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Lohengrin

Romantische Oper in 3 Aufzügen
von Richard Wagner
Dichtung vom Komponisten

Aufführungsdauer: 4 Stunden (zwei Pausen)

Premiere am 11. Mai 2008
im Staatstheater Braunschweig, Großes Haus


Homepage

Staatstheater Braunschweig
(Homepage)
Krieger zu Turnern

Von Bernd Stopka / Fotos von Franz Schlechter


Man hat es nicht leicht mit Wagners "Lohengrin". Einerseits haben wir es mit einer romantischen Oper zu tun, voller Leidenschaft und Gefühl, andererseits erscheinen uns die martialischen Männerchöre voller "Kampfeslust" und Herrscherverherrlichung heute mehr als fremd, manchmal sogar erschreckend, dem einen oder anderen sogar bedenklich. Obendrein bewirken die unzähligen "Heil"-Rufe direkte Assoziationen zu den dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte - mit allen ihren Zusammenhängen.
Wie stellt man sich dieser Problematik? Zwischen politischer Geschichtsverarbeitung und naiv-romantischer, märchenhafter Geschichtenerzählung gibt es viele Wege, die oft beschritten wurden und werden.

Vergrößerung in neuem Fenster Telramund (Jan Zinkler), Ortrud (Dagmar Pecková),
Lohengrin (Kor-Jan Dusseljee), Elsa (Rossella Ragatzu)

Regisseur Michael Sturminger interpretiert in seiner Neuinszenierung für das Staatstheater Braunschweig den "Kampf" nicht als Krieg, sondern als "Wettkampf", und lässt die Handlung in einem Turnerbund spielen. Schwerter werden so zwar nicht zu Pflugscharen, aber Lanzen zu Wurfspeeren. Aktive und Ehrenmitglieder üben sich in Körperertüchtigung und umjubeln den Vorsitzendes ihres Bundesverbandes.

Die Idee ist bedenkenswert, beisst sich aber oft mit dem Text (der auch hier als Übertext projiziert wird) und provoziert immer mal wieder eine Art Entrüstung nach dem Motto: "So leicht lässt sich der Text aber nicht entschärfen!". Das Prinzip, etwas anderes zu zeigen, um den Blick auf das Tatsächliche zu schärfen, funktioniert an diesen Stellen. Und was so gar nicht zusammenpassen will und unlogisch erscheint (z. B. das Gottesgericht), wird uns ja immer gern als "interessanter Bruch" verkauft...

Vergrößerung

Zum Zweikampf gerüstet:
Lohengrin (Kor-Jan Dusseljee)

Vergrößerung in neuem Fenster Telramund (Jan Zinkler)

In dieser Weise interessant erscheint auch das Bühnenbild von Gregor Zivic. Im ersten Akt und in der Schlussszene blickt der Zuschauer über eine Stuhlreihe auf das Podium eines Festsaales, der nach hinten offen ist; Decke und Seiten sind durch helle Holzwände eingegrenzt. Diese öffnen sich am Ende des ersten Aktes und schließen sich wieder am Schluss der Oper. Im Hintergrund sieht man ein riesiges, fast bühnenfüllendes Holzgerüst, das an ein verschlungenes Schlangenskelett erinnert und als phantasievolles, abstraktes Einheitsbühnenbild durchaus Eindruck macht. Wenn es im zweiten und zu Beginn des dritten Aktes nach vorn geschoben, frei auf der (Drehbühne) steht und stimmungsvoll ausgeleuchtet wird, entstehen sehr stimmungsvolle, fast romantische Bilder. Doch die werden durch die sehr konkreten, unordentlichen und furchtbar hässlichen Stuhlgruppen an beiden Proszeniumsseiten gebrochen. Abstraktion und/oder Stilisierung allein wäre wohl viel zu ästhetisch...

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Vier brabantische Edle
mit Telramund (Jan Zinkler)

Nachdem sich mitten im Vorspiel der Vorhang öffnet und den oben beschriebenen Blick freigibt, erscheint eine junge Frau mit einem Jungen. Beide suchen sich ihre Plätze und nehmen in der Stuhlreihe Platz. Der Junge geht durch eine Seitentür wieder hinaus und kommt mit einem Eis zurück. Das Eis fällt zu Boden, die junge Frau wickelt es in ein Taschentuch und der Junge geht hinaus, um es zu entsorgen und bleibt verschwunden. Das war die Sache mit Gottfried, denn die junge Frau ist - wie wir gleich erfahren werden - Elsa.
Am Schluss der Oper singt Lohengrin sein " Seht da den Herzog von Brabant" durch die wieder geöffnete Tür, kommt selbst zurück, umarmt und küsst Elsa - und setzt sich mit ihr und Gottfried erwartungsvoll in die Reihe. Ein Happy End der besonderen Art. Verstanden habe ich es nicht.

