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La Clemenza di Tito
Opera seria in zwei Akten
Dichtung nach Metastasio von Caterino Mazzolà
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Premiere am 11. Februar im Großen Haus der Städtischen Bühnen Münster


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)
Absolution durch Mozarts Musik

Von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Hörnschemeyer


Mildtätigkeit kann auch ein Machtmittel sein. Wenn Titus in hehren Phrasen von Wohltätigkeit oder gar von einer Begnadigung spricht, dann tut er dieses wirkungsvoll vom Rednerpult aus oder in die Mikrophone der Reporter: Alles druckreif. Kein Wunder, dass das Volk ihm zujubelt; Widerspruch verbietet sich von allein. Dabei geht es im Palast streng hierarchisch und offenbar ausgesprochen autoritär zu, denn die allzeit anwesenden Wachen reagieren auf das kleinste Kopfnicken und gehen dabei ziemlich rüde mit den zu inhaftierenden Aufrührern um.

Vergrößerung in neuem Fenster Herrscher mit Repräsentationspflichten: Titus (Juhan Tralla) gibt sich als Wohltäter

Regisseur Wolfgang Quetes kommt der historischen Wahrheit damit vermutlich ziemlich nahe, da sowohl dem römischen Kaiser Titus als auch dem böhmisch-österreichischen Adel des Jahres 1791, der sich im idealisierenden Glanz des gütigen Herrschers sonnte (während in Frankreich die Revolution blutig wütete), der eigene Machterhalt näher gewesen sein dürfte als das Wohl der Untertanen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, denn die Mechanismen, die Quetes aufzeigt, funktionieren offenbar noch immer. Sein Titus, optisch eine Mischung aus Napoleon und dem inhaftierten russischen Ölmagnaten Chodorkowski, regiert in einem postmodernen Büropalast aus fensterlosen, verschiebbaren Wänden, umgeben von einer Armada von völlig gleich aussehenden Sekretärinnen und ranghohen Generälen. Das unterkühlte Bühnenbild von Heinz Balthes zeigt mit seinen ständig neu verschobenen Wänden eine sterile, labyrinthische und gleichzeitig zur Außenwelt hermetisch abgeschlossene Sphäre, in der die Macht reibungslos organisiert wird.

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Gewissensqualen: Sextus (Judith Gennrich)

Quetes' Konzept geht lange auf und entwickelt viele Spannungsmomente. Allerdings neigt der Regisseur dazu, unnötig dick aufzutragen; viele Details, deren Andeutung völlig reichen würde, sind mächtig plakativ überzeichnet. So stehen starke und plumpe Momente nebeneinander. Nicht alles ist schlüssig; warum Titus auf die Idee kommt, ausgerechnet die nun völlig unpassende Servilia zu heiraten – wohl eine Kunststudentin, die als sympathische Außenseiterin aus dem Kreis um Titus deutlich heraus fällt und keinesfalls den repräsentativen Ansprüchen des Kaisers genügen dürfte, bleibt schleierhaft. Servilia ist der positive Gegenentwurf zu der machtbesessenen Clique um Titus, der auch Vitellia angehört – die für die Macht mit jedem ins Bett gehen würde und konsequent ein solches als Attribut nachgetragen bekommt. Auch das wirkt zunächst allzu eindeutig (sie müsste nicht so penetrant an Sextus' Hose herumnästeln), gewinnt aber später an Bedeutung, wenn dieses Bett beinahe wie ein Gefängnis für sie wird. In der schönsten Szene tröstet Servilia die verzweifelte Vitellia, während Annius sie ungeduldig wegzerren will – ein kurzer Moment des Verstehens unter Frauen. Die Männer (auch Sextus) dagegen bleiben blind.

Vergrößerung in neuem Fenster Krisensitzung: Vitellia (Stefanie Smits, l.), Annius (Kirsten Grotius, hinten) und Servilia (Julia Neumann)

Als Ganzes gesehen scheitert die Inszenierung - und zwar nach dem letzten Ton der Oper: In einer überraschenden Schlusspointe wird Titus, der sich selbst auf einen Sockel gestellt hat und sich feiern lässt, von den Generälen ermordet. Vielleicht will Quetes noch einmal unterstreichen, dass er nicht an die Clemenza, die „Milde“, glaubt – aber er stellt damit alles Vorangegangene in Frage. Diese Milde, die zuvor als effizientes Machtinstrument entlarvt worden ist, erscheint im Rückblick als böser Fehler. Waren die zweieinhalb Stunden Diskurs über Herrschaftspolitik also völlig umsonst?

