Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 45' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 9. Dezember 2006
(rezensierte Aufführung: 23. Dezember 2006)


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Siecher Held in Unterhosen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

An den gesellschaftlichen Bedingungen liegt es nicht, dass der Beziehung von Tristan und Isolde kein irdisches Glück vergönnt ist. Nicht nur könnte man sich die beiden durchaus als Outsider-Paar in freier Liebe vereint auf einer verlassenen Burg vorstellen, sondern Wagner hat im Textbuch geradezu penibel alle sachlichen Einwände gegen eine Vereinigung aus dem Weg geräumt: Von etlichen Möglichkeiten einer Legitimation der Beziehung abgesehen ist König Marke ein großherziger Regent, der beinahe danach lechzt, den beiden seinen Segen zu geben – wenn die beiden nur wirklich wollten. Statt dessen sterben Sie - nacheinander, nicht einmal im Liebestod vereint (da hat es Verdi mit seiner Aida besser gemeint, die sich im Duett mit dem Geliebten einmauern lassen darf). Die Skepsis gegenüber dem hier verhandelten Liebesideal hat dementsprechend die meisten Inszenierungen in jüngerer Zeit geprägt – gerade auch bei den Bayreuther Festspielen. Heiner Müller verweigerte 1993 ebenso jedes Liebesglück wie Christoph Marthaler 2005. Der australische Regisseur Barrie Kosky, der vor einigen Monaten mit seiner provokativen, dabei hoch spannenden Holländer-Inszenierung das Essener Publikum spaltete (unsere Rezension), schließt sich dieser Sichtweise im Wesentlichen an – teilweise bis in die Bildsprache hinein. Auch er inszeniert vor allem die Unmöglichkeit einer Oper wie Tristan und Isolde.

Vergrößerung in neuem Fenster Schiffsreise mit Verstimmung: Kurwenal (Heiko Trinsinger, links) und Tristan ( Jeffrey Dowd, rechts sitzend) verhöhnen Isolde (im Sessel: Evelyn Herlitzius); Brangäne (Ildiko Szönyi) protestiert gegen das ungehobelte Benehmen der Herren

Clou der Inszenierung ist das Bühnenbild von Klaus Grünberg, der die riesige Bühne des Aalto-Theaters komplett schwarz verhängen lässt und einen winzigen Würfel von vielleicht vier Meter Kantenlänge herausschneidet, deutlich über dem Bühnenboden – ein winziges Zimmerchen von klaustrophobischer Enge (eine ähnliche – allerdings im Folgenden sehr viel abstraktere – Bildlösung hatte Erich Wonder für den 1. Akt von Heiner Müllers Tristan gefunden). Zunächst stellt dieser Spielraum die Kabine eines Luxusdampfers dar, im leicht schäbigen Design der Touristenklasse im ersten Aufzug (darin nicht unähnlich zu den Räumen von Marthalers Ausstatterin Anna Viebrock), im zweiten Aufzug in elegantem Silbergrau für die bessere Gesellschaft. Mit der detailgetreuen Ausstattung versetzt das Regieteam die Handlung in eine nicht näher bestimmte Gegenwart, in der die Figuren scharf konturiert werden: Tristan und Konsorten feiern, das Anzughemd leger offen, mit viel Sekt die gelungene Fahrt, während die ältliche Gouvernante Brangäne mit einer Genauigkeit die Tränke vertauscht, die einem Fernseh-„Tatort“ zur Ehre gereichen würde. Dieser erste Aufzug gewinnt immense Spannung aus der exakten Personenregie und der überwältigenden Präsenz der von Evelyn Herlitzius gesungenen Isolde. Mit hochdramatischer Attacke und intelligent gestaltet erhält jedes Wort seinen (oft ironischen) Sinn. Musik und Szene gehen hier Hand in Hand – wäre nach diesem Aufzug Schluss, man hätte eine grandiose Inszenierung gesehen.

Vergrößerung in neuem Fenster

Unglückliche Braut bei der Ankuft in Kornwall: Isolde (Evelyn Herlitzius)

Kosky gönnt, anders als seine Bayreuther Regiekollegen, dem Paar sogar einen echten Kuss und danach einen halben Akt Liebesglück. Die zentrale Szene des zweiten Aktes, die ganz in der Musik aufgeht, ist in letzter Konsequenz wohl uninszenierbar. Kosky lässt den Bühnenwürfel, gleichsam jeder Bindung an die Umwelt enthoben, um die eigene Achse kreisen – ein hübscher Effekt (für den es freilich auch ein prominentes Bayreuther Vorbild gibt: Dieter Dorns Fliegenden Holländer von 1990 in der Ausstattung von Jürgen Rose). Seine Wirkung erhält dieses vergleichsweise konventionelle Bild dadurch, dass alles auf die Protagonisten focussiert wird. Nur müsste dies auch sängerisch eingelöst werden. Der Sopran von Evelyn Herlitzius klingt scharf, verliert in den mittleren Lautstärkebereichen an Klangfülle und will nicht recht mit dem Orchester verschmelzen. Jeffrey Dowd ist mit engem und forciertem Tenor stellenweise kaum zu hören; Spitzentöne muss er unschön herausschreien – da wird die Nacht der Liebe durch manchen Misston gestört. Und der schlagkräftige, aber nicht mehr ganz jugendliche Mezzo von Ildiko Szönyi passt überzeugend in den scharfen Wortwechsel des ersten Aufzugs, klingt aber allzu metallisch in Brangänes „Habet Acht“-Rufen der Nachtszene.

Mit der Figur des Königs Marke weiß Kosky nicht viel anzufangen – er lässt Marcel Rosca stocksteif aufmarschieren und kraftvoll, aber bar jeglicher Gefühlsregung singen. Hier ist der Monarch erster Buchhalter in Sachen Liebe - und emotional so weit vom Geschehen entfernt, dass er nicht mehr als eine Randerscheinung bleibt (anrührend immerhin, wie Isolde ihm den Ehering zurückgibt). Gunter Kiefer ist ein kraftvoller Melot (wie auch Andreas Hermann als vjunger Seemann, Albrecht Kludszuweit als Hirt und Thomas Sehrbrock als Steuermann in ihren kurzen Rollen überzeugen).

Vergrößerung in neuem Fenster "O sink hernieder, Nacht der Liebe": Tristan (Jeffrey Dowd) und Isolde (Evelyn Herlitzius), Raum und Zeit entrückt

Klangbeispiel Klangbeispiel: "O sink hernieder, Nacht der Liebe" (2. Aufzug) - Evelyn Herlitzius (Isolde), Jeffrey Dowd (Tristan)
(MP3-Datei)


Im dritten Aufzug kann Kosky sein ästhetisches Konzept nicht durchhalten: Zwar gibt es auch hier wieder den Würfel als Spielraum – jetzt eine Art Wohngarage in Fertigbauweise mit Zimmerpflanze – aber er schwebt nicht mehr eindrucksvoll im leeren Raum, sondern steht auf einem profanen Gestell auf der großen Bühne, auf der man Schafe weiden sieht, die nach und nach in den Hintergrund geschoben werden – seit Debussys Pelleas et Mellisande ein Symbol für Tod und Opfer, hier aber nicht unbedingt zwingend eingesetzt. Wenn sich Tristan in Unterwäsche und dreckigen Socken aus seinem Sessel erhebt (Kurwenal hat gerade operiert), befindet man sich in einer unfreiwilligen Marthaler-Parodie.

Für den dritten Aufzug ist die Stimme von Jeffrey Dowd zu klein – der echte Heldentenor, den diese mörderische Rolle erfordert, ist Dowd nicht. Allein mit schmachtenden Tönen für den siechen Sterbenden ist es nicht getan; im Piano hat Dowds Tenor zwar durchaus Substanz, in den entfesselten Orchestergewalten, die Wagner eben auch vorschreibt, geht er kraft- und glanzlos unter. Bei allem Respekt für Engagement und Durchhaltevermögen des Sängers (irgendwie schafft er es, ins Ziel zu kommen) bleibt rätselhaft, warum er sich eine solche Partie aufhalst.

