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Die Spirale der Gewalt
Von Joachim Lange
/ Fotos von Annemie Augustijns
Der französische Operndreiakter Samson et Dalila hat es offenbar in sich. In Köln laufen Tilman Knabe gerade für Mai anstehende Produktion, wegen angeblich schockierender Gewaltdarstellungen auf der Bühne, gleich dutzendweise die Chorsänger davon. Und in Antwerpen ist diese 1877 in Weimar mit erheblicher Schützenhilfe von Franz Liszt zunächst als deutsche und erst 1892 im Palais Garnier als französische Version herausgekommene, heute bekannteste Oper von Camille Saint-Saëns vor allem ein politisch furioser Auftakt für Aviel Cahn. Der neue, aus der Schweiz stammende Intendant der Flämischen Oper, die sich in den beiden ehrwürdigen Häusern von Antwerpen und Gent gegenüber dem deutlich besser ausgestatteten Brüsseler La Monnaie vor allem mit ihren künstlerischen Ambitionen behaupten will (und kann), hat nämlich ein israelisch-palästinensisches Regieduo verpflichtet. Omri Nitzan und Amir Nizar Zuabi können jene Feindschaft auf Leben und Tod zwischen zwei Völkern und Kulturen, wie sie die biblische Anekdote über die verzweifelte Gegenwehr der von den Philistern versklavten Hebrärer exemplarisch vorführt, nicht nur sozusagen authentisch nachvollziehen. Unterdrücker und Unterdrückte
Die beiden Künstler sehen ihre Zusammenarbeit (mit dem Segen einer Schirmherrschaft der EU-Außenkommissarin) ganz bewusst als persönliches Statement zur Lage in ihrer Heimat. Und setzen damit eines der spärlichen Zeichen, wie es sonst vor allem immer wieder Daniel Barenboim mit seinem Engagement wagt. Gerade heute, wo die Lage am originalen Schauplatz der Oper so entmutigend hoffnungslos ist, verblüfft die Aktualität dieser makabren Lovestory zwischen Samson und Dalila, die musikalisch so faszinierend farbig und in der Geste einer Grand Opera (nur nicht so lang) in einer finalen Katastrophe mündet. Jedenfalls dann, wenn man sie anders als die auf die Entstehungszeit rekurrierende Frankfurter Produktion in den Neunzigern, bewusst als nahost-politisch brisant auffasst. In Antwerpen wird die Geschichte zum weitgehend folklorefrei stilisierten, dabei aber deutlich entschlüsselbaren Gleichnis für die Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn-Spirale der Gewalt von heute. Auch in Gaza, aber nicht nur da. Zum Klagechor der Hebräer tragen im Eingangsbild die hier exemplarisch Unterdrückten gleichsam eine über ihren Köpfen mondän tanzende, bourgeoise Gesellschaft arroganter Besatzer. Das Bühnenbild von Ashraf Hanna und Amir Nizar Zuabi nutzt vor allem diese schwebende und abklappbare Spielfläche, um den Gegensätzen Raum zu geben. Schon die erste Konfrontation zwischen Samson und dem uniformiert auftrumpfenden Abimélech (Milcho Borovinov) führt da zu eine neuen Drehung der Gewaltspirale. Dalila triumphiert über Samson Dem erschossenen Kind, das dann gleichsam wie eine personifizierte Mahnung an den Auftrag Samsons durch die Geschichte geistert, wenn der den Reizen Dalilas erliegt, folgt der tote Offizier. Der verbalen Verhöhnung folgen die Steine in den wurfbereiten Händen der ohnmächtig Wütenden. Als Dalila schließlich unter Einsatz ihrer körperlichen Reize im stilisierten Blütenbett Samson seiner Haarpracht und damit zugleich seiner gefährlichen Stärke beraubt hat, erinnert auch der Umgang mit dem Geblendeten und Erniedrigten an die berüchtigten Fotos aus Abu Ghraib, ohne sie direkt zu zitieren. Wenn sich dann Samson am Ende den Sprengstoffgürtel des Selbstmordattentäters umlegt und der Vorhang kurz vor dem finalen Massaker fällt, ist man mittendrin im täglichen Wahnsinn des Nahen Ostens. Ohne Hoffnung. Allenfalls mit Ansätzen von Diagnose. Wie beim musikalisch furiosen Bacchanal. Dort erscheint eine Gruppe junger, scheinbar geradewegs vom Kampfeinsatz kommender Militärs auf einer Party der vermeintlichen sich selbst feiernden, ziemlich dekadenten Sieger. Im geradezu extensiv erotischen Umgang mit ihren Waffen führen sie dann die Perversion einer Gesellschaft vor. Aber auch die religiösen Führer auf beiden Seiten gießen immer wieder Öl ins Feuer und verhalten sich (in einer stummen Szene vor dem Vorhang auch ganz direkt) geradezu spiegelbildlich zueinander. Gewalt gegen Gewalt
Im Graben sorgte der Tscheche Tomá Netopil am Pult des heimischen Symphonie-Orchesters für die musikalische Suggestionskraft, die auf der Bühne vor allem Torsten Kerl als stimmkräftiger Samson und Marianna Tarasova als dunkel verführerische Dalila an der Spitze eines ausgewogenen Ensembles und überzeugenden Chores auch stimmlich beglaubigten. Wenn man sich für einen Moment vorstellt, wie utopisch es gegenwärtig ist, diese Produktion in Israel oder im Gazastreifen auch nur zu zeigen, geschweige denn zustande zu bringen, dann wird klar, wie utopisch Kunst sein kann. Und wie wahr.
Mag sein, dass das Begleitprogramm und die Podiumsdiskussion im Vorfeld in Antwerpen und bei seiner auch im Stadtbild präsenten jüdischen Gemeinde für mehr politische Aufregung gesorgt haben, als es die redliche Inszenierung tatsächlich rechtfertigt. Doch immerhin ist das Opernhaus damit zum Ort einer wichtigen Debatte avanciert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Chor
Solisten
Samson
Dalila
Le Grand-Prêtre de Dagon
Abimélech
Un vieillard hébreu
Premier Philistin
Deuxième Philistin
Un enfant
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