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Musiktheater
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Delirio amoroso
Idee, Konzeption und Szenario von Christian Baier
Musik von Georg Friedrich Händel
unter Verwendung der Kantaten Delirio amoroso, Armida abbandonata, Lukrezia und Agrippina condotta a morire
Koproduktion von Musiktheater und Ballett des Theater Dortmund


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 30. Mai 2008 im Theater Dortmund

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)


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Theater Dortmund
(Homepage)
Delirio amoroso ist kein volltrunkener Fußballspieler“- aber was dann?

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Stage Picture GmbH

Wie Händelsche Oratorien heutzutage szenisch-dramatisch aufgeführt werden, ist momentan in Essen (Semele, unsere Rezension) und Berlin (Belshazzer) zu erleben. Welch hohe Dramatik sich hinter der unverbindlichen Bezeichnung „Kantate“ verbirgt, zeigt die letzte Inszenierung des Dortmunder Opernhauses in Zusammenarbeit mit dem Ballett des Theaters. Ein spannendes Projekt, dessen Idee, Konzeption und Szenario der Dramaturg Christian Baier entwarf. Ausgewählt wurden Delirio amoroso, Armida abbandonata, Lukrezia und Agrippina condotta a morire, drei Anfang des 18.Jahrhunderts in Italien entstandene, weltliche Solokantaten von Händel, die das Thema Liebesleid-, schmerz aus der Perspektive der verlassenen, verletzten, rachsüchtig liebenden Frau, bzw. Mutter beleuchten. Die Kantaten, die aus einer nicht festgelegten Abfolge von Rezitativen, Arien und bisweilen Instrumentaleinlagen bestehen, sind entsprechend der sich zugunsten von Affekt- und Ausdrucksvielfalt immer weiter auflösenden Form steigernd angeordnet. Den Rahmen bildet die allen Einwänden zum Trotz liebende Clori, die am Ende zu Lethe, dem Strom der Unterwelt gelangt, von dem die Seelen der Verstorbenen trinken, um ihr irdisches Dasein zu vergessen.

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Clori (Julia Novikova)

Es wird deutlich, wie sehr Händel mit diesen in sich geschlossenen Episoden musikalische Experimentierfelder für die Oper schuf, dramatische Miniaturen, die ursprünglich nicht für die öffentliche Bühne gedacht waren, sondern im Rahmen privater Einladungen, schöngeistiger Salons oder Akademien aufgeführt und diskutiert wurden. In der Dortmunder Inszenierung werden scheinbar private Frauenschicksale zum öffentlichen Politikum. Während Julia Novikova mit ihrem schlanken, vibratolosen Sopran noch ganz in der Ästhetik des barocken Schäferidylls aufgehoben ist, wirken die dramatischen Interpretationen von Lydia Skourides, Aleksandra Zamojska und Maria Hilmes manchmal wie moderne, expressive, ständig und unerwartet wechselnde Seelenzustände. Ein beeindruckendes musikalisches Hörerlebnis!

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Armida (Lydia Skourides)

Wer allerdings mit der Erwartungshaltung kam, tänzerische Gesten, barocke Theaterwelt und der häufig kontrastierende Ausdruck musikalischer Affekte würden sich aufeinander beziehen, wurde enttäuscht. Zunächst thronen die Mitglieder des Balletts mehr oder weniger harmlos, zu barocken Prachtmarionetten erstarrt, an verschiedenen Stellen im Zuschauerraum verteilt und mit Getränken und Süßigkeiten des 20.Jahrhunderts bestückt. Sodann stellen sie, einmal der barocken Distanz entrissen, in plakativen, wenig differenzierten Bildern und Bewegungen die unerbittlichen, von harten moralischen Gesetzen geprägten Verhältnisse der mittelalterlichen Gesellschaft der Sarazenen dar oder nehmen Intrige, Mord und Vergewaltigung im lustorientierten, alten Rom zum Anlass, das Thema Macht, Gewalt, Unterwerfung und Sexualität ernüchternd unpoetisch zu beleuchten.


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Agrippina (Aleksandra Zamojska)

Manchmal ist ein unerwarteter Gefühlsausbruch der Sängerin zwar Anlass für die TänzerInnen, die Sprossen der Seitenwände zu erklimmen, viele der bewegten Bilder des Balletts wirken jedoch eher wie (überflüssige) Parallelwelten ganz ohne barocke Leichtigkeit und Verwandlungsfähigkeit. "Delirio amoroso ist kein volltrunkener Fußballspieler!" verkündet in riesigen Lettern ein überegional agierender Lebensmittelhändler in seiner Anzeige im Programmheft ("Vielleicht hat unser Supermarkt um die Ecke auch einmal die Chance, mit seinen kleinen Dramen, auf der großen Bühne des Lebens zu stehen."). Aber was ist delirio amoroso dann? Eine Antwort bleibt der ziemlich unverbindliche Abend schuldig.

Vergrößerung in neuem Fenster Lukretia (Maria Hilmes)

Die fast solistische Streicherbesetzung der Dortmunder Philharmoniker mit Cembalo und Kontrabass als Basso continuo, vor allem die Solo-Oboe in Delirio amoroso begleiteten die Solistinnen einfühlsam. Im Sinne historischer Aufführungspraxis - die hier keine Rolle spielt - wären jedoch stärkere dynamische und temporale Kontraste, akzentbetontere Rhythmik und differenziertere Artikulation wünschenswert.


FAZIT

Das Konzept liest sich auf dem Papier reizvoller, als es dann auf der Bühne tatsächlich ist. Gesang und Tanz laufen weitgehend berührungslos nebeneinander her - schöne Musik mit oft überflüssigen Bildern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Granville Walker

Inszenierung
Sebastian Hirn
Xin Peng Wang

Bühne
Franz Gronemeyer

Kostüme
Monika Staykova

Choreographie
Xin Peng Wang

Lichtdesign
Jo Schramm

Dramaturgie
Christian Baier


Corps de Ballett
des Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

Clori
Julia Novikova

Armida
Lydia Skourides 

Agrippina
Aleksandra Zamojska

Lukretia
Maria Hilmes



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



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