte wurden in Mannheim Mitte des 18. Jahrhunderts also geschrieben, illustre Namen darunter Galuppi, Jomelli, Paisiello, Piccini, Salieri tauchen darin auf. Die Neapolitanische Oper hatte in Mannheim einen festen Platz, auch deren deutsche Ableger wie Johann Christian Bach oder Ignaz Holzbauer, der seit 1753 dort Erster Hofkapellmeister war. Schließlich hielt die Reformidee der 1775iger Jahre Einzug auch in Mannheim: die deutsche Oper, zu der auch Mozart gern einen Beitrag geleistet hätte - "...wen ich der teutschen National bühne in der Musik empor hülfe, das würde durch mich gewis geschehen!" - doch leider fehlte ein entsprechender Auftrag.

Freundschaftsszene:
Iris Kupke (Sofonisba)
und Cornelia Ptassek (Cirene)

1779 ging durch kurfürstlichen Erlass die Opernbühne mit Ballett und Sprechtheater im Nationaltheater Mannheim auf und war seitdem auch nicht unbedeutend. Gesangssolisten von internationalem Rang hatten und haben ein wichtiges Standbein in Mannheim. Bis zur vergangenen Spielzeit war Adam Fischer GMD am Nationaltheater. Eine neue Crew leitet seit 2005 das größte deutsche Stadttheater: Regula Gerber als Intendantin, Klaus-Peter Kehr als Operndirektor und Frédéric Chaslin als GMD. Eine Leitung mit doppelter Blickrichtung wollen sie sein: konsequent in Richtung Gegenwartsoper und neugierig auf die reiche Tradition der eigens für Mannheim geschriebenen alten Werke, die zumeist vergessen, wenn nicht gar nahezu verschollen sind.

Viele Schätze gibt es da zu heben und als erste Ausgrabung wurde nun von Tommaso Traetta die in Mannheim am 5. November 1762 uraufgeführte opera seria "Sofonisba" vorgestellt, die damals ein Riesenerfolg gewesen war, so dass sie in der darauffolgenden Spielzeit erneut gegeben wurde. Danach verschwand sie buchstäblich in der Versenkung einiger Archive und hat niemals wieder das Bühnenlicht gesehen. Mühsam wurden nun die erhaltenen Partiturabschriften für eine Wiederaufführung rekonstruiert. Das Ergebnis ist in dieser Spielzeit nun als erster Beitrag einer Reihe von Wiederbelebungen der Mannheimer Operntradition am Nationaltheater zu bewundern.

Tommaso Traetta (1727 - 79) ist gleichsam das missing link zwischen der traditionellen reinen Form der opera seria und der neuen von Gluck angestoßenen Reformoper der azione teatrale mit ihrem Anspruch auf höhere dramaturgische Stringenz und einem größeren musikalischen Formenreichtum. Traetta konnte diesen Weg dank der aufgeschlossenen Atmosphäre an seinem Dienstort Parma einschlagen, aber er ging ihn nicht konsequent zu Ende, denn die Anstellung am Hof des oberitalienischen Fürstentums endete jäh wegen der dortigen Finanzschwierigkeiten (!). Mit den Auftragswerken für andere Fürstenresidenzen musste er sich mehr deren Konventionen anpassen. Doch zwei seiner Werke können als fortschrittlich gelten: sein bekanntestes Werk "Ifigenia", für Wien 1763 geschrieben und eben die Mannheimer "Sofonisba" ein Jahr zuvor. Nach einer Anstellung in Venedig als Kirchenkomponist ging auch er wie Galuppi oder Paisiello nach St. Petersburg an den dortigen Hof. Zurück in Venedig starb er als hoch angesehener Künstler und wurde dann freilich fast vergessen.

