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Intrigen im BunkersystemVon Rainhard WiesingerModest Mussorgsky begann sich bereits 1872 also noch vor der Fertigstellung des Boris Godunow - auf Anregung Wladimir Stassows mit einem neuen historischen Opernstoff zu beschäftigen: Chowantschina basiert auf einer Episode aus der Zeit des Strelitzenaufstandes gegen den Zar Peter I. Bis zum Sommer 1875 brachte Mussorgsy wesentliche dramaturgische Zusammenhänge sowie einzelne Nummern zu Papier. Ab 1876 verlangsamte sich der Schaffensprozess auf Grund von Mussorgskys physischen und psychischen Verfalls. Drei Jahre später war das Schicksal von Chowantschina besiegelt: Der Komponist spielte seinen Freunden die fast fertige Oper vor und stieß dabei auf unverhohlenes Unverständnis. Dies entmutigte ihn dermaßen, dass er den Klavierauszug für immer zur Seite legte. Auch bei diesem Werk war es wieder Rimsky-Korssakow, der sich des Fragments nach dem Tod seines Freundes, dessen künstlerischen Nachlass er auch verwaltete, annahm. Bei seiner Bearbeitung griff er aber so stark in die dramaturgische Struktur ein, dass die Handlung in den Augen der Zeitgenossen nun zu verworren erschien. In weiterer Folge setzte sich Fjodor Schaljapin stark für das Werk ein, wobei er nicht nur den Dosifei sang, sondern auch Regie führte. Als Chowantschina 1913 in Paris angekommen war, hatte Igor Strawinsky den Versuch einer Neubearbeitung unternommen und Maurice Ravel für die Instrumentation gewinnen können. Beider Vorhaben musste allerdings im Sand verlaufen, da sich Schaljapin weigerte, eine neue Fassung zu studieren. Immerhin gelang es Strawinsky, eine neue Version des Schlusses zu schaffen, der nun auch bei der Münchner Produktion zu hören war. Das zaristische Russland ist in Dmitri Tcherniakovs Inszenierung nur mehr Staffage: In der oberen Etage eines Bunkersystems wird Peter I. gefangen gehalten, ansonsten begegnet man Figuren, die eher an die Unterwelt der Gegenwart als in die Aristokratie vergangener Zeiten erinnern. Was zu Beginn noch einen durchaus interessanten Ansatz vermuten lässt, ermüdet und enerviert mit fortlaufender Dauer des Abends, vor allem wegen des monomentalen, trostlos grauen Einheitsbühnenbildes. So nimmt man dankbar zur Kenntnis, dass nach dem Mordanschlag auf Iwan Chowanskys dieses unterirdische System verschwindet und die Bühne freigegebnen wird für eine ergreifend schlichte Schlussszene, in der die Altgläubigen ihren Tod erwarten. Sie werden angeführt von dem beeindruckend auftrumpfenden Anatoli Kotscherga, der seinen raumsprengenden, schwarzen Bass heute mehr auf Linie zu führen versteht als noch vor einigen Jahren. Dass der immer wieder angestrengt klingende Paata Burchuldaze, der in der Wiener Produktion noch den Dosifei sang, als Iwan Chowansky keine Würde ausstrahlt, ist der Regie anzulasten, die den Fürsten zu einen Mafiaboss verzerrt. Als dessen Sohn Andrej profiliert sich Klaus Florian Vogt mit heldischem Tenor und starker Bühnenpräsenz. Auch die übrige Herrenriege bestehend aus John Daszak (Golyzin), Valery Alexejev (Schaklowity) und Ulrich Reß (Schreiber) beweist rollendeckendes Niveau. Weniger Glück hatte man mit der Besetzung der beiden weiblichen Rollen: Camilla Nylund erschreckt zu Beginn als schrille Emma, und Doris Soffel hätte sich nicht mehr die unfangreiche Partie der Marfa aufbürden sollen. Kent Nagano bietet eine analytische Sicht der Partitur, die Mussorgskys Musik immer wieder in die Nähe des französischen Impressionismus rückt.
Wegen des musikalischen Niveaus ist die Produktion trotz der ermüdenden Regie empfehlenswert. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne und Kostüme
Solisten
Iwan Chowansky
Andrej Chowansky
Wassilij Golizyn
Schaklowity
Marfa
Dosifei
Schreiber
Emma
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- Fine -