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Musiktheater
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L'incoronazione di Poppea
(Die Krönung der Poppea)


Opera musicale von Claudio Monteverdi
Dichtung von Giovanni Francesco Busanello
Übersetzung von Babette Hesse (Passagen in deutscher Sprache)
und Hans-Jörg Schweizer (lateinische Passagen)
Instrumentation von Samuel Bächli und Kai Tietje


in italienischer, deutscher und lateinischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere am 9. März 2008
im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen


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Musiktheater im Revier
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Liebe, Freiheit, Frechheit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


„Wir nähern uns einem dramatischen Meisterwerk mit Liebe, Freiheit und Frechheit“: Im Programmheft benennt Dirigent Samuel Bächli die Leitlinien, nach denen er gemeinsam mit Kapellmeister Kai Tietje eine theatertaugliche Fassung von Monteverdis oft nur in Singstimme und Basslinie vorliegendem Meisterwerk erstellt hat. Die Freiheit besteht darin, sich nicht auf historische Aufführungspraxis zu berufen, sondern nach Lust und Laune zu instrumentieren (mitunter aber auch "historisch"); an Frechheit grenzt dabei die Verwendung von Instrumenten wie Akkordeon oder Vibraphon oder die Umgestaltung der musikalischen Linie zu coolem Bar-Jazz, wo die Handlung dies sinnvoll erscheinen lässt. Dass die Arrangeure mit Liebe zu Monteverdi zur Sache gegangen sind, glaubt man ihnen gern. Dabei sind die Verfremdungen nicht auf das Musikalische beschränkt: Die Textfassung wechselt zwischen dem italienischen Original und der deutschen Übersetzung, und der Philosoph Seneca doziert in hehrem Latein. Inhaltlich ist die Handlung etwas gestrafft; Gott Amor wird zur Hauptfigur aufgewertet, und im Bühnenbild von Eckhard-Felix Wegenast (das aussieht wie eine Studie zu Daniel Libeskinds Berliner Jüdischem Museum) wird eine flotte Geschichte wie im Comic-Stil erzählt. Nun hat Claudio Monteverdi mit der Krönung der Poppea im Jahr 1642 im Handstreich den Moralkodex weggefegt, der die Oper des 18. und 19. Jahrhunderts prägen sollte, und unbekümmert Machtstreben und Ehebruch gefeiert – entsprechend unbefangen darf man wohl heute mit diesem Meisterwerk umgehen.

Vergrößerung in neuem Fenster omnia vincit amor: Liebesgott Amor (Wolf-Rüdiger Klimm) in der Pop-Art-Variante

Soweit und so schön die Theorie. Die Probleme fangen damit an, dass im Programmheft zu lesen ist: „nach einer Inszenierung von Andreas Baesler“. Es handelt sich um eine Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig, wo die Inszenierung bereits gelaufen ist, und Bettina Lell hat jetzt die szenische Einrichtung für das Musiktheater im Revier übernommen. Vielleicht liegt es daran, dass es der Personenregie entschieden an Schärfe fehlt. Das mutige Konzept setzt auf Witz und Schnelligkeit, das aber fehlt am Premierenabend – vieles soll überrumpeln, bleibt aber in der Wirkung zu sehr der Konvention verhaftet. Vor allem der erste Teil gerät trotz des eindrucksvollen Bühnenbildes zäh, fast langatmig. Völlig rätselhaft bleibt der Wechsel der Sprache: Warum teils deutsch, teils italienisch gesungen wird (und das im abruptem Wechsel), erschließt sich überhaupt nicht, stört aber sehr. Dabei klingen die italienischen Phrasen eleganter und „musikalischer“, die deutschen komödiantischer (und haben letztendlich die größere Berechtigung).

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Das Hohelied des Ehebruchs: Nerone (Anke Sieloff) und Poppea (Claudia Braun)

Vordergründig schlüssig ist die Darstellung des Seneca, der als Erfolgsautor mit einem Stapel seines neuesten Buchs auftritt – hier wird die Figur durch und durch karikiert und zur Lachnummer degradiert. Das verschiebt insgesamt den Schwerpunkt der Oper hin zur Komödie. Richtig glücklich wird man damit allerdings nicht, schließlich ist der Philosoph, der stoisch den Befehl zum Selbstmord ausführt, eine seriöse Figur mit großartiger Musik. Nimmt man ihn derart unernst, geht eine Dimension des Werks verloren. In die Abteilung „absurde Komödie“ gehört auch Liebesgott Amor als Transvestit im billig-silbernen Flitterkleidchen; die Amme mit einem Mann zu besetzen ist dagegen bereits im Original vorgesehen. Die beiden Paare Nero-Ottavia und Ottone-Poppea sind im Gegensatz dazu recht handfest der heutigen Schicki-Micki-Szene entnommen – Partygänger aus Schwabing oder vom Prenzlauer Berg.