Vergrößerung

Wutszene:
Jacek Laszczkowski (Massinissa)
und Iris Kupke (Sofonisba

Dass Traettas Musik nun mit "Sofonisba" wiederentdeckt werden kann, ist ein großes Verdienst der Mannheimer Bühne, denn mindestens in musikalischer Hinsicht kann von einer Entdeckung gesprochen werden. Was Traetta aus der konventionellen Arienform gemacht hat, weist weit voraus. "Hier ist so gar nichts von Schlendrian, alles neu, die süßeste Melodie, nichts überflüssig" - heißt es in einem zeitgenössischen Bericht über die Auftrittsarie der Titelfigur "Intensi: ti basti s´io cesso d`oriarti", eine aufgewühlte wütende Anklage gegen ihren früheren Geliebten, der jetzt mit ihren Feinden verbündet ist. Die Arie ist in der Tat beispielhaft für Traettas vielgelobtes "Originalgenie" in der Erfindung wirkungsvoller Musik. Ohne orchestrale Einleitung beginnt die Sängerin mit forscher Attacke ihren expressiven Gesang. In rhythmisch markanter Faktur wechseln rasch die Affekte. Die Orchesterbegleitung ist außerordentlich farbig, vor allem die Bläserstimmen sind fein ausgearbeitet, unverkennbar, dass hier speziell für die exzellente Mannheimer Hofkapelle komponiert wurde. An die sängerische Virtuosität werden höchste Ansprüche gestellt, die Koloraturen sind halsbrecherisch und obwohl die Arie relativ lang ist, wirkt sie keineswegs schemenhaft, sondern ist auch in den (verkürzten) Wiederholungen reich variiert und abwechslungsreich. Zudem ist diese Arie als Handlungsarie mehr als nur die musikalische Ausstellung von Affekten.

Die zweite Meisterszene in diesem Akt sei demselben Bericht zufolge die Schlussszene, in der Sofonisbas Ehemann Siface, der sich in römischer Gefangenschaft befindet, die vermeintliche Untreue seiner Frau beklagt. Auch hier würdigt der Zeitzeuge Traettas Kunst zurecht. Auf ein Seccorezitativ folgt ein längeres Recitativo accompagnato, das in eine emotionsstarke Arie mündet. Weit über die Tradition der Seriaoper hinausgehend entfaltet Traetta hier eine große Wahrhaftigkeit und Kraft, die in ihrer dramatischen Steigerung sogar etwas von der Kerkerszene im Fidelio erahnen lässt, wenngleich es hier nicht um Befreiungsphantasien geht, sondern um das Gegenteil.

Vergrößerung Fluchtszene:
Cornelia Ptassek (Cirene), Charles Reid (Siface),
Iris Kupke (Sofonisba) mit Kind

Die Behandlung der Arien und die dramatisch glaubwürdigere Szenengestaltung sind es also, die Traetta als einen Modernen seiner Zeit ausweisen. Leider sind aber die dramaturgischen Schwächen der Handlung unübersehbar. Das Sujet stammt gemäß den Regeln der opera seria aus der antiken Geschichte. Es geht um die karthagische Prinzessin Sofonisba, die mit dem König des afrikanischen Nachbarreichs der Numidier Siface verheiratet ist, aber den wesentlich jüngeren Massinissa liebt, den König eines anderen Nachbarreichs. Letzterer hat sich mit den Römern verbündet, welche unter der Führung von Scipio africanus Karthago erobert haben. Um den Römern nicht als Kriegsbeute in die Hände zu fallen, verlangt Sofonisba von Massinissa als letzten Liebesdienst, sie zu töten. Nach ein paar Verwirrungen um den vermeintlichen Tod Sifaces, das Ansinnen Messanissas, Sofonisba zu heiraten und eine spektakuläre Flucht Sofonisbas mit Mann und Kind aus römischer Gefangenschaft nimmt sie sich schließlich wie Cleopatra mit einer Giftschlange das Leben, um der römischen Gefangenschaft endgültig zu entgehen. Kein lieto fine also, aber eine moraliserende letzte Szene beschließt die Oper.

Vergrößerung

Wutszene:
Sterbeszene: Iris Kupke (Sofonisba)

Die Inszenierung vermochte es nicht, diese Handlung schlüssig zu erzählen und ihr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Anouk Nicklisch hat stattdessen viel Aktionismus und viel Symbolik auf die Bühne gebracht. Mit allen möglichen Gegenständen wird hantiert, mit Stoffpuppen, Plastikherzen, Modellschiffchen, Kanistern und Baukastensteinchen - die langen Arien werden meist allzu krampfhaft bebildert. Eine Einsicht in Handlung und emotionale Situation wird dadurch kaum erschlossen. An wenigen Stellen kippt die Handlung etwas in revuehafte Banalität ab, etwa wenn die römischen Soldaten die (Call-)Girls von Karthago bestaunen.

