Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Demontage eines Helden
Von Bernd Stopka
/
Fotos von Andreas H. Birkigt
Auf den ersten Blick sieht man nichts - oder zumindest wenig. Von Januar bis Oktober wurde das Leipziger Opernhaus aufwändig saniert, die meisten Arbeiten waren technischer Art und bleiben daher dem Auge verborgen. Sichtbar neu sind der Kassenbereich und das Operncafé gestaltet. Die angenehmste Neuerung lässt sich sitzend erleben: Breitere, angenehm
gepolsterte Sitze und größere Reihenabstände sorgen für hohen Sitzkomfort.
Angemessen sollte nun die Wiedereröffnung mit einer Besonderheit gefeiert werden. Man entschied sich für Richard Wagners selten gespielte Große tragische Oper "Rienzi", und hatte damit eine Rarität und eine Festlichkeit zugleich - und ehrt obendrein einen Sohn der Stadt. "Richard ist Leipziger" verkünden Plakate des ansässigen Wagner-Verbandes.
1347 n. Chr. Rom ist heruntergekommen. Die Bürger trauen sich nicht mehr auf die Straße. Verfeindete Adelsfamilien bekämpfen einander und machen die Stadt unsicher. Sogar der Papst ist aus der ewigen Stadt geflüchtet. Doch nun soll Rom wieder werden, wie Rom einmal war. Dafür soll Rienzi sorgen, einer der wenigen Adelsmänner, die sich nicht in den Sumpf von Gewalt, Korruption und Ausbeuterei haben mitziehen lassen. Ein Mann mit Idealen, ein Mann, dem das Volk vertraut. Aber nicht als König, sondern bescheidener, als Volkstribun mit einem gesetzgebenden Senat, will Rienzi Ordnung und Sicherheit wiederherstellen. Doch die feindlichen Nobili unterminieren seine Pläne. Den Treueschwur, den ihnen Rienzi nach einem missglückten Attentat abverlangt, brechen sie. Eine Liebesgeschichte zwischen Rienzis Schwester Irene und Adriano, dem Sohn einer dieser verbrecherischen Adelsfamilie darf nicht fehlen. Doch auch Adriano wird vom Freund zum Feind. Es kommt zum Bürgerkrieg, der vielen "braven Söhnen Roms" den Tod bringt. Die Stimmung kippt und Rienzi wird vom Retter zum Sündenbock. Bei einem letzten Beschwichtigungsversuch wird er im Kapitol verbrannt. Ein Opfer der Flammen, der Intrigen - aber auch ein Opfer seiner selbst.
Der große Zusammenbruch:
Die tragische Figur des Helden hat Regisseur Nicolas Joel kräftig gegen den Strich gebürstet. So steht in Leipzig kein messianischer Retter auf der Bühne, sondern ein machtgeiler, egoistischer, eitler, brutaler und im negativen Sinne theatralisch begabter Politiker. Ein Gewaltherrscher, der dem Volk nach dem Munde redet, ihm die Freiheit verspricht, unter dessen Herrschaft aber Brutalität und Folter (offen auf der Bühne gezeigt) genauso existieren wie zuvor. Seine Leibwächter weisen ihn bühnenwirksam als (Mafia-)Boss aus - oder als Politiker, der sich vor seiner Pressekonferenz ordentlich schminken lässt. Ein Kämpfer, der sein Programm zuerst auf dem Souffleurkasten stehend verkündet - kurze Zeit später dafür aber schon eine herrschaftliche Rednertribüne betritt.
Diese Heldendemontage erscheint zunächst als interessante Sichtvariante. Auch wenn es im Laufe des Abends immer wieder einiger Gedankenarbeit bedarf, kann man die logische Kurve bekommen. Selbst der Segen der Kirche für einen Tribun, der von Mafiosi mit Maschinengewehren umstellt/geschützt ist, lässt sich mit Verführung oder Machterhalt (Macht der Kirche) erklären. Die Begnadigung der Nobili nach dem Mordanschlag könnte auf Berechnung anstatt auf ehrliche Gnade hinweisen. Und selbst Rienzis Gebet kann szenisch als verzweifelter Versuch gesehen werden, jede Macht, auch die himmlische, um Unterstützung zu bitten, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.
Der seit Jahrzehnten renommierte Bühnen- und Kostümbildner Andreas Reinhardt grenzt die Bühne im ersten Akt mit einer antiken Karte Roms ein, die sich nach Rienzis Machtübernahme hebt und einen hellen Raum freigibt, der aber durch einen gleichzeitig herabfallenden schwarzen Vorhang wieder verschlossen wird. Licht und Freiheit gibt es also nur scheinbar. Grau erscheint der gleiche Raum, wenn die schwarzbefrackten, zigarrenrauchenden, höchst gelangweilten Mitglieder des Senats die Nachrichten des Friedensboten entgegennehmen - und die um Gnade bittenden Nobili lautstark auslachen. Eindrucksvoll wirken die ca. einen Meter hohen Nachbauten prägnanter römischer Gebäude, die ab dem 3. Akt die Bühne beherrschen. Der Petersdom und die Engelsburg stehen fest, die anderen Gebäude sind auf der Drehbühne dem Lauf der Zeit ausgesetzt, auch das Kapitol, das am Schluss von echten Flammen umlodert zusammen bricht. Das Volk steckt in ärmlicher Arbeiterkleidung, die Nobili in Fräcken verschiedener Grauabstufungen. Schwarze Anzüge und Sonnenbrillen dürfen bei Rienzis Leibwächtern nicht fehlen, der Tribun selbst erinnert gleichzeitig an Nero und Lohengrin.