Vergrößerung in neuem Fenster Lohengrin (Kor-Jan Dusseljee)
und Elsa (Rossella Ragatzu)

Elsa ist eine mehr dusselig-verträumte als kindliche Außenseiterin, Lohengrin ein unsympathischer eitler Geck, so gar nicht "schön und hehr zu schauen" in seinem zu engen Anzug in dunklem Türkis und dem orangefarbenen Hut, der wohl eigentlich Gottfried gehört. Groß und edel erscheint Telramund, der dem Verein in offensichtlich höherer, leitender Funktion angehört, selbst aber nicht mehr aktiv mitturnt. Ortrud ist (s)eine Funktionärsgattin, wie sie im Buche stehen könnte - würde sie sich ein bisschen mehr beherrschen. Als Frau von Stand träte sie Elsa mit Würde in den Weg, hier reisst sie sie am Arm und schleudert sie durch die Gegend. Das sei als ein Beispiel des "Zuviel" genannt, das einige Handlungselemente überdeutlich zeichnet - ihnen aber gerade damit die Schärfe nimmt.

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"Erhebe Dich, Genossin meiner Schmach!"
Ortrud (Dagmar Pecková), Telramund (Jan Zinkler)

Andere Momente gelingen wiederum sehr stark. So wird ganz deutlich, das Telramund tatsächlich geglaubt hat, dass Elsa schuldig sei, sein Zusammenbruch ist daher doppelt dramatisch: Er wurde nicht nur von Lohengrin besiegt und damit im Gottesgericht für schuldig erklärt, er kann seine Niederlage auch gar nicht fassen, weil er sich selbst im Recht glaubt. Mit welchen Verführungskünsten Ortrud unter anderem arbeitet, wird deutlich gezeigt, wenn sich die "wilde Seherin" ihren Gatten mit wildem Sex hörig macht. Der gerät dann auch in einen regelrechten Freudentaumel, wenn Ortrud von Elsa ins Schloss - bzw. ins Gerüst - eingelassen wird.

Vergrößerung in neuem Fenster Ortrud (Dagmar Pecková)
und Elsa (Rossella Ragatzu)

Zum Sammelruf im dritten Akt erscheinen die (Wett-)Kämpfer mit Schlaf- bzw. Schmusedecken und bekommen Kaffee und Brezeln zum Frühstück (sicher aus der Vereinkasse finanziert, oder gibt es eine Umlage?). Beim "Warmmachballett" entstehen dann aber Bilder, die doch sehr an Leni Riefenstahls Olympia-Film erinnern, auch wenn sich die erhobenen Arme knapp vor dem ersten "Heil"-Ruf gerade noch eben senken. Was vorn ausgesperrt wird, kommt hinten wieder rein - so deutlich und so gut choreographiert, dass es kein Zufall sein kann. Die Frisuren der dreißiger Jahre und die Kostüme (Antonia Fietz) tun ein Übriges dazu.

Vergrößerung

Brautchor

Es gibt sogar einen komischen Moment, der zwar nicht neu, aber doch effektvoll ist: Nachdem sie zum schier endlosen Brautchor umständlich durch das Gerüst laufen musste, will und will sich die Hochzeitsgesellschaft nicht entfernen. Erst durch Lohengrins dezente, aber doch eindeutige Verscheuchungsgesten, während er singt "wir sind allein, zum ersten Mal allein", lassen sie sich zum Abgang bewegen. Unfreiwillig komisch wirkt dagegen das Eichenlaub auf Besenstielen, das Elsas Zug zum Münster schmückt, nachdem sie sich vorher ihr Brautkleid auf offener Straße anziehen musste - nur vom Kreis der Brautjungfern geschützt.

In ihrer Mischung aus Abstraktion und konkreter Umdeutung wirkt diese Inszenierung etwas unausgegoren. Der konkrete Festsaal und die Turnerschaft als Grundlage für ein konsequent durchgezogenes Regiekonzept könnten vielleicht sogar überzeugen. Andererseits könnte das Holzgerüst als ein großartiges Einheitsbühnenbild in einer abstrahierenden Inszenierung ungeheuer stark wirken. Die Mischung macht es oft - hier nicht. Und die Romantik bleibt fast gänzlich auf der Strecke.