Zum Glück erzählt die Musik noch eine andere Geschichte. Eine Woche zuvor hat die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf, für viele Münsteraner Opernfreunde durchaus noch in Reichweite, mit Titus musikalische Maßstäbe gesetzt (unsere Rezension). Die Produktion in Münster kann trotz einiger Schwächen daneben durchaus bestehen, insbesondere weil sie orchestral einen völlig anderen beschreitet. Anders als Andreas Stoehr in Düsseldorf, der sich an der historischen Aufführungspraxis orientiert und einen trockenen, auch „harten“ Mozart spielen lässt, dirigiert Rainer Mühlbach in Münster einen „empfindsamen“ Mozart in moderner Spielweise. Verblüffend ist der samtweiche Klang, den Mühlbach mit dem (in der Vergangenheit häufig recht ruppigen) Orchester erzielt. Dabei spielt das Orchester ebenso präzise wie differenziert, und was in Düsseldorf bei aller Brillanz verloren geht, nämlich ein tragfähiger, lebendiger Holzbläserklang, bekommt man in Münster bestens zu hören: Nuancierte Kantilenen, die der Partitur eine eigene (andere) Farbe verleihen.

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Wer milde ist, verdient auch einen Platz auf dem Sockel: Titus (Juhan Tralla) triumphiert

Interpretiert Stoehr den Titus unter dem strengen Blickwinkel der alten opera seria, so klingt bei Mühlbach vielfach Cosí fan tutte nach. Dadurch wird das Spiel doppelbödig: Text und Musik sagen keineswegs zwangsläufig das Gleiche. Vielmehr macht die Musik hinter den starren Mechanismen der äußeren Handlung das Innenleben der Figuren erlebbar, und musikalisch erteilt Mozart die Absolution für die Verfehlungen. In dieser Aufführung liefert das Orchester den entscheidenden Kommentar.

Auch gesungen wird dabei ordentlich. Juhan Tralla ist ein kraftvoller Titus mit viel „italianitá“; der Wechsel von Mozart zu Verdi und Puccini scheint bevorzustehen. Ein paar tenorale Schluchzer, die stilistisch hier nicht hingehören, schmuggelt Tralla mit ein. Der Preis für die energische Attacke sind allerdings völlig misslungene Koloraturen. Unausgeglichen und in den dramatischen Passagen mitunter flach ist die Vitellia von Stefanie Smits, die aber insbesondere im zweiten Akt auch eindrucksvolle Momente bietet. Judith Gennrich hat als Sextus zwar eine relativ kleine, aber dennoch tragfähige und bewegliche Stimme. Julia Neumann ist eine zurückhaltend lyrische Servilia mit warmer Stimmfärbung, Kirsten Grotius ein knabenhafter Annius. Plamen Hidjov singt einen soliden Publius zwischen militärischer Strenge und väterlichem Mitgefühl. Insgesamt ist das eine sehr engagierte und rollendeckende Ensembleleistung.


FAZIT

Viel Licht und ein paar Schatten – vor allem die exzellente Orchesterleistung tröstet über gelegentliche Irrungen der Regie hinweg.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rainer Mühlbach

Inszenierung
Wolfgang Quetes

Bühne
Heinz Balthes

Kostüme
Ute Frühling

Chor
Peter Heinrich

Lichtdesign
Matthias Hönig

Dramaturgie
Berthold Warnecke


Chor und Statisterie der
Städtischen Bühnen Münster

Sinfonieorchester
der Stadt Münster


Solisten

* Besetzung der Premiere

Titus
Juhan Tralla

Vitellia
Sabine Ritterbusch /
* Stefanie Smits

Servilia
* Julia Neumann /
Trine Wilsberg Lund

Sextus
Judith Gennrich

Annius
Kirsten Grotius

Publius
Plamen Hidjov



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtische Bühnen Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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