Rienzi wird verflucht:
Joel und Reinhardt gelingen viele starke, ästhetische Bilder mit symbolhaften Farbgebungen. Aber es entsteht auch der Eindruck, man habe das alles schon oft gesehen. Das wäre nicht weiter zu kritisieren, würde sich streckenweise nicht Langeweile breit machen. Vor allem an der Personenregie hätte sorgfältiger gearbeitet werden können, da gibt es zu viele abgedroschene Operngesten, die zum modernisierenden Ansatz des Konzepts nicht passen. Besonders wenig konnte der Regisseur mit den Chormassen anfangen, die meistens oratorienhaft herumstehen und wenig beteiligt wirken.
Rienzis Gebet ist szenisch und musikalisch der Höhepunkt des Abends - und das liegt nicht daran, dass es sich um eine Wunschkonzert-Nummer handelt. Der Kapitol-Nachbau steht allein auf der weißen Bühne, Rienzi zieht seine rote Toga wie eine Schmusedecke hinter sich her. Hier lässt der Regisseur eine Dichte entstehen und lässt eine Innigkeit zu, die Rienzi zuvor nicht hatte. Da wird er zum Menschen. Da erinnert man sich auch des Charakters, den Wagner seinem Helden verliehen hat und könnte sich das Drama auch sehr gut ursprungsgetreu vorstellen.
Stefan Vinke beweist in Leipzig einmal mehr seine hohen Qualitäten als Wagner-Tenor, der bei allem Heldengesang auch seine lyrischen Qualitäten pflegt. Die Partie ist mörderisch und fordert eine kluge Disposition der Kräfte. Vinke beherzt dies und überfordert sich nicht, er verzichtet auf prahlerische Höhenausbrüche und bewahrt seine Kraft, singt konzentriert, manchmal vorsichtig, doch immer ausdrucksvoll. Die Charakterisierung als unsympathischen, machthungrigen Herrscher setzt er, wo es nötig wird, auch stimmlich um. Wenn er alberichgleich die "Liebe" der Nobili verspottet oder händereibend und mit stummem "hähä" seine Macht mit "Ich, der Tribun!" verkündet, dann läuft es einem eiskalt über den Rücken. Den heftigsten und herzlichsten Szenenapplaus des Abends bekommt er - für sein atemberaubend gesungenes Gebet.
In Gewissensnöten:
Elena Zhidkova ist ein wundervoller Adriano. Ihren substanzreichen Mezzo führt sie geradezu lupenrein und kann auf dieser sicheren technischen Basis ausdrucksvoll gestalten und viel stimmliche Wärme verströmen. Mit ihrem sicher geführten Sopran, aber für diese Partie etwas gewöhnungsbedürftig dunklem Timbre, gestaltet Marika Schönberg die Irene als Hin- und Hergerissene. Martin Petzold lässt mit seinem stimmschönen, hellen Tenor als Baroncelli aufhorchen, Gabriela Scherer ist ein lieblicher Friedensbote. Seine ausgesprochen umfangreiche Aufgabe bewältigt der Chor bravourös.
"Rienzi" ist ein Frühwerk, mit dem der Dichterkomponist zeigte, dass er durchaus die Mittel der großen Oper mit allem Pomp und aller Plakativität beherrschte (von denen er sich später hart distanzierte). Er greift in die Vollen. Meyerbeer lässt grüßen. Dabei werden einerseits die Schwächen des jugendlich-ungestümen Wagner deutlich, andererseits kann man viele Ansätze finden, die er später viel eindrucksvoller und substanzreicher verarbeiten wird. Die Rienzi-Partitur als heiteres Motive-Raten.
Leipzigs neuer Musikdirektor Axel Kober versucht die allzu plakativen Trara- und Rabum-Elemente zu entschärfen, verliert dabei aber nicht den jugendlichen Elan, vergisst auch nicht das Schwelgen und Blühen. Er beleuchtet gern die Feinheiten der Partitur, findet dabei aber auch die eine oder andere Schwäche. Die Ouvertüre zerfällt darunter ein wenig. Einige verwackelte Einsätze und Unsauberkeiten zeugen von Premierennervosität im Orchester, das ansonsten prachtvoll klingt.
Eine Inszenierung die routiniert modernisierend weder ins Schwarze noch daneben trifft, aber ein wenig fad bleibt. Musikalisch eine beachtliche Produktion des selten gespielten Wagner-Werkes.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Lichtdesign
Szenische Mitarbeit
Choreinstudierung
Irene,
Steffano Colonna
Adriano Colonna,
Paolo Orsini
Legat des Papstes in Rom
Baroncelli,
Cecco del Vecchio,
Friedensbote
|
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de