Vergrößerung in neuem Fenster Stimmungsvoll ausgeleuchtet:
2. Akt

Auch musikalisch bleiben in der Premiere einige Wünsche offen. GMD Alexander Joel legt im ersten Akt wenig sensibel los. Seine Leidenschaft für das gewaltige, donnernde Fortissimo ist unüberhörbar. Den ruhigeren und romantischen Klängen im zweiten Akt verweigert er sich aber auch nicht und versöhnt so die strapazierten Ohren und Gefühle. Nach einem sehr diesseitigen, absolut zauberfreien Vorspiel, das mit seiner Intonation und Balance wackelnd und holpernd kaum einer ersten Verständigungsprobe Ehre machen würde, spielt sich das Orchester ein und meistert den Rest des Abends achtbar. Der für die kleine - und durch das Bühnenbild noch stärker eingeengten - Bühne große Chor klingt prachtvoll und gewaltig, manchmal auch gewaltig laut, was aber sicher auch der Trichterwirkung des vorderen Bühnenbildes zuzuschreiben ist. Seine umfangreiche Aufgabe bewältigt der Herrenchor beachtlich, auch wenn man sich unter anderem beim "Ein Schwan, ein Schwan" (noch) nicht wirklich einig ist. Mit Homogenität und Leichtigkeit können die Damen betören.

Vergrößerung

"Es gibt ein Glück..."
Elsa (Rossella Ragatzu)

Rossella Ragatzu ist eine hinreißende Elsa. Ihr beseelter, lupenreiner, dabei aber keineswegs steril klingender Sopran trifft genau ins Herz - wunderschön innig und anrührend, jedes Wort ausdeutend. "Es gibt ein Glück..." hat man selten so rein und bewegend gehört. Man erlebt bei ihr auch stimmlich, wie Elsa vom naiven Dummchen zur Frau reift, die sich nicht für dumm verkaufen lässt, die vom "Mein Armer Bruder" zum "Nichts kann mir Ruhe geben" und "Allewiger! Erbarm Dich mein!" einen schweren Weg geht.

Kor-Jan Dusseljee verströmt viel heldischen, leicht rauen, zuweilen metallischen Glanz. Er singt mit viel Druck und klingt dadurch häufig angestrengt. Wenn er die Stimme in den lyrischen Passagen freier schweben lässt, offenbaren sich wunderbare Klänge - wenngleich ihm seine "Schlager"("Nun sei bedankt" und die "Gralserzählung"), nicht wirklich gelingen.
Selcuk Hakan Tirasoglu lässt seinen kernig-voluminösen Bass breit strömen und verleiht dem König (oder hier ja eher Präsidenten) mit Stentorstimme mehr Größe als Würde. Schwierigkeiten bereiten ihm allerdings die exponierten Höhen und Tiefen - und immer mal wieder der Text.

Vergrößerung in neuem Fenster König Heinrich alias Präsident
Heinrich (Selcuk Hakan Tirasoglu)

Jan Zinkler hat mit seiner großen, schlanken und hier auch aschblonden Erscheinung eine enorme Bühnenpräsenz. Sein schauspielerisches Talent gehört zur Extraklasse unter Opernsängern. Der oben beschriebene Zusammenbruch Telramunds ließe selbst Steine erweichen. Stimmlich liegt ihm die Partie aber nicht wirklich. Die Höhe klingt oft ungewohnt rauchig und angestrengt, manche Töne so, als würden sie zwischen Gaumen und Nase herausgepresst. Wirklich entspannt und sicher klingt die Mittelage - die ist dann aber auch wirklich grandios. Malte Roesner ist ein Heerrufer, der seine Partie kultiviert kraftvoll singt und sich wohltuend von vielen seiner in dieser Partie brüllenden Kollegen abhebt. Fulminant, mit viel Sprechgesang gestaltet Dagmar Pecková die Ortrud, vergisst aber zu oft dabei, dass diese Partie auch wirklich gesungen sein will.

Zum Schluss muss noch die Schwanen-Frage geklärt werden: Natürlich gibt es auch hier keinen Schwan oder etwas Vergleichbares. Lohengrin wird einfach auf dem sich drehenden Gerüst herein- und wieder hinausgefahren. Das ist vielleicht auch besser so. Vor Lohengrins scheußlichem Kostüm würde jeder Schwan Reißaus nehmen...

Vergrößerung

Lohengrins Ankunft


FAZIT

Ein gewaltiges Spektakel, das szenisch wie musikalisch einen zwiespältigen, etwas unausgegorenen Eindruck hinterlässt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Joel

Inszenierung
Michael Sturminger

Bühnenbild
Gregor Zivic

Kostüme
Antonia Fietz

Chor
Georg Menskes

Dramaturgie
Jens Neundorff von Enzberg



Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Braunschweig

Mitglieder des Coruso e. V.

Staatsorchester Braunschweig


Solisten

Heinrich der Vogler
Selcuk Hakan Tirasoglu

Lohengrin
Kor-Jan Dusseljee

Elsa von Brabant
Rossella Ragatzu

Friedrich von Telramund
Jan Zinkler

Ortrud
Dagmar Pecková

Der Heerufer des Königs
Malte Roesner

Vier brabantische Edle
Kenneth Bannon
Johannes Gaubitz
Henryk Böhm
Dae Bum Lee

Vier Edelknaben
Marina Funke
Julia Halfar
Andreja Schmeetz
Hyo-Jin Shin



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)



Da capo al Fine

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