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Ein König ist auch nur ein Mann
Von Joachim Lange
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Fotos von Ruth Walz
Verzagt war der Amsterdamer Opernchef Pierre Audi noch nie. Auch dann nicht, wenn er sich mit seiner Stückauswahl auf vermeintliches Spezialisten-Terrain wie das der Barockoper vorwagte. Er hat die noch junge und nicht von Erwartungshaltungen überformte Operntradition in den Niederlanden immer als Chance für Neues und auch für neues Altes genutzt. Einem respektablen Castor et Pollux von Jean Philippe Rameau Anfang des vorigen Jahres folgte jetzt Ercole amante von Francesco Cavalli. Seit Herbert Wernickes Coup mit La Callisto in den neunziger Jahren sind die Opern des Venezianers freilich nur noch ein Geheimtipp mit begrenztem Risiko. Hercules unter den Geistern der Unterwelt
Kein geringerer als Kardinal Jules Mazarin hatte den Monteverdi Schüler Cavalli (1602-1676) aus Anlass der Hochzeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. mit der spanischen Infantin Marie Theresia von Habsburg nach Paris verpflichtet. Weil diese politische Verbindung 1660 den Friedensschluss zwischen Frankreich und Spanien besiegelte, sollte die Oper den pompösen Rahmen einer Haupt- und Staatsaktion von europäischem Rang liefern. Das klappte nicht so ganz. Weil das dafür eigens gebaute neue Theater im Tuilerien-Palast nicht fertig wurde, der Kardinal starb und nicht zuletzt Lully dazwischenfunkte (und Ballettmusiken dazwischen komponierte!), verzögerte sich die Uraufführung um zwei Jahre. Doch der Ruhm dieses Auftrages und vor allem sein Opern-Ergebnis bleiben! Es ist unüberhörbar vom Lehrer Monteverdi geprägt, aber doch mit klarem, eigenständigem Kurs in Richtung Opernzukunft, die damals opera seria hieß, unterwegs. Geboten werden Chöre und Duette, ariose Süffigkeit und nicht zuletzt ein, wenn auch von heute aus betrachtet etwas vertrackter, dramatischer Drive. Wobei es nicht ohne Pikanterie war, mit Herkules einen Helden zu wählen, der nicht gerade als Sympathieträger taugt. In dem Fünfakter nach Francesco Butis Libretto ist er vor allem scharf auf die Braut seines Sohnes, deren Vater er umgebracht hatte. König mit männlichen Allmachtsphantasien? Ein Herkules (Luca Pisaroni) aus dem Comic? Wer weiß….. Um die jüngere zu heiraten, verbannt er seine Ehefrau. Dafür wird er von einer Allianz seiner Opfer mit dem vergifteten Nessushemd als Hochzeitsgeschenk bedacht und nur durch den göttlichen Eingriff Junos davor bewahrt, in der Unterwelt zu schmoren. Für ihn gibt es eine Strafe erster Klasse: Im Himmel kriegt er die Schönheit zur Frau. Dass sich der traditionell allegorische Rahmen für diese Handlung auf den politischen Entstehungsgrund der Oper bezieht, ist für David Alden eine Steilvorlage, um seiner Lust an der ironisch gebrochenen Opulenz freien Lauf zu lassen. Da mischt sich der Kardinal im Prolog unter eine (ba-)rockende Hofgesellschaft, da wird das Hochzeitsbett des Königs zum Event zwischen üppigen Wänden. Da steigt schließlich der Herrscher aus dem Hochzeitsbett und vertauscht die Prachtperücke mit den Muskelpaketen, Plateaustiefeln und der Keule eines comicreifen Herkules. Am Ende dann, nach einer bunten Barockrevue, mit diversen Götterauftritten und Abstiegen in die Unterwelt sieht sein Nachleben in himmlischer Pracht ziemlich nach spiegelndem Versailles aus. Aus dem sich der goldumstrahlte Sonnenkönig, als Pointe schon wieder in halber Herkules-Kostümierung, wegzustehlen versucht, und die erstbeste Choristin gleich mitnimmt. Herkules stellt der Liebsten seines Sohnes nicht nur nach, sondern will sie auch heiraten…. Ein tödlicher Fehler, wie sich bald zeigt. (Luca Pisaroni und Veronica Cangemi)
David Alden, sein Ausstatter Paul Steinberg und Kostümbildnerin Constance Hoffman haben geschmackvoll und mit ironisch gebrochenem Barockinterieur der König ist auch nur ein Mann inszeniert. Das hat szenischen Witz ohne trashige Überforderung. Diese Bestrafung sieht ziemlich nach Versaille aus…: Am Ende wird heiratet der Sonnenkönig die Schönheit (als Belleza: Wilke te Brummelstroete, als Ludwig: Luca Pisaroni) Auch musikalisch ist diese Produktion ein Fest! Einst auf eine kleine Besetzung ausgelegt, füllen das Concerto Köln und das Monteverdi Continuo Ensemble mit ihren insgesamt über vierzig Musikern den offenen Graben im Het Muziektheater gut aus. Verwendet wird die bei Bärenreiter gerade begonnene Werkausgabe von zunächst 14 der überlieferten 28 Cavalli-Opern. Der barockerfahrene Bolton wahrt dabei stets die vokale Dominanz, hat zwar das Heft unmissverständlich in der Hand, umschmeichelt aber die Melodik, lässt sie aufblühen, kitzelt den szenischen Witz auch musikalisch aus den Ballettmusiken und lässt sich den Höllendonner nicht entgehen, wenn die Unterwelt dräut. Sensibel und sinnlich, souverän gelassen und pointiert entfaltet er einen Klangstrom, der süchtig macht. Dazu kommt ein handverlesenes Protagonisten-Ensemble. Vom spielfreudig markigen Titelhelden Luca Pisaroni und Anna Bonitatibus' Juno, über Anna Maria Panzarellas Deianira und Veronica Cangemis Iole bis hin zum fabelhaften Counter Tim Mead als Page ein Sängerfest durchweg!
Die Oper in Amsterdam wiederlegt mit dieser Neuproduktion das Gerücht, dass in der Operngeschichte eine Lücke zwischen Monteverdi und Händel klafft. Überzeugender wie bei diesem strahlenden Auftakt des Opernjahres 2009 kann man das kaum machen! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Solisten
Ercole
Iole
Giunone
Illo
Deianira
Licco
Nettuno / Tevere /
La Bellezza / Venere
Cinzia / Pasitea /
Mercurio / Ombra di Laomedonte
Paggio / Ombra di Bussiride
3 Grazie
Ineke Berends, Ivo Posti
Aura 1
Aura 2
Ruscello
3 Pianetti
Maartje de Lint Stephen Carter
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