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Zwischen den Welten
Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg Mit besonderer Spannung wurde die erste Produktion unter Hannovers neuem Intendanten Michael Klügl erwartet. Nach den recht turbulenten Jahren unter Albrecht Puhlmann, der im Publikum durchaus umstritten war, hoffen die einen auf mehr Ruhe im Gewässer, die anderen auf stärkere Stürme. Unter dem Motto: "Leinen los" hat das Hannoversche Opernschiff nun seine Fahrt in die neue Saison aufgenommen. Als erste Neuinszenierung steht Verdis "Otello" unter der Regie von Nicolas Brieger auf dem Spielplan. Es ist erklärtermaßen reiner Zufall, dass das Hannoversche Schauspiel mit Shakespeares "Othello" eröffnet hat. Ein Zufall, der spannende Vergleichsmöglichkeiten bietet.
Nicolas Brieger stellt die Geschichte in religiöse Zusammenhänge. Otello ist (natürlich) kein Schwarzer, sein Außenseitertum wird subtiler dargestellt. Er ist ein Fremder in seiner Welt, als Renegat ein Neuling im Christentum. So ist er Moslem von Geburt und Christ aus Entscheidung. Beide Glaubenswelten bzw. allgemein verbreitete Vorstellungen von ihnen finden sich in vielen Bildern dieser Inszenierung wieder. Otello erscheint als ein Zerrissener zwischen den Welten.
Jago (Brian Davis), Wie sich Otello, in der Bibel lesend, demütig in die letzte Kirchenbank setzt und anschließend durch Jagos Intrigen wirklich gedemütigt wird - das hat etwas. Etwas roher wirkt es, wenn er Jago über die umgeworfenen Kirchenbänke prügelt. Furchtbar brutal erscheint der Feldherr, wenn er Desdemona mit einem Faustschlag ins Gesicht - ganz und gar außer sich - niederschlägt. Einen besonderen Eindruck hinterlässt die Huldigungsszene, in der Desdemona zunächst wie ein Opfer verschleiert auf einem Altar liegt, sich dann erhebt und zum lebenden Madonnenbild wird. Unter dem Altar kriecht ein (Jesus)Kind hervor und stellt sich zur Gottesmutter. Ein Knabe mit Holzschwert. Bilder voller Assoziationen.
Die Darstellung des Sturmes zu Beginn des ersten Aktes fordert die Bühnentechnik bis an ihre hörbaren Grenzen. Aber das Ergebnis ist grandios, ein Bühnenspektakel allererster Güte. Das immer wieder leicht variierte Einheitsbühnenbild einer stilisierten Kirche (Hans-Dieter Schaal) wird durch ein Meisterwerk der Beleuchtungskunst (Manfred Voss) in stimmungsvolle Lichteffekte gesetzt. Wundervoll: Die Monde in verschiedenen Farben.
Desdemona (Brigitte Hahn), Brieger ist ein alter Hase der Opernregie. Mit seiner intensiven, sehr dichten Personenregie, die sich stark an der Musik orientiert, erzeugt er große Spannungen und Intensität. Zu seiner außergewöhnlichen Sichtweise auf "Otello" greift er aber auch gern zu bewährten Mitteln und Bildern. Viele Aktionen des ersten und zweiten Aktes geraten zu plakativ, zu überzogen. Als Freudenfeuer wird ein großes stoffumhülltes Kreuz verbrannt, später wird ein kleineres Kruzifix von Jago zertrümmert. Jago wirft gern die Kirchenbänke um und pinkelt zu seinem "Credo" ins Weihwasser (schüttelt sich hinterher gut ab, ordentlich ist er ja). Und es gibt immer wieder Sex auf der Bühne. Im ersten Akt schweben nackte Männer an einem Bein hängend vom Bühnenhimmel herab und beim Fest - im Hafenbordell! - wird vorzugsweise an der Rampe heftig gevögelt. Transen dürfen dort auch nicht fehlen. Otello (Janez Lotric),Desdemona (Brigitte Hahn)
Später vergewaltigt Otello Desdemona im Beichtstuhl. Doch damit kann man in Hannover seit Calixto Bieito niemanden mehr schocken, höchstens nerven, schlimmstenfalls langweilen. Was nicht ungefährlich ist: Wenn Gewalt auf der Bühne langweilt, erreicht man kein Aufrütteln, sondern ein weiteres Abstumpfen. Und das kann keiner wollen. Desdemona (Brigitte Hahn) Im dritten und vierten Akt erfährt die Regie eine wundersame Wandlung. Dem Sammelsurium aus abgeschmackten und allzu plakativen Aktionen aus der (inzwischen auch schon "Motten"-) Kiste des modernen Regietheaters folgen feinere Psychologisierungen und kleinere Gesten, die stärkere Eindrücke hinterlassen. Weniger ist auch hier mehr. Ein großes Tuch als Bett, sakrale Kerzen, die Desdemona um die Lagerstatt verteilt - so beginnt der vierte Akt mit Intensität und Ruhe. Umso intensiver wirkt das dramatische Finale: Otellos reißt das Betttuch in Streifen und fesselt Desdemona in Kreuzigungshaltung an den Beichtstuhl. Nachdem er sich selbst mit einem Dolch gerichtet hat, tanzt er mit Desdemonas blutverschmiertem Brautkleid, bis er zusammenbricht. Otello (Janez Lotric),Desdemona (Brigitte Hahn)
Janez Lotric spielt den Otello mit Hingabe und Inbrunst. Zu Beginn fällt ein sein starkes Vibrato auf, dass er jedoch im Laufe des Abends in den Griff bekommt. Er singt mit viel Kraft und klingt dann zuweilen angestrengt. Sehr eindrucksvoll gelingt ihm der Monolog im dritten Akt. Sein Tenor klingt uneinheitlich, oft heldisch rau, hat jedoch auch strahlende Höhen neben nasal gepressten Spitzentönen.
Otello (Janez Lotric), Als Jago besticht Brian Davis mit seinem hochkultivierten, edlen Bariton. Eine grandiose Leistung der feinen musikalischen Charakterisierung, die auf plumpe Effekte verzichtet. Nur schade, dass die Regie ihn als einen schmierigen ungepflegten Menschen in schlecht sitzender, abgetragener Kleidung zeigt. Wer sollte auf einen solchen Intriganten hereinfallen? Einen hinreißenden Einstand in Hannover gab Brigitte Hahn als Desdemona. Ihr leicht abgedunkelt klingender Sopran besticht durch geradlinige Führung und hohe Ausdruckskraft. Wunderschön und superzart singt sie das "Lied von der Weide" und steigert sich im "Ave Maria" zu atemberaubender Intensität. Unter den adäquat besetzten kleineren Rollen ragen Albert Pesendorfer als Lodovico und Marco Jentzsch als Rodrigo hervor. Von ihrem neuen Chordirektor Dan Ratiu sehr gut vorbereitet klingen Chor, Extrachor und Kinderchor prachtvoll und präzise. Otello (Janez Lotric)
Hannovers neuer Generalmusikdirektor Wolfgang Bozic gibt mit "Otello" eine vielversprechende Visitenkarte ab. Er dirigiert voller Elan und äußerst spannungsreich, ist mit dem blendend disponierten Orchester manchmal allerdings schlichtweg zu laut. Unter großen Bögen gestaltet er musikalische Details und überzeugt mit den zarten Feinheiten der Desdemona-Szene im vierten Akt ebenso wie mit dem Gewittertoben des ersten Aktes. Durch den ganzen Opernabend zieht sich ein musikalischer Sog, der Otellos Leidenschaften noch intensiver miterlebbar macht.
Ein vielversprechender Start. Szenisch durchwachsen, aber musikalisch hinreißend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistinOtelloJanez Lotric
Jago
Cassio
Rodrigo
Lodovico
Montano
Desdemona
Emilia
Kind
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