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Der Tod des Philosophen: Seneca (Christian Helmer), dahinter Amor (Wolf-Rüdiger Klimm), links Nerone (Anke Sieloff)

Wo die Musik frech instrumentiert ist, da müsste sie auch adäquat interpretiert werden. Auch daran hapert es, ganz besonders im Orchester. Nicht, dass die 22 Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Samuel Bächli schlecht spielen würden, aber gerade in dieser Fassung müsste jeder Ton mit entwaffnender Selbstverständlichkeit gespielt werden – aber hier klingt alles brav und zurückhaltend, als sehnten sich die solistisch agierenden Instrumentalisten nach dem einhüllenden Orchestertutti. Es fehlt an Präsenz und Prägnanz. Mitunter dürfte sich der eine oder andere im Orchestergraben aber auch mit Recht fragen, warum in aller Musikwelt gerade sein Instrument diese Phrase zu spielen hat, denn neben überzeugenden Momenten wirft die Instrumentierung auch manchen Zweifel auf. Gute Spezialensemble für alte Musik klingen da letztendlich frecher als die neue Gelsenkirchener Freiheit.

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Bereit für die Krönung: Amme Arnalta (William Saetre) und Amor (Wolf-Rüdiger Klimm) umsorgen Poppea (Claudia Braun)

Abgeschwächt lässt sich das auch auf die Sänger übertragen. Es gibt keinen Ausfall im – eigentlich – sehr guten Ensemble, dass durchweg schön oder, wenn verlangt, angemessen parodistisch singt. Nur ist eben ringsumher alles auf die absurde Spitze getrieben (oder soll es wenigstens sein), und das müsste sich irgendwie im Gesang niederschlagen. Der aber klingt wie in einer guten konventionellen Aufführung. Claudia Braun singt die Poppea mit klarer, schlank geführter und trotzdem voller Stimme (und kann noch am ehesten die vom Gesamtkonzept verordnete Doppelbödigkeit andeuten). Laut Programmheft wird ihr kaiserlicher Liebhaber Nerone von Anke Sieloff gesungen – ist sie es wirklich? Ein Wunder an Verwandlungsfähigkeit, mit androgyn anmutender Mischstimme zwischen (Frauen-)Sopran und hohem (männlichem) Altus, perfekt für die Partie. Countertenor Matthias Lucht singt ihren Gatten Ottone mit sauber gefasster Stimme, durchaus zupackend. Noriko Ogawa-Yatake ist eine Ottavia mit warmen und weichen Tönen. Christian Helmer dröhnt als Seneca volltönend, aber recht eindimensional und wenig nuanciert (die Rollenausdeutung ist sicher nicht unschuldig daran). Wolf-Rüdiger Klimm als vitaler Amore und William Saetre als Amme haben mit barocker Phrasierung nicht allzu viel am Hut, sind aber auch für die parodistischen Elemente da, und Leah Gordon kann sich als Drusilla nicht ganz entscheiden, ob sie nun schön singen will oder auch stimmlich die verklemmte Liebhaberin darstellen soll - irgendwie sinnbildlich für diesen Premierenabend.


FAZIT

Allein der gute Wille reicht nicht: Eine wirklich freche Komödie müsste höchste Perfektion aufweisen, aber daran fehlt es hier, szenisch wie musikalisch. Angesichts der vokalen Möglichkeiten, die das Ensemble zeigt, ist da doch vieles durch das nur halbwegs überzeugende Konzept verschenkt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Inszenierung
Bettina Lell
nach einer Inszenierung
von Andreas Baesler)

Bühne
Eckhard-Felix Wegenast

Kostüme
Susanne Hubrich

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Johann Casimir Eule



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Chor des
Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

*Besetzung der Premiere

Amore / Amme / Hofsänger
* Wolf-Rüdiger Klimm /
Melih Tepretmez

Poppea
Claudia Braun

Nerone
Anke Sieloff

Ottavia
Noriko Ogawa-Yatake

Ottone
Matthias Lucht

Seneca
* Christian Helmer /
Nicolai Karnolsky

Drusilla
Leah Gordon

Arnalta
William Saetre

1. Soldat / 2. Schüler
Daniel Wagner

2. Soldat / 1. Schüler
Jan Ciesielski

3. Schüler
Wolf-Rüdiger Klimm



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Da capo al Fine

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