Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Salome

Musikdrama in einem Akt
Text vom Komponisten nach Oscar Wildes Schauspiel Salome
in der deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache

Premiere am 21. September 2007 im Theater Dortmund

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)


Homepage

Theater Dortmund
(Homepage)
Schöne Bescherung

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture Gmbh

Es weihnachtet sehr. Im Treppenhaus einer großbürgerlichen Villa steht ein festlich geschmückter Christbaum, darunter warten hübsch verpackt allerlei Geschenke auf die Bescherung. Hausherr Herodes, ein hoch dekorierter Offizier, residiert hier umgeben von einer schneidigen Soldateska und geistlichen Würdenträgern verschiedenster Glaubensströmungen. Gattin Herodias ist ein mondänes Luxusweibchen, die das Leben als Dauerparty am Beginn des 20. Jahrhunderts in vollen Zügen genießt. Tochter Salome, ein Backfisch im adretten Kleidchen und gelangweilt von Mamis und Papis Empfang, schleicht im Treppenhaus herum. Zunächst deutet nur ein Klavier, das schräg auf der großen Treppe reichlich deplatziert herumsteht, die Schieflage an, die anderthalb Stunden später alle in den Abgrund spülen wird. Mühelos kann man sich vorstellen, dass rund 40 Jahre später in vergleichbarem Ambiente weltkriegsunerschütterliche NS-Bonzen ihre Weihnachtsfeier veranstalten.

Vergrößerung in neuem Fenster

Belastbar: Jochanaan (Neal Somin) mit Ziegelsteinen am Hals. Salome (Valérie Suty) ist schwer beeindruckt.

Der Ansatz, die Handlung in die Entstehungszeit der Oper zu verlegen, wirkt am Anfang wie eine Notlösung, die den problematischen Exotismus der Oper durch eine anderen, etwas weniger problematischen ersetzt. Zunächst geht nicht alles auf in der Inszenierung von Alexander Schulin. So stellt im Schauspiel Oscar Wildes (das Richard Strauss in der deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann zum Libretto komprimiert hat) die Existenz des Christentums eine reale politische und damit existenzielle Bedrohung für den Herodes-Clan dar - bei dieser zeitlichen Verschiebung funktioniert das nicht. Warum Jochanaan überhaupt ernst genommen und nicht als religiöser Spinner ausgelacht oder schlicht abgeknallt wird – mit der Pistole ist man hier sowieso schnell bei der Hand – ist wenig plausibel. Jochanaan selbst ist mit wehendem Haar und von Salome geöffnetem Hemd eine sehr virile Erscheinung, zumindest ästhetisch ein Revoluzzer, der zwar als Zeichen irgendwelcher Last zwei Ziegelsteine um den Hals hängen hat, dem man aber seine wahnhaft zölibatäre Haltung nicht recht abnehmen mag. Zwar ist sofort klar, warum Salome diesen wilden jungen Mann begehrenswert findet, nicht aber dessen Zurückweisung (zumal er darunter offensichtlich selbst am meisten leidet). Zwar gelingt es Schulin, von Beginn an eine todessüchtige Grundstimmung zu zeichnen (der Hauptmann Narraboth, solide und höhensicher von Thomas Piffka gesungen, setzt sich schon in den ersten Takten spielerisch den Revolver an den Kopf), aber die Personenführung neigt zur Überzeichnung (und dadurch zum Karikieren) der Charaktere.

Vergrößerung in neuem Fenster

Großbürgerliches Elternhaus: Herodias (Szilvia Rálik) und Herodes (Jeff Martin) geben sich die Ehre.

Die szenischen Probleme spiegeln sich in der musikalischen Interpretation wieder. Hals über Kopf stürzt Richard Strauss Musiker wie Publikum in die Oper. Eine aufsteigende Klarinettenfigur, dann ganz schnell noch Atem holen, und schon ist man mitten im Stück: Da klingen die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Kapellmeister Ekhart Wycik doch etwas überrumpelt. Vor allem aber in der heiklen Jochanaan-Szene greift die musikalische Interpretation nicht: Hier müsste das Orchester den Weltuntergang ankündigen, darf gleichzeitig aber den Sänger nicht zudecken. Wycik nimmt zwar den Klang zurück, die Musik ist aber immer noch zu laut: Simon Neal als Jochanaan schreit mit klarer, notgedrungen forcierter und dadurch enger Stimme tapfer gegen die Instrumentalgewalten an. Das Orchester verliert durch die reduzierte Lautstärke gleichzeitig an der erforderlichen Schärfe und Binnenspannung, sodass letztendlich nichts erreicht ist. Und Valérie Suty in der Titelrolle ist mit einem zarten Jungmädchenstimmchen in dieser Szene hoffnungslos verloren.


Vergrößerung in neuem Fenster

Die Schleier lassen in dieser Inszenierung die anderen fallen: Salome (Valérie Suty) nach dem Tanz, der keiner war.