Wirkung macht szenisch allenfalls das raffinierte Bühnenbild (Roland Aeschlimann) aus senkrechten Lamellenteilen, durch welche der Bühnenraum immer wieder anders geteilt und erschlossen wird. Eine breite Treppe führt vom erhöhten Orchestergraben zur Bühne hinauf, Anklang an antike Architektur. Die Kostüme von Yoshio Yabara sind dagegen zeitlos. Zwar erlesen im Design bleiben sie aber etwas nichtssagend. Die römischen Eroberer sind in Khaki-Uniformen im Kolonialstil gesteckt, während die Afrikaner in üppigen Roben daherkommen. Das ist schön anzusehen, aber dramaturgisch wenig von Bedeutung. Alles wirkt stattdessen als ein etwas unentschlossener Stilmix, wie auch die Lichtregie wenig sinnstiftend wirkt.

So konnte diese Produktion wenigstens von der szenischen Seite her die Wiederaufführung dieser Oper kaum rechtfertigen, aber umso mehr von der musikalischen. Es war eindeutig ein Triumph der Musik über die Szene und ein Fest großartiger Sänger, was die mehr als drei Stunden Aufführungsdauer zu einem sehr kurzweiligen Erlebnis machte.

In der Rolle des Massinissa war der Sopranist Jacek Laszczkowski zu erleben, der sich atemberaubend koloratursicher erwies. Aber manchen Spitzenton exklamierte er eher, als dass er ihn sang. Zudem spielte er intensiv eine große Emotionalität aus, was den Tonansatz nicht selten unkontrolliert werden ließ. Dennoch, in eher ruhigen Passagen entfaltete sein Gesang sehr schöne Wirkungen. Den Siface sang Charles Reid mit großer Stimme und tenoralem Glanz. Als Scipione war der Altus Martin Wölfel mit seiner weichen Stimme eher ein melancholischer Feldherr.

Zwei Frauenrollen hat die Oper, außer der Titelheldin die numidische Prinzessin Cirene. Durch passende Besetzung waren die Stimmcharaktere von Cornelia Ptassek (Cirene) und Iris Kupke (Sofonisba) perfekt auf die Rollen zugeschnitten. Iris Kupke glänzte in der emotionsgeschüttelten Hauptrolle und brillierte in den schwierigen Koloraturen. Cornelia Ptassek glänzte besonders in der eher liedhaften Arie "L`istesso tormento" mit schlankem, flexiblem Sopran. Auch Christoph Wittmann war in der kleinen Rolle von Scipios General Lelio ein präsenter Sänger und Darsteller.

Hörbar hatte der Mannheimer Kapellmeister Wolfram Koloseus mit dem Orchester des Nationaltheaters sehr intensiv an der Partitur gearbeitet. Das Orchesterklangbild war plastisch und klar. Zupackend nahmen die Musiker den frischen Schwung der Musik auf und spielten auf hohem historisch informiertem Standard. Damit zeigten sich die Musikerinnen und Musiker der heutigen Mannheimer Oper als würdige Erben ihrer großen Tradition.


FAZIT

Musikalisch ist die Produktion zweifellos eine große Bereicherung. Die Inszenierung aber konnte dem Stoff kaum Reize abgewinnen. Eine konzertante Aufführung wäre eine gute Alternative gewesen, eine CD-Produktion wäre ein Glücksfall.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfram Koloseus

Inszenierung
Anouk Nicklisch

Bühnenbild
Roland Aeschlimann

Kostüme
Yoshio Yabara

Dramaturgie
Roland Quitt

Chor
William Spaulding



Statisterie des National-
theaters Mannheim

Chor und Orchester des
Nationaltheaters Mannheim


Solisten

Sofonisba,
Tochter des Karthagers Hasdrubal
und Gattin des Siface
Iris Kupke

Siface,
König des numidischen
Volkes der Massessalier
Charles Reid

Massinissa,
König des numidischen
Volkes der Massalier
Jacek Laszczkowski

Scipione,
genannt Africanus,
römischer Konsul
Martin Wölfel

Lelio,
Scipiones Generalleutnant
Christoph Wittmann

Cirene,
numidische Prinzessin
und Schwester des Siface
Cornelia Ptassek



Weitere Informationen
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Nationaltheater Mannheim
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