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Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Romantische Oper in drei Aufzügen
Dichtung vom Komponisten
Musik von Richard Wagner
Dresdener Fassung


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 4 h (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 29. März 2008


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Wir haben es ausgehalten

Von Thomas Tillmann / Fotos von Matthias Jung

Selbstverständlich wurde Hans Neuenfels' erste Arbeit am Aalto-Theater und seine insgesamt zweite Wagner-Deutung überhaupt vom Essener Premierenpublikum abgestraft - wer hätte es anders erwartet? Solche "Skandälchen" einzukaufen und für brilliante musikalische Leistungen noch mehr gefeiert zu werden, gehört zu den bekannten Strategien des Hauses seit vielen Jahren, im Programmheft natürlich als "Wunsch" bezeichnet, "diesen großen deutschen Regisseur für die Inszenierung der Oper eines großen deutschen Komponisten" zu verpflichten.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Liebesgöttin (Elena Zhidkova) mit ihrer beflügelten Entourage (Statisterie des Aalto-Theaters)

Der große deutsche Regisseur indes wünscht sich ein "Gespräch mit dem Publikum ... in Bewegung zu setzen": Während der Ouvertüre und dem Vorspiel zum dritten Aufzug werden also Texte auf den Vorhang projiziert, von denen mancher Satz bei allem Respekt vor dem sicher immensen Reflexionsniveau und tiefer Erkenntnis eigenwillig und rätselhaft bleibt ("Wir denken nach. Wir beschwören den Optativ."), mancher unfreiwillige Komik entfachte ("Ich möchte nicht aufdringlich sein.", "Im schlimmsten Fall haben Sie noch den eigenen Tod." oder auch "Es versöhnt, dass wir es miteinander ausgehalten haben.", was einige zu spontanem Beifall animierte). Hauptthema ist für Neuenfels "die extreme Wanderung eines Menschen durch sein Dasein und seine Erfahrungen mit der Gesellschaft, durch die Gesellschaft - bis hin zu seinem selbst beschlossenen Ende". Bedauerlicherweise liest sich das im langen Interview besser als es tatsächlich auf die Bühne gebracht wird, zu "collagiert" ist die Herangehensweise, zu groß das Interesse an "Kleinteiligkeit und Bösartigkeit, Zynismus, ... Witz, Trivialität, Boulevardeskem und Ironisierendem in diesem Werk", zu gering Interesse an dem großen Ganzen, an einer plausiblen Geschichte, die einen ganzen Abend lang trägt, an der Zeichnung der zentralen Figuren, die viel blasser bleiben als die zum Bewegungschor avancierten Statisten, die Neuenfels als "notwendige Handlungserweiterung" versteht (wieso denn notwendig? Weiß er es besser als Wagner?). Stattdessen isolierte, eigenwillige Einzelideen, die wie (häufig durchaus nachvollziehbare) Kommentare und Fußnoten zum Werk wirken, der wahrlich nicht mehr originelle Bezug auf die Vita des Komponisten, dazu platt anbiedernde Verbeugungen vor der Region und dem "schönen Opernhaus" - ein disparater Abend, der freilich weniger verärgerte als über weite Strecken eher Langeweile produzierte und viele Fragen offen ließ.

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Venus (Elena Zhidkova) und Tannhäuser (Scott MacAllister) zelebrieren ein satanistisches Ritual

