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Beziehungsprobleme am Busen der Liebesgöttin
Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub Die Harfe spielt gebrochene Dreiklänge, das Fagott setzt ein und durch den Zuschauerraum geht ein Raunen: Jetzt kommt's. Offenbar wird Donizettis Elisir d'amore immer noch von vielen im Wesentlichen auf eine einzige Arie reduziert, jenes (zu Recht) berühmte Una furtiva lagrima. Sicher ist dies ein wunderschönes Bravourstück für Tenöre, aber bewundernswert ist nicht nur die fließende Melodik, sondern die Art und Weise, wie Donizetti nicht nur hier die flotte und nur vordergründig harmlose Komödie sprengt und aus Spaß unvermittelt Ernst wird. Die Oper läuft schnell Gefahr, unterschätzt zu werden, schließlich ist das Komödienschema denkbar schlicht: Ein Mann liebt eine Frau, die will ihn nicht, bis er ihr die kalte Schulter zeigt, und dann fallen sie sich doch in die Arme. Alles banale Komödie? Man kann es auch anders sehen: Da sind sich zwei Menschen des anderen allzu sicher, spielen wechselseitig ihre Macht aus und gehen beinahe darüber zugrunde. Um ein Haar geht das tragisch aus, eigentlich grundlos ein Fall für die Paartherapie? Donizettis Beobachtungsgabe ist da ziemlich modern. Wundertränke für alle Lebenslagen: Dulcamara (Bruno Balmelli) präsentiert dem Chor sein Warensortiment Regisseur Andàs Fricksay Kali Son lockt das Publikum zunächst in die Komödienfalle. Noch bevor der Vorhang sich hebt, sprießen Blumen aus dem Kunstrasen und ein neckischer Maulwurf schaut sich um. Dann singt ein Chor aus lustig bunt bekleideten Alpenländlern ein fröhliches Lied, und schließlich offenbart sich eine Modellbahnlandschaft mit vielen Bergen, kleinen Kühen, Bergsteigern und winzigen Gipfelkreuzen (die Perspektive vortäuschen). So viel heile Bergwelt kann nicht ernst gemeint sein. Die Soldaten scheinen allesamt Marx-Brothers mit charakteristischem Schnurrbart zu sein, und wenn die Sänger dann auch noch brav im Takt schunkeln oder fast provokativ biedere Tänze aufführen, glaubt man sich in einer Opernparodie (wofür Donizetti eindeutig zu schade wäre). In diesem Rahmen läuft die Komödie dann durchaus konventionell ab. Über allem aber thront der vielleicht acht Meter große Oberkörper einer barbusigen Frau mit rot lackierten Fingernägeln, den Kopf nachdenklich abgestützt, in der Hand einen kleinen Stier betrachtend: Eine moderne Variante der ägyptischen Liebesgöttin Hathor? (Auch die Hörner, die sich die Frauen des Chores im zweiten Akt aufsetzen, könnten eine Anspielung auf den Hathor-Kult sein). Das ist eine Brechung, die tatsächlich den Abend trägt, auch wenn es zunächst nicht den Anschein hat. Nemorino (Andrej Dunaev) benötigt eine ganz spezielle Medizin, nämlich einen Liebestrank - Dulcamara (Bruno Balmelli) hält für derart naive Fälle einen überteuerten Bordeaux bereitFurios ist der Einsatz, mit dem sich das kleine Solistenensemble auf das Stück stürzt. Aus der zunächst überdreht anmutenden Personenregie schält sich bald der Konflikt heraus, und die Komödie wird zusehends zur Schablone, vor der sich die Annäherung von Nemorino an die zunächst reichlich zickige Adina umso ernsthafter abheben. Schnell wird deutlich, wie viel hier für beide auf dem Spiel steht. Fricsay Kali Son hält die Inszenierung auf des Messers Schneide zwischen Komödienstadl und tragischem Kammerspiel das ist gewagt, aber es geht auf. Nach zweieinhalb ebenso unterhaltsamen Stunden darf die Kitschkomödie getrost das letzte Wort behalten: Man hat, sehr ironisch, einen ziemlich modernen und ernst zu nehmenden Exkurs über Partnerschaftsprobleme gesehen. Noch wirkt der Liebestrank nicht, und so flirtet Adina (Netta Or) mit dem schneidigen Offizier Belcore (Dmitri Vargin) Das Konzept funktioniert auch deshalb, weil es den Sängern gelingt, aus jeder Nummer musikalisch ein