Vergrößerung in neuem Fenster

Hausoperation in der Wohngarage mit Zimmerpflanze: Tristan (Jeffrey Dowd, rechts) und Kurwenal (Heiko Trinsinger)

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Hei! Nach Kornwall" (3. Aufzug) - Heiko Trinsinger (Kurwenal), Jeffrey Dowd (Tristan)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: "Mild und leise, wie er lächelt" (3. Aufzug) - Evelyn Herlitzius (Isolde)
(MP3-Datei)


Eigentlich hat Regisseur Kosky viel Gespür, mit den darstellerischen wie stimmlichen Möglichkeiten der Sänger umzugehen; hier allerdings verkehrt sich das Bemühen, einen „unheldischen“ weil todkranken Tristan darzustellen, ins Gegenteil – die Figur wird zitternd und zagend ungewollt zur Karikatur. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Präsenz des ungeheuer vitalen Heiko Trinsinger als Kurwenal, der volltönend und klangschön auch im Fortissimo seinen Herrn locker an die Wand singt. Sängerisch ist Trinsinger die Entdeckung des Abends.

Szenisch läuft die Oper in Unbeholfenheit aus. Kurwenal muss aus seinem Wohncontainer springen und mehrfach um die Bühne joggen; Isolde und Gefolge treten ziemlich unmotiviert auf. Dass alle Toten irgendwann aufstehen und im Off verschwinden, nimmt man als Verfremdung noch hin; Isoldes Liebestod allein auf leerer Bühne ist ein Kompromiss aus einem Rest aus Verklärung und Desillusion. Hilflos wirkt das Schlussbild, in dem Tristans Leichnam wieder benötigt wird (dazu muss sich der tote Held ein paar Meter weiter hinten im Halbdunkel noch einmal niederlassen), weil Isolde sich daneben legt. Das wirkt ganz ähnlich zu Marthalers Bayreuther Schlussbild, ohne annähernd dessen Suggestivkraft zu besitzen. Fast hat man den Eindruck, dass Kosky hier – nach grandiosem Start - offen vor dem Werk kapituliert.

Vergrößerung in neuem Fenster Alles tot: Brangäne (Ildiko Szönyi, l.) und Isolde (Evelyn Herlitzius) betrauern den toten Tristan (Jeffrey Dowd); Kurwenal (Heiko Trinsinger, sitzend) schneidet sich die Pulsadern auf; Marke (Marcel Rosca, rechts) steht benommen daneben

Es gibt in Essen aber noch einen zweiten Tristan, und der spielt sich grandios im Orchester ab. Stefan Soltesz dirigiert mit geschmeidig fließenden, vorwärts drängenden Tempi. in denen sich die Musik in groß disponierten Spannungsbögen sehr organisch entwickelt. Die seidigen Streicher der Essener Philharmoniker sind exzellent, die Blechbläser ausgezeichnet; das mitunter etwas ungenaue Holz fällt ein wenig dagegen ab (am sauber von Andreas Gosling geblasenen Englischhorn-Solo des dritten Aufzugs ist aber nichts auszusetzen). Soltesz' Sichtweise ist durchaus romantisch und hebt weniger die Kanten des Werks als die unendliche Melodie hervor. Das steht im Kontrast zur Regie, bildet aber keinen Widerspruch: die Szene verdoppelt nicht die ohnehin übermächtige Musik, sondern kommentiert diese in einem komplexen Spannungsverhältnis. Orchestral jedenfalls braucht dieser Tristan keinen Vergleich, auch mit größeren Häusern, zu scheuen.


FAZIT

Kein Skandal: An Tristan und Isolde beißt sich Regisseur Barrie Kosky nach seinem provokativem Fliegenden Holländer die Zähne aus. Sängerisch unausgeglichen bleibt unterm Strich eine überwältigende Orchesterleistung, die diese Produktion hörenswert macht.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild und Licht
Klaus Grünberg

Kostüme
Alfred Mayerhofer

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Dramaturgie
Ina Wragge



Herren des Chores und des
Extrachores des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Isolde
* Evelyn Herlitzius /
Iréne Theorin

Tristan
Jeffrey Dowd

Brangäne
Ildiko Szönyi

Kurwenal
Heiko Trinsinger

König Marke
Marcel Rosca

Melot
* Günter Kiefer /
Peter Bording

Ein Hirt
Albrecht Kludszuweit

Ein junger Seemann
Andreas Hermann

Ein Steuermann
Thomas Sehrbrock






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Essen (Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2006 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -