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Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Akten
von Richard Wagner
Text vom Komponisten
(Urfassung von 1841)

Aufführungsdauer: ca. 2 ½ Std. (keine Pause)

Premiere am 25. Januar 2008
im Staatstheater Stuttgart

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

SOS im Rettungsboot

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Sebastian Hoppe


Als Regisseur (nicht nur) auf der Opernbühne bürgt Calixto Bieito für eine äußerst kräftige Bildsprache. Seine Inszenierungen treiben die Aussage der Stücke regelmäßig ins Extreme und so konkret und gegenwärtig wie Bieito inszeniert zur Zeit kein anderer dieser Zunft. Regelmäßig sorgen seine Arbeiten auch für gehöriges Aufsehen, wenn auch die anfänglichen Skandale, wie in Hannover oder Berlin, mittlerweile ausbleiben. In Stuttgart hat Bieito nach "Jenufa" und "Fanciulla del West" nun seine dritte Regiearbeit vorgelegt - oder besser auf die Bühne der Staatsoper gewuchtet. Seine erste Auseinandersetzung mit Wagner übrigens. Dass der "Fliegende Holländer" hier keine romantisch gemütliche Spazierfahrt werden würde, war abzusehen. Vielmehr landet das Geisterschiff mit viel Getöse im Opernhaus. Bieito hat die Geschichte des auf den Meeren herumirrenden Verdammten in aller Konsequenz als ein apokalyptisches Spektakel inszeniert, mit zeitweilig atemberaubender Energie und in turbulenten Aktionen, die bis an den Rand des Chaos führen. Gespielt wird die Urfassung von 1841, so wie sie Wagner als 27Jähriger noch in Paris komponierte. Darin ist die Handlung in Schottland angesiedelt und der spätere Daland heißt noch Donald und Georg ist Sentas Verehrer, den wir als Erik kennen. Den Text hat Wagner ansonsten später nicht mehr verändert.


Vergrößerung in neuem Fenster "Anker los!" Ensemble

Nicht unerheblichen Anteil an diesem unnachgiebig dramatischen Opernabend hat die musikalische Realisierung unter der Leitung von Enrique Mazzola, der das Orchester durch die wilden Strudel der Urfassungspartitur mit ihrem schrofferen und prägnanteren Klangbild zu höchster Präsenz treibt. Das Ganze wird als Spannungsbogen intensiv aufgebaut, zugleich bekommen die Einzelteile in ihrer Eigenart deutliche Gestalt, wie Georgs belcantische Passagen oder der biedermeierliche Ton, den Donald stellenweise anschlägt. Nicht zu überbieten in seiner expressiven Kraft ist wieder einmal der Stuttgarter Chor, der die Massenszenen zu den musikdramatischen Höhepunkten der Oper geraten lässt. Mazzola gelingt es zudem, den Furor der Musik soweit zu zähmen, dass die Sängerinnen und Sänger zu keiner Zeit zugedeckt werden. Eine hervorragende Textverständlichkeit ist dem zu verdanken.

Die Wahl der Urfassung ist allein schon im Interesse einer größeren musikalischen Direktheit ein Gewinn. Mit dem Verzicht auf den idealisierenden Erlösungsschluss aber steht sie zudem ganz im Dienste der szenischen Interpretation durch Calixto Bieito. Denn diese verzichtet nicht nur auf jeden Funken romantischer Illusion, sondern treibt die Geschichte in eine grotesk übersteigerte Hyperrealität, in der es so etwas wie Erlösung allenfalls als Hoffnung gibt, eine trügerische jedenfalls, denn nach verzweifeltem Kampf endet sie am Ende im Martyrium: Der Holländer hängt wie ein Gekreuzigter gefesselt in seinem Rettungsboot - eine zynische Antwort auf die Frage, wer denn sein Engel sei.


Vergrößerung in neuem Fenster "Zehnfacher Tod wär` mir erwünschte Lust!"
Yalun Zhang als Holländer

Der Schrei nach Rettung zieht sich als Leitmotiv durch diese Inszenierung. Schon im pantomimischen Prolog während der Ouvertüre ist hinter einer Milchglasscheibe eine wild gestikulierende Frau zu sehen, die sich offensichtlich männlicher Annäherungsversuche zu erwehren versucht. Mit blutroter Farbe schmiert sie den Hilferuf an die Scheiben: "Rettet mich!". In der anschließenden ersten Szene retten sich Donald und seine Mannen im Schlauchboot an Land. Aber nicht Matrosen sind es, sondern Geschäftsleute mit den Accessoires des modernen Business, in Nadelstreifenanzügen und mit Aktenkoffern bewehrt. Und alle sitzen gemeinsam in einem Boot, unter ihnen auch der Holländer. Verwünschte sind sie also alle gleichermaßen. In Bieitos Lesart ist es der entfremdete, angeekelte Managertyp - der modere Ahasver als innerlich verelendeter Karawanenkapitalist. Diesen Holländer treibt alle sieben Jahre der Überdruss an seinem Tun ans Land. Sein Leben per Selbstverbrennung zu beenden - das wäre sein größter Wunsch. Da kommt der Geschäftspartner gerade noch rechtzeitig, der ihm seine Tochter für einen Koffer voller Geld verkaufen will.