Bravourstück zu machen. Netta Or hat eine helle Stimme mit einer leichten, durchaus aparten Schärfe, die für die Rolle der Adina ausgezeichnet passt: Schließlich spielt die reiche Gutsbesitzerin ja reichlich kratzbürstig mit dem verliebten Nemorino, bevor sie ihn erhört. Vom Charakter her hört man den Soubrettentonfall, der aber kraftvoll unterbaut ist und zum fülligen Koloratursopran tendiert. Vom Höreindruck her wäre man wohl nicht auf die Idee gekommen, die Sängerin sei an diesem Abend nicht nur indisponiert, sondern die Stimme krankheitsbedingt sogar hochgradig gefährdet dies aber teilte Intendant Tobias Richter vor der Aufführung mit. Trotz des brillanten Eindrucks, den Netta Or hinterließ, siegte in der Pause die medizinische Vernunft, und die Sängerin durfte fortan nur noch stumm spielen. Richter dürfte die Entscheidung leicht gefallen sein, denn er konnte mit einer fulminanten Zweitbesetzung am Bühnenrand aufwarten: Ekaterina Morozova erwies sich mit zupackendem, genauso präsentem Sopran als erstklassige Alternative. Die Stimme ist stärker eingedunkelt und lyrischer. Vereinfacht gesagt ist Netta Or mehr das verspielte Mädchen, Ekaterina Morozova eher die liebende Frau. Insofern sangen beide im jeweils passenden Akt, zwischen denen Adinas Charakter umschlägt. Wer nun die bessere Besetzung ist? Jede auf ihre Art, und wer die Möglichkeit hat, sollte am besten beide hören. Beziehungsstress: Nemorino (Andrej Dunaev) und Adina (Netta Or)Mit Andrej Dunaev als Nemorino hat die Rheinoper einen standfesten, kraftvollen Tenor im Ensemble, der um sein Leben hüpft und rennt und springt und trotzdem elegant und sehr musikalisch phrasiert. An lyrischem Schmelz könnte man sich sicher noch mehr vorstellen, und im Piano ist die Stimme mitunter brüchig; dafür ist die Höhe strahlend und klangschön, nie grell. Dmitri Vargin gelingt das Kunststück, einerseits formvollendet schön zu singen sonor und weich, trotzdem zupackend präsent und den Offizier Belcore bei aller blendenden Erscheinung als Macho zu geben, der nie ein ernsthafter Widersacher Nemorinos sein kann und will. Mit allen komödiantischen Wassern gewaschen ist Bruno Balmelli als Dulcamara. Jede musikalische Phrase sitzt, auch wenn die Stimme nicht mehr ganz jung klingt. Nur mit dem Tempo nimmt er es gelegentlich sehr ungenau. Aufhorchen lässt die junge Iryna Vakula in der kleinen Partie der Gianetta, die mit viel Stimmwitz und einer leuchtenden, tragfähigen Stimme glänzte. Heile Welt zum guten Schluss - und nachdenklich wacht die Liebesgöttin über dem Trubel Klangprächtig und nuanciert singt der von Christoph Kurig einstudierte Chor. Hin und wieder hatte Dirigent Pierre-Dominique Ponnelle Probleme, Chor und Orchester (und den Dulcamara von Bruno Balmelli) zusammenzuhalten. Ponnelle gelingen mit dem Sängerensemble viele schöne Details, die guten Duisburger Philharmoniker müssen sich dagegen fast zu sehr mit der Rolle der unauffälligen Begleiter begnügen hier und da dürfte ein Solo oder auch eine Mittelstimme mehr ausgespielt werden, ohne Donizettis Primat der Sänger zu gefährden. Ponnelles Interpretation wirkt zudem gut abgestimmt auf die Regie; ist der Schwung zu Beginn noch recht kontrolliert, so steigert er zunehmend das Tempo. Der ostentativen Umarmungen von Dirigent und Regisseur hätte es da gar nicht bedurft um zu zeigen, dass dieser Liebestrank eine runde Sache geworden ist wenn auch mit Widerhaken. Und viel mehr als nur eine einzige schöne Arie
Musikalisch erstklassig und szenisch schrill, aber klug präsentiert ist dieser Liebestrank sicher ein Höhepunkt der Saison. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Chor und Statisterie der Solisten
Adina
Ekaterina Morozova (2. Akt) (krankheitsbedingt kann Netta Or den 2. Akt nur spielen)
Nemorino
Belcore
Dulcamara
Gianetta
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