Überhaupt ist es mit Valérie Suty so eine Sache. Ihrem Piano fehlt fast jede Substanz, ist beinahe Sprechgesang (immerhin sorgfältig deklamiert), der bei den tieferen Tönen in reines Atmen und Hauchen übergeht. Die hohe Lage spricht im Mezzoforte und Forte blendend an, und da kann die Sängerin ganz wunderbare Phrasen gestalten, klangschön und über dem Orchester scheinbar unangestrengt aufleuchtend, mit einem Vibrato, dass die Stimme robust und doch jung klingen lässt. Für richtig dramatische Akzente ist die Stimme zu klein, und verschiedene Klangfarben stehen oft schroff und übergangslos nebeneinander (auch sind manche Linien unerwartet farblos). Alles in allem also ein uneinheitliches Bild mit großartigen neben stark gefährdeten Momenten. Für diese Rolle – und konkret das in dieser Inszenierung gezeichnete Rollenbild – ist das ja nicht unpassend; diese Salome ist eben auch stimmlich halb Kind, halb Diva mit allen Brüchen und Verwerfungen. Was davon bewusste Gestaltung und was auf technische Unzulänglichkeiten zurückzuführen ist, bleibt oft nicht erkennbar. Schauspielerisch ist Valérie Suty außerordentlich engagiert, ja beinahe hyperaktiv und dadurch nicht ohne einen Hang zum Manieriertheit. Aber sie zeichnet dabei eine anrührende Figur, die den Zuschauer nicht unbeteiligt lässt.

Inszenierung wie musikalische Interpretation verdichten sich in der zweiten Hälfte der Aufführung erheblich. Dem Orchester und seinem Dirigenten gelingt es eindrucksvoll, vom Auftritt des Herodes an die unheimliche Atmosphäre auch musikalisch zu gestalten. Jeff Martin in der Partie des Herodes hat keine sehr große Stimme, aber einen prägnanten Charaktertenor mit Schärfe und Pointierung. Leider dirigiert Ekhart Wycik über manche Nuance des Textes hinweg. Die Herodias ist mit Szilvia Rálik groß besetzt; Volumen und Präsenz der Stimme werten die Rolle, oft an den Rand gerückt, hier deutlich auf.

Eine durchaus interessante Lösung hat Alexander Schulin für den Schleiertanz, diesen fast immer in Peinlichkeit entartenden musikalischen Striptease, gefunden: Nicht Salome tanzt, sondern im Zeitlupentempo packen alle anderen die Geschenke unterm Weihnachtsbaum aus – und finden dort Schleier über Schleier. Am Ende deutet sich, Süskinds Parfum lässt schön grüßen, eine Massenorgie an. Während dessen schreitet Salome, mit einem Spot hell angestrahlt, wie in einem Film von Alfred Hitchcock gemessenen Schrittes die Treppe hinab. Die Musik (sehr langsam und getragen und großformatig wie Filmmusik gespielt) verleiht diesem surrealen Szenario etwas Entrücktes. Ein Gruselfilm.

Vergrößerung in neuem Fenster Damenbildnis mit Prophetenkopf: Salome (Valérie Suty) am Ziel ihrer Wünsche - oder auch nicht.

Die Katastrophe wird zunehmend greifbar. Die Protagonisten tragen unübersehbar die Zeichen des Niedergangs. Schulin hat eine weitere Figur wenn auch nicht völlig neu erfunden, so zumindest über Text und Musik hinaus weiter entwickelt: Den Pagen (Maria Hilmes singt die wenigen Töne sehr ordentlich), der unglücklich in den Hauptmann Narraboth verliebt war und nicht über dessen Selbstmord hinweg kommt – und sich in einen Amokläufer verwandelt. Man ahnt früh, dass er den finalen Todesschuss abgeben wird. Als Überraschungsmoment tötet er jedoch nicht seine Rivalin Salome, sondern Herodes. Wesentlich ist dabei, dass Salome überlebt: Wenn Schulin sie wie besinnungslos die Treppe hinauf auf den Pagen zu torkeln lässt, dann begreift man, dass der Page und Salome Geistesverwandte sind, die beide im Umfeld völliger Lieblosigkeit eine Ahnung von Liebe verspürt haben.

Schulin verweigert in diesem Finale die szenische Auflösung der Spannung, die sich vorher aufgebaut hat, und das ist in der Wirkung beträchtlich. Nach Verklingen des letzten Akkords setzt nicht der übliche Jubel ein, sondern im Publikum greift so etwas wie Ratlosigkeit um sich. Der spärliche Applaus (in den sich ein paar klägliche Buhs und Bravi wie bestellt, aber nicht geglaubt mischen) mag teilweise auf die eine oder andere Unzulänglichkeit zurückzuführen sein; so manchem Zuschauer dürfte aber auch aus Betroffenheit die Lust am Applaudieren vergangen sein.

FAZIT

Musikalisch zwar alles andere als aus einem Guss, präsentiert sich hier eine Salome, die - trotz oder wegen ihrer Widersprüche - unter die Haut geht.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ekhart Wycik

Inszenierung
Alexander Schulin

Bühne
Christoph Sehl

Kostüme
Cornelia Brunn

Choreographie
Justo Moret Ruiz

Dramaturgie
Christian Baier


Statisterie des
Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere



Herodes
Hannes Brock /
* Jeff Martin

Herodias
Szilvia Rálik

Salome
Valérie Suty

Jochanaan
Simon Neal

Narraboth
Charles Kim /
* Thomas Piffka

Ein Page der Herodias
* Maria Hilmes /
Franziska Rabl

Fünf Juden
Tansel Akzeybek
John Heuzenroeder
Marius Müller-Görgner
Darius Scheliga
Frederik Bergsma

Zwei Nazarener
Bart Driessen
Blazej Grek

Zwei Soldaten
Vidar Gunnarsson
Hiroyuke Inoue

Ein Cappadocier
Ramaz Chikviladze

Ein Sklave
Vera Fischer



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -