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Eine ganz besondere Frau ohne Schatten
Von Thomas Tillmann Der Titel dieser Rezension spielt auf zwei Dinge an: zum einen auf den Umstand, dass in der besuchten Vorstellung dieser szenisch zwar nicht umwerfenden, aber doch auch nicht verkehrten Produktion der Frau ohne Schatten aus dem Jahre 1998 (unser Bericht) vor der Szene im Falknerhaus im zweiten Akt Stefan Soltesz noch vom Pult aus dem Publikum verkünden musste, was es bereits gesehen hatte, nämlich dass es ein Problem mit der so viel beschäftigten Drehscheibe gab (oder waren doch Übermächte im Spiel, wie die Amme es immer wieder vermutet?), dann vor den Vorhang trat und eine weitere Pause ansagen musste, die den Zuschauern mit einem Freigetränk versüßt werden sollte. Wie verständnisvoll das Publikum war, mag der spontan aufbrausende Applaus nach der im zweiten Anlauf gelungenen Verwandlung belegen - vielleicht das erste und einzige Mal, das während eines Aktes in diesem Werk applaudiert wurde. Angenehmer war der zweite Umstand, nämlich dass Silvana Dussmann (wie man schon von der ersten Vorstellung dieser Spielzeit am 15. September gehört hatte) noch mehr in die Rolle hineingewachsen ist (ich erinnere ihr Rollendebüt in Frankfurt am Main vor einigen Jahren) und einem geradezu der Mund offen steht angesichts der Furchtlosigkeit und dem Selbstbewusstsein, mit dem sie die vielen Töne über dem System attackiert (auch wenn die Intonation nicht immer ganz korrekt ist und einzelne von ihnen sogar einen Hauch zu hoch geraten). Ach, wie wunderbar, in dieser Rolle endlich einmal einen richtigen jugendlich-dramatischen Sopran in der Tradition einer Rysanek zu hören, den selbst der knifflige Beginn und die Koloraturen nicht in Verlegenheit bringen können, und auch der mitunter etwas schrille, leicht hysterische Klang der Stimme passt hervorragend zu dieser Musik und ihrer Rolle. Es wäre übertrieben zu sagen, dass Kirsi Tiihonen, die laut Biografie im Programm in Helsinki als Färberin einen großen Erfolg gehabt haben soll, ein Totalausfall in der Rolle war - schließlich überstand sie den anstrengenden Abend ohne Beatmungsgerät oder Ansage. Ihre stumpfe, auf breite Mittellage getrimmte, vibratös kullernde Stimme, deren eigentlichen Klang man erahnt, wenn sie nicht gerade im nie unkontrolliert spielenden Orchester untergeht oder flackert wie das künstliche Licht im Ofen, klingt in der Höhe manches Mal arg gequetscht und im Piano flach, sie besitzt keinerlei Fundament in der Tiefe, ihre Besitzerin dafür wenig Hemmung, unangenehm liegende Passagen in unschönem Sprechgesang wiederzugeben, was das Publikum zu meinem Erstaunen ebenso goutierte wie ihr eindimensionales, aber durchdringendes Keifen und ihr auch darstellerisch sehr vordergründiges Portrait einer frustrierten schmallippen Xanthippe ohne Zwischentöne. Einen wirklich bewegenden Barak gab dagegen noch einmal Franz Grundheber, der um den Sinn der Worte weiß und deren Interpretation mit kraftvoll-markantem Gesang zu verbinden versteht, der sich freilich mitunter auch ein wenig vom Notentext entfernte, was Stefan Soltesz freilich problemlos auffangen konnte und was bei einem solchen Übermaß an Persönlichkeit nicht weiter ins Gewicht fiel. Ildiko Szönyi gehörte bereits zur Premierenbesetzung, und viel hat sich an ihrer Interpretation und ihrer in drei Einzelteile sich aufspaltenden Stimme nicht geändert (von denen die sopranige, kräftige Höhe die angenehmste und präsenteste Lage ist, was mich meine Idee wiederholen lässt, sie bei der nächsten Reprise doch einmal die Färberin ausprobieren zu lassen), ebenso wenig wie der Umstand, dass sie große Teile ihrer Partie in einer Sprache singt, die ich nicht verstehe. Auch Jeffrey Dowd ist der Essener Kaiser der ersten Stunde und traf schon damals weder den Geschmack meines Kollegen Stefan Schmöe noch den meinen: Bis jetzt hat man das Gefühl, dass der Sänger nicht ansatzweise versteht, was er singt, das Schreien und Stemmen in der quälend mühsam erreichten Höhe ist wahrlich nicht weniger geworden, allein die immer dunkler werdende Mittellage spricht problemlos an, nicht aber die Tiefe, und auch im Piano wird die behäbige Stimme, über die eine Art Grauschleier liegt, arg dünn - keine idealen Voraussetzungen für den Tristan, den er im Dezember am selben Ort singen will. Marcel Rosca war einmal mehr ein strenger Geisterbote, Andreas Hermann hatte als Jüngling nicht nur tenorale Qualitäten, sondern entlockte nicht nur dem weiblichen Publikum ein staunendes Raunen, Heiko Trinsinger, Almas Svilpa und Rainer Maria Röhr überzeugten als Baraks Brüder - und sangen endlich einmal Rollen, die ihren vokalen Möglichkeiten vollauf entsprechen, nämlich kleine. Stefan Soltesz scheint ruhiger zu werden mit den Jahren: Hatte ich mich bei der Premiere und weiteren Vorstellungsbesuchen in den letzten Spielzeiten immer geärgert über die Hektik seines Dirigierens, seine übertrieben gehetzten Tempi, die Oberflächlichkeit und an äußeren Effekten orientierte Lesart, so klingt vieles jetzt gesetzter, gefühlter und sensibler, und dank der vielen Proben war das Spiel der Philharmoniker natürlich einmal mehr auf hohem Niveau, gerade auch im Vergleich zu dem, was man sonst in Nordrhein-Westfalen etwa in Bonn oder an der Rheinoper zu hören kommt.
Welch schöne Idee, dieses wunderbare Werk zum Spielzeitbeginn ein weiteres Mal aufzunehmen! Dass dies nicht nur die Meinung des Rezensenten ist, belegen die tumultartigen Zustände an der Abendkasse ebenso wie der nicht enden wollende Beifall vor den einzelnen Akten und nach der Vorstellung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühnenbild
Kostüme
Choreinstudierung
Choreographie
Szenische Leitung
Solisten
Der Kaiser
Die Kaiserin
Die Amme
Der Geisterbote
Ein Hüter der Schwelle
Stimme des Jünglings
Stimme des Falken
Der wiedergefundene
Die Stimme von oben
Barak, der Färber
Seine Frau
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
Drei Dienerinnen
Astrid Kropp Bea Robein
Stimmen der Ungeborenen Marie-Helen Joël Astrid Kropp Bea Robein Marion Thienel
Stimmen der Wächter Károly Szilágyi Heiko Trinsinger Opernchor und Statisterie Die Essener Philharmoniker
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