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Fremd bin ich eingezogen
Von Roberto Becker / Fotos von Monika Rittershaus Michael Thalheimers hochartifizielle Art von Theater ist schon im Schauspiel nicht jedermanns Sache. Klar, dass es dafür in der optisch sinnlicher daher kommenden Oper etliche Buhs setzt. Noch dazu, wenn er mit seinem radikal reduzierenden Stil ein Filetstück des Repertoires wie Mozarts jugendfrische Entführung auseinander nimmt und wieder zusammensetzt. Und das in einer Verdichtung, die eigentlich so gar keinen Platz für Szenenbeifall lässt. Und mit gesprochenen Passagen einer eigenen Dialogfassung, die ohne Peinlichkeiten daherkommt und sogar mit dosiertem Witz aufwartet, wenn die Sänger auch mal in ihrer jeweiligen Muttersprache lospoltern. Sonst nimmt Thalheimer das Stück so ernst, wie es Calixto Bieito in seiner heftig diskutierten Inszenierung nebenan an der Komischen Oper auch schon gemacht hat. Nur ganz anders. Konstanze in der Gewalt des Bassa
Thalheimer spürt mit bewusst ordnender, szenischer Hand in Text und Musik sowohl dem Kampf oder zumindest Gegensatz von Kulturen als auch dem der Geschlechter nach