Diese Tochter, Senta, ist gleichermaßen erlösungsbedürftig wie rettungssüchtig. Bieito zeigt sie während der Ballade im Marilyn-Monroe-Look als erotomanische Sexbombe und zugleich verzweifelte Borderline- Existenz, die ihre Verbindung mit dem Holländer später über das gemeinsame Ritzen der Haut blutig besiegelt. Auch Senta also ist ein moderner Mythos, als Sinnbild für die Ambivalenz des Weiblichen zwischen Ausbeutung und Selbstbehauptung.


Vergrößerung in neuem Fenster "Mein Schatz ist auf dem Meere draus,
er denkt nach Haus ans fromme Kind"
Chor, Hilke Andersen als Mary (in Schwarz)
und Barbara Schneider-Hofstetter als Senta (in Rot).

Der am Leben verzweifelnde Holländer und die realitätsverlorene Senta sind also das Traumpaar dieses bitterbösen Erlösungsdramas. Spiegelbildlich dazu amüsieren sich die anderen zu Tode. Den Harlekin der umgebenden Spaßgesellschaft spielt der Steuermann, der hier für die Lustreisen der Manager die Gogo-Girls am Fließband herbeizaubert - "...mein Mädel verlangt nach mir!" Szenen von pointiertem Sarkasmus gelingen an dieser Stelle, wie auch das Spinnerinnenlied, bei dem die Mädchen damit beschäftigt sind, sich den heimkehrenden Männern appetitlich zu präsentieren. Der Kühlschrank ist vollgepackt und die Braut attraktiv geschminkt...

Unter die Haut geht dann der Anfang des 3. Akts mit den Chören der schottischen Seeleute und des Geisterschiffes. Die einen feiern auf der Bühne eine wilde Orgie bis hin zur taumelnden Extase, die anderen gellen ihren teuflischen Gesang aus vollen Lautsprecher-Rohren im Saal und durch die geöffneten Türen von den Fluren her. Das ganze Opernhaus scheint in einen Hexenkessel verwandelt und das Publikum sitzt mittendrin.

Einmal mehr erweist sich Calixto Bieitos Inszenierungsstil als anstrengend. Dafür aber ist er nicht minder spannend. Das Interpretationskonzept geht beeindruckend auf und erhellt den Sinn des Werks aus einer aktuellen Perspektive. So gerät Oper nicht in Gefahr zum Museum zu verkommen. Was man dieser Inszenierung vorwerfen könnte, ist die partielle Überfrachtung mit Effekten und Reizen. Die Wirkung wäre wohl nicht minder intensiv, wenn die Bühne nicht so rigoros zugemüllt würde, wenn man auf die rasenden Schriftprojektionen verzichtet hätte und wenn die Wasserlachen auf der Bühne nicht so groß wären. Aber das stört die Akteure offensichtlich nicht. Mit bewundernswertem Engagement gehen sie ans Werk. Ein derart tumultuöser Aufführungsstil muss ihnen viel Kondition und Kraft abverlangen. Dabei auch noch anständig zu singen, nötigt höchsten Respekt ab. Und besonders Barbara Schneider-Hofstetter als Senta bleibt der Partie gar nichts schuldig. Auch Yalun Zhang gibt einen Holländer von großem stimmlichen Format. Lance Ryan als stalkender Georg vergisst die lyrische Geschmeidigkeit nicht. Attila Jun (Donald) und Heinz Göhrig (Steuermann) sind in Stuttgart bewährte Stützen im Ensemble. Hilke Andersen profiliert die Rolle der Mary in besonderem Maße.
Die Buhs drängten sich vor, noch bevor der letzte Akkord ohne die gewohnte verklärende Schlusscoda mit schroffer Geste verklang. Am Schluss setzten sich die Bravorufe aber durch.


Vergrößerung in neuem Fenster "Senta! ...Zu mir!"
Lance Ryan als Georg,
Barbara Schneider-Hofstetter als Senta


FAZIT

Bieitos Inszenierungen kann man vielleicht manches vorwerfen. Dass sie geistlos, langweilig oder Werk verachtend wären, jedenfalls nicht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrique Mazzola

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Rebecca Ringst
Susanne Gschwender

Kostüme
Anna Eiermann

Licht
Reinhard Traub

Chor
Michael Alber

Dramaturgie
Xavier Zuber

Choreografie
Lydia Steier


Statisterie der Staatsoper

Chor und Zusatzchor
der Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solistin

Der Holländer
Yalun Zhang

Senta
Barbara Schneider-Hofstetter

Donald
Attila Jun

Georg
Lance Ryan

Mary
Hilke Andersen

Der Steuermann
Heinz Görig
(Torsten Hofmann)

Der Dämon
Dirk Zalm




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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