Wird in der Stückeinführung auf der Homepage des Essener Hauses noch behauptet, Tannhäuser gerate in das Spannungsfeld der beiden Pole, die Elisabeth als "Sinnbild aufopfernder, rein geistiger Liebe" einerseits und Venus als "Inkarnation des sinnlich erotischen Genusses" repräsentieren, so wurde man direkt in der "Venusbergszene" von anderem überzeugt: Um Religion geht es hier, nicht um Sex, Heinrich, der natürlich wie Richard Wagner ausschaut, und Venus praktizieren umgeben von schwarzen und weißen Engelsfiguren ein satanistisches Ritual, das das christliche Abendmahl denunziert. Natürlich gibt es anschließend keine "echten" Bäume im Thüringer Wald, sondern nur stilisierte grüne Zylinder, zwischen denen Statisten mit liebevoll gebastelten Tiermasken und Bunny-Kostümchen in enger Verbindung zu den grün gewandeten Jägern herumhüpfen, bevor sie dann doch noch brutal abgeknallt werden - in unserer von kalt(herzig)en Menschen beherrschten Welt ist das eben so. Die Pilger treten mit roten Rastaperücken, die man unbedingt für eine Macbeth-Produktion aufbewahren sollte, und in schwarzen Corsagen auf, die bald den Blick auf die Brustwarzen ihrer Träger freigeben, einem offenbar ungeschriebenen Essener Gesetz folgend, dass Männer in Frauenkleidung, die sich berühren, einfach jede Inszenierung aufwerten (ähnlich überflüssig und abgegriffen ist der Einfall, Teile des Blechs im höchsten Rang spielen und den leistungsstarken Chor, der zu oft ins Off verbannt ist, im zweiten Aufzug durchs Parkett auftreten zu lassen, was nun wirklich niemanden mehr beeindruckt, dank der freien Plätze nach der Pause aber immerhin einigermaßen reibungslos funktioniert).

Frauen sind überhaupt rätselhafte Wesen: Die Landgrafennichte kommt als propere Operndiva daher, die ihr Äußeres und die Mundstellung beim Singen gern im Spiegel kontrolliert, Gebinde aus künstlichen Blumen trägt und in Begleitung von drei Dienerinnen auftritt, die die Hallenarie beklatschen und damit diejenigen Zuschauer inspirieren, die am Ende des Duetts, wenn Wolfram das Paar in einem aus künstlichen Rosen fabrizierten Schwan von der Bühne zieht (welch ein Einfall!), ihrer Begeisterung Ausdruck verleihen möchten. Doch trotz unglücklicher (Tanz-)Bewegungen und unvorteilhaft geschnittener Kostüme singt diese Elisabeth wie eine Göttin und füllt den wie der Zuschauerraum des Aalto gestalteten Raum anders als die Mehrheit ihrer Kollegen wirklich und vor allem wie selbstverständlich unangestrengt mit betörend glanzvollen, üppigen Tönen - eine bemerkenswerte, beglückende vokale Leistung von Danielle Halbwachs, die für vieles entschädigte.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Sängerwettstreit findet in Mönchszellen vor einer Neuschwanstein-Nachbildung und einer Förderturmattrappe statt (von links nach rechts): Wolfram (Heiko Trinsinger), Walther von der Vogelweide (Thomas Piffka), Landgraf Heinrich (Marcel Rosca, von hinten), Elisabeth (Danielle Halbwachs, von hinten), Tannhäuser (Scott MacAllister) und Biterolf (Almas Svilpa).

Zum Sängerwettstreit finden sich ein zweiter, nunmehr gealterter Richard Wagner und Bayernkönig Ludwig ein, die dem Publikum majestätisch zuwinken, auch vier Mädchen im Dirndl treten vor dem Alpenpanorama auf (klar, der Weg nach Rom führt unweigerlich über dieses Gebirge), vor das man eine Neuschwansteinattrappe geschoben hat, über der sich auch noch der Förderturm der Zeche Zollverein erhebt. Ihre Weißwurstketten erfüllen nicht nur am Hals ihren Sinn, sondern eignen sich auch hervorragend zum Seilchenspringen. Die in Mönchskutten gesteckten Sänger verteilen sich nach der von Kinderchormitgliedern kläglich vorgetragenen entsprechenden Aufforderung auf ihre weiß ausgeschlagenen Zellen, um über der Liebe wahres Wesen zu reflektieren - und über Tannhäuser herzufallen.

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Beobachtet von Wolfram (Heiko Trinsinger) besucht Elisabeth (Danielle Halbwachs, in schwarz) mit ihren Dienerinnen die "allmächtige Jungfrau" (Statisterie des Aalto-Theaters).

Die Dame seines Herzens trifft die "allmächt'ge Jungfrau" (mit dekolletiertem Cocktailkleid in Dunkelweiß) im dritten Aufzug höchstpersönlich auf einem mit leuchtend rotem Zaun begrenzten Rasenstück und verpasst ihr während einer wie ein sakrales Picknick wirkenden Zeremonie ein paar Tropfen, die Minuten später einen heftigen Sturz vom Stuhl auslösen - eine Heilige tötet die Gottesmutter, während sie verinnerlicht die wunderbaren Phrasen des Gebets intoniert? Nach kurzer Verwandlung treffen wir Wolfram in der Psychatrie wieder, deren Chefarzt er zu sein scheint und deren vom Regisseur sehr intensiv und individuell gezeichnete Insassen er mit dem Lied vom holden Abendstern sediert, bevor sie Tannhäusers Rom-Erzählung gebannt zuhören, ja inszenieren und durch ihr exzellentes, eindringliches Spiel einmal mehr von der Bewegungsarmut des Tenors ablenken und diese Szene zu einer der wenigen gelungenen, bedrückenden machen. Für die Schlussszene schließlich werden zwei schräg gestellte Särge auf die Bühne geschoben, deren ersten Elisabeth bezieht und aus deren zweiten Tannhäuser flieht, um einer das Kürzel EX auf der Brust tragenden schwarzen Figuren eine mit Symbolen verzierte Lanze vor den Augen der mit Dornenkranz, Kreuzigungswunden und lila Hängerchen tragenden Choristinnen zu zerbrechen und so gleichsam ungebrochen den eigenen Tod zu sterben.

Vergrößerung in neuem Fenster Tannhäuser (Scott MacAllister) berichtet unter großer Anteilnahme der Anstaltsinsassen (Statisterie des Aalto-Theaters) von seinen Erfahrungen in Rom.

Anders als erwartet gab nicht Jeffrey Dowd die Titelpartie (der noch auf allen Produktionsfotos aus den Hauptproben zu sehen ist, die im Programmheft verwendet werden), was manchen mehr enttäuschte als den Rezensenten, der bereits in seiner Kritik von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny seine Bedenken angemeldet hatte, sondern sein Landsmann Scott MacAllister, der die heikle Rolle, die neben einigen lyrischen französischen und italienischen Partien nicht seine einzige aus dem schweren Fach ist, auch in Hannover, Kiel, Frankfurt am Main und an der Deutschen Oper Berlin gesungen hat oder singen wird. Die Stimme ist natürlich nicht die eines Heldentenors, sondern eine gut projizierte, helle lyrische, die zwar kein sehr persönliches Timbre aufweist, aber erstaunliche Durchschlagskraft entwickeln kann und nur in wenigen Momenten hörbar an Grenzen kommt (wie im berüchtigten "Erbarm dich mein", bei dem der Sänger durch Kletteraktionen in der Bühnenmitte zusätzlich gehandicapt war). Und so beklagenswert gehemmt und schwach der Sänger auch in seinen Bewegungen und darstellerischen Bemühungen überhaupt war, den Weg zur Rampe fand er über weite Strecken mit bemerkenswerter Sicherheit. Man freute sich auch über die vielen unverkrampften Piani, über die hohe Legatokultur und die immense Sorgfalt bei der Bewältigung des deutschen Textes, auch über die Einteilung der Partie, die hier freilich nicht nur Intelligenz erkennen ließ, sondern angesichts der natürlichen Grenzen dieser Stimme überlebensnotwendig ist. Andererseits: Hatten und haben die "echten", baritonalen Tannhäuser-Interpreten nicht auch ihre Grenzen?

Ein Totalausfall war dagegen Elena Zhidkova als Venus mit ihrer dünnen, flachen, flackernd-gequetschten, einfach unangenehmen Kleinmädchenstimme, Einsatzproblemen (nicht eine Sekunde ließ sie den musikalischen Leiter aus den Augen), unzureichendem Deutsch, grotesker Teenagermimik und lächerlichem Augenrollen - drei herausgegellte Spitzentöne im dritten Aufzug, dunkelblonde Locken und Modelmaße reichen wahrlich nicht, um dieser Partie gerecht zu werden, was das Publikum zurecht mit sehr verhaltenem Applaus quittierte, zur Überraschung der Künstlerin, die an erstaunlich vielen bedeutenden Häusern und bei den renommiertesten Festivals aufgetreten ist. Die Tondokumente aus den Proben indes belegen, dass es sich keinesfalls um eine Indisposition handelte, und so fragt man sich doch, warum man nicht die alternativ besetzte Louise Winter um ihre Mitwirkung gebeten hat (ich kenne die Sängerin nicht, aber schlimmer hätte es nicht kommen können) und warum man teure Gäste nicht sorgfältiger auswählt.

Eine schwere Bronchitis hatte Heiko Trinsinger bis einen Tag vor der Premiere geplagt, wie Stefan Soltesz vor der Vorstellung mitteilte. Tatsächlich hörte man wenig von dieser Beeinträchtigung, aber man erlebt ja nicht selten, dass mit der Ansage der Druck von einem Künstler abfällt, und so sang der Bariton diesmal besser als ich ihn je gehört habe, viel mehr um Piano und Nuancen bemüht als sonst, exemplarisch textverständlich und vor allem im letzten Aufzug sehr intensiv, aber nicht übertrieben interpretierend (wie der berühmte Fischer-Dieskau, dessen Wolfram-Aufnahmen der Jüngere sicher kennt). Unter den übrigen Meistersängern fielen besonders Almas Svilpa mit ungeschlacht polterndem Bass und Thomas Piffka mit in die Jahre gekommenen, überstrapazierten und in den Ensembles grell hervordringendem Charaktertenor unangenehm auf, während der große Marcel Rosca als Landgraf einmal mehr eine Lehrstunde in expressivem Schöngesang voller Glanz und Würde gab, dem auch reifere Töne kein bisschen anhaben können. Viel liebenswürdiger hatte ich den Sopran von Christina Clark in Erinnerung, deren Hirtenlied nicht nett ans Ohr drang.

Stefan Soltesz hatte sich der größeren stilistischen Einheitlichkeit für die Dresdener Fassung des Werks entschieden, dessen "lyrische Expressivität" ihn "ungemein an Bellini" erinnert. Tatsächlich bemühte er sich um nicht enden wollende Legatobögen und verantwortete auch sonst erwartungsgemäß eine routiniert-versierte Orchesterleistung (ein Sonderlob verdienen die Harfen!), aber einmal mehr empfand man Respekt vor soliden kapellmeisterlichen Fertigkeiten und vor der großen Einfühlsamkeit in der Begleitung von Sängern mit begrenzten Mitteln (besonders deutlich in der Venusbergszene), vermisste aber einmal mehr die interpretatorische Größe eines wirklich bedeutenden Dirigenten, die einen über Stunden unabhängig vom Bühnengeschehen fesselt, berührt, Gänsehaut verursacht (mit Wehmut dachte ich an die wirklich bedeutenden Tannhäuser-Aufführungen, die Hans Wallat an der Rheinoper und noch vor wenigen Jahren in Dortmund dirigiert hat).

Klangbeispiel Klangbeispiel: 1. Akt, 2. Szene: "Mein Sänger..." Elena Zhidkova (Venus), Scott McAllister (Tannhäuser)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: 2. Akt, Einleitung: "Dich teure Halle ..."Danielle Halbwachs (Venus)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: 3. Akt, 1. Szene (Pilgerchor) "Durch Sühn und Buß" - Chor und Extrachor des Aalto-Theaters
(MP3-Datei)



FAZIT

Nein, ein ganz großer Wagnerabend war das nicht, weder szenisch noch musikalisch. Aber wir haben es ausgehalten.


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Hans Neuenfels

Mitarbeit Regie
und Dramaturgie
Susanne Oglaend

Bühne und Kostüme
Reinhard von der Thannen

Mitarbeit Bühnenbild
Martin Kinzlmaier

Licht
Jürgen Nase

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Ina Wragge



Bewegungschor (Statisterie
des Aalto-Theaters)
Opern- und Extrachor
des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

* Premierenbesetzung

Tannhäuser
Jeffrey Dowd/
* Scott MacAllister

Elisabeth, Nichte
des Landgrafen

Danielle Halbwachs

Venus
Louise Winter/
* Elena Zhidkova

Hermann, Landgraf
von Thüringen

Marcel Rosca

Wolfram von Eschenbach
Heiko Trinsinger

Walther von der
Vogelweide
Andreas Hermann/
* Thomas Piffka

Biterolf
Almas Svilpa

Heinrich der Schreiber
Rainer Maria Röhr

Reinmar von Zweter
Michael Haag

Ein junger Hirt
Christina Clark

Edelknaben
Mitglieder des
Aalto Kinderchors






Weitere Informationen
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