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Zehn Engel für Charlie Tolomeo
Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub Es herrscht Krieg: Die Ouvertüre ist noch nicht ganz verklungen, da seilen sich schwer bewaffnete Kämpfer an den Pfeilern des Theaterzeltes der RheinOperMobil, kurz ROM, in den (dem Londoner Globe nachempfundenen) Zuschauersaal herab, fuchteln heftig mit ihren Maschinengewehren herum und nehmen brutal Cornelia und Sesto, die gerade auf der Bühne speisen, als Geiseln. Mit solchem Coup de théâtre beginnt Philipp Himmelmanns Düsseldorfer Neuinszenierung von Händels Julius Cesar, und je nach Blickwinkel mag man das im Gedenken an die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002 als geschmacklos oder einfach nur als reichlich albern empfinden. Unten angekommen treffen die an amerikanische GIs erinnernden Kämpfer bald auf die Leibgarde des Ägypterkönigs Tolomeo, zehn langmähnige junge Damen mit Lederstiefeln und schwarzem Dress, als wären sie von Quentin Tarantino vorbeigeschickt oder von den Drei Engeln für Charlie geklont. Im weiteren Verlauf bekommt man knackige Kampfszenen in flackerndem Stroboskoblicht zu sehen, und Tolomeo wird letztendlich formvollendet per Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer erschossen. In der ROM ist action angesagt. Politik der blutigen Hände: Julius Caesar (Günes Gürle)Es wird nicht deutlich, ob Himmelmann mit diesen Bildern eine ironische Distanz schaffen will (dazu wirken sie zu wenig gebrochen) oder eine zeitgemäße Umsetzung der Kriegsthematik sucht (wofür diese Bildsprache reichlich plakativ wirkt). Der Ansatz ist auch jenseits des grellen Effekts problematisch: In den trivialen Action-Filmen, die man damit assoziiert, haben die Figuren kein über Klischees hinausgehendes Innenleben - ganz im Gegensatz zur Oper, die gerade davon lebt, jenseits der äußeren Handlung in der Musik dieses Innenleben zu entwickeln (das gilt für die Gattung im Allgemeinen wie für Giulio Cesare im Besonderen). Die Figuren auf der Bühne in erster Linie die Hauptakteure Cesare und Cleopatra haben es im Folgenden schwer, sich von dieser schablonenhaften Zeichnung zu lösen. Weil Himmelmann aber gleichzeitig sein Personal bis zum Bersten mit Intensität auflädt und in der Personenregie keine Geste dem Zufall überlässt, sieht man parallel dazu ein packendes Kammerspiel über Menschen, die an einer Extremsituation zerbrechen. Dieses freilich hätte den aufgemotzten Rambo-Rahmen, über den hinwegzusehen mitunter schwer fällt, nicht nötig. Verkleidet als Göttin des Parnass erscheint Cleopatra im üppigem exotischen Prunk, um Caesar zu verführen; in Düsseldorf ist die Szene vergleichsweise spartanisch gehalten: Cleopatra (Kristina Kaiser) darf im Brunnenbecken planschen Reichlich missglückt wirkt an vielen Stellen die Ausstattung (Gesine Völlm), nicht nur der lächerlichen Fantasy-Kostüme der Amazonen wegen. Wie Sesto im biederen Strickpullunder auftritt, Cleopatra als 60er-Jahre-Schönheit mit supercooler Retro-Sonnenbrille am (für die Handlung unerheblichen) Brunnen drapiert wird und Unmengen an Theaterblut für realistische Leichendarstellung aufgebracht werden, das alles lenkt eher von den starken Momenten der Inszenierung ab. Zu sich selbst findet die Regie, wenn sie sich von solchen Äußerlichkeiten löst und aus dem Geist der Musik die innere Situation der Handelnden in den Focus rückt. Das gelingt exemplarisch in der Figur der Cornelia, die gleich zu Beginn mit dem abgeschlagenen Haupt ihres Gatten Pompejus konfrontiert wird und im Schockzustand mehr und mehr dem Wahnsinn verfällt. Marta Márquez spielt das großartig, fast schon zu intensiv. Sängerisch hat sie ihren Zenit sicher überschritten, der flackernden und oft gepressten Stimme fehlt es an Substanz; in der nuancierten, die Grenzen der Figur auslotenden Interpretation gelingt ihr dennoch eine eindrucksvolle Leistung. Mit dem abgeschlagenen Haupt ihres Gatten Pompejus: Cornelia (Marta Márquez) verfällt dem WahnsinnMit großer, auch zu dramatischen Ausbrüchen mühelos fähiger Stimme (zu ihrem Repertoire gehört immerhin die Donna Anna aus Mozarts Don Giovanni) entwickelt Kristiane Kaiser die Cleopatra ganz aus dem Gesang heraus zwischen einschmeichelnder Verführerin und rachsüchtiger Furie ist musikalisch darin alles enthalten, was die Regie szenisch an der Rolle nicht einlösen kann. Problematisch dagegen ist die Besetzung des Cesare mit dem couragiert singenden jungen Bariton Günes Gürle, weil hier erheblich in die musikalische Struktur der Oper eingegriffen wird. Die Entscheidung für einen Bariton (Händel hat die Rolle für einen Kastraten geschrieben; die Besetzung mit Countertenor oder einer Frauenstimme hat sich in den letzten Jahrzehnten aus gutem Grund durchgesetzt), um die Virilität des Helden zu unterstreichen, wie Dirigent Andreas Stoehr im Programmheft angibt, mag durch das Regiekonzept gerechtfertigt sein, musikalisch überzeugt sie nicht recht. Mit den Koloraturen kommt Gürle, der über eine schöne (für das Rollenprofil aber zu weiche) und durchaus bewegliche Stimme verfügt, ebenso wenig zurecht wie mit den dramatischen Akzenten. Cesars Gegenspieler Tolomeo, in der Person von Gunther Schmid mit einem Altus besetzt, kann sich in der originalen hohen Lage musikalisch besser profilieren. Schmid singt die Partie tadellos sauber, aber ohne die erforderliche Schärfe, die dem sadistischen Wesen des Königs (im Spiel Schmids ahnt man den nationalsozialistischen Herrenmenschen) anstehen würde. Annette Seiltgen singt und spielt den Sesto, Sohn des ermordeten Pompejus, mit knabenhafter Ausstrahlung und einer leuchtenden, tragfähigen Stimme, die mit virtuoser Technik in den Koloraturen auch zur vokalen Attacke fähig ist. Das den ersten Akt beschließende Duett mit der gefangenen Mutter Cornelia (die warme Färbung von Annette Seiltgens Sopran hüllt den Mezzosopran von Marta Márquez hier wunderbar ein), das im resignativen Pianissimo versinkt, ist der vielleicht schönste Moment der Aufführung. Dmitri Vargin als Achilla und Sergio Raonic Lukovic als Nireno sind mehr als solide Besetzungen für die kleineren Partien. Machtkampf um den ägyptischen Thron unter Geschwistern: Cleopatra (Kristina Kaiser) und Tolomeo (Gunther Schmid) Getragen wird die Aufführung durch das exzellente Orchester. Dirigent Andreas Stoehr hat den Weg, mit weitgehend modernen Instrumenten (immerhin verwenden die Streicher Barockbögen) einen spezifisches barockes Klangbild zu erzeugen, nach dem erfolgreichen Telemaco (unser Bericht) konsequent fortgesetzt. Gambe und Theorbe sorgen für eine besondere Klangfarbe. Die ungemein farbige Ausdruckspalette reicht von ätherisch sanften Klängen bis zum harten, fast perkussiven Strich der Violinen in den erregten Passagen. Das Ergebnis ist eine außerordentlich vitale Interpretation, die auch die extremen Gefühlszustände bestens zum Ausdruck bringt. Das Theaterzelt mit der unmittelbaren Nähe des Publikums zu Orchester und Bühne erweist sich dabei als hervorragender Aufführungsort (allein in der berühmte Verführungsszene fehlt die klangliche Verdopplung durch das im Original vorgesehene Bühnenorchester) für das Werk. Die Kürzungen (gestrichen sind 9 Arien sowie Eingangs- und Schlusschor) sind weniger durch Einschränkungen, die sich aus dem Raum ergeben, als vielmehr der Überlänge des Werks - das im gekürzten Zustand immer noch deutlich länger als drei Stunden beansprucht - wegen plausibel. In der Form, in der die Oper hier aufgeführt wird, wirkt sie stringent und konzentriert. Klangbeispiel: Arie des Caesar "Presti ormai l'egizia terra" (1. Akt) - Günes Gürle(MP3-Datei)
Klangbeispiel:
Arie des Sesto "Svegliatevi nel core" (1. Akt) - Annette Seiltgen
An das lieto fine (das glücklichen Ende) der Barockoper, die mit einem Liebesduett zwischen Cesare und Cleopatra schließt, glaubt der Regisseur nicht. Die Liebe ist zuvor schließlich reichlich kurz gekommen, war bei Cleopatra mehr Machtinstrument als Gefühl; stärker wiegt da schon die Liebe Cornelias zu ihrem ermordeten Gatten. Eine Spur Utopie lässt Himmelmann dann doch zu: Ganz allmählich nähern sich Cesare und Cleopatra während ihres Duetts an, bis sich fast verschämt ihre Hände berühren. Das ist ein anrührender Schlusspunkt, der zwischen den psychischen Versehrungen ein Moment der Hoffnung lässt. Und der die allzu dick aufgetragenen Spuren der Folter vergessen lässt.
Eine Inszenierung zwischen Rambo und Kammerspiel, die sehr ambivalente Eindrücke hinterlässt; musikalisch mit vielen großartigen Momenten. Trotz mancher Widersprüche ein spannender und sehr intensiver Theaterabend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Dramaturgie
SolistenGiulio CesareGünes Gürle
Cornelia
Sesto
Cleopatra
Tolomeo
Achilla
Nireno
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E-Mail: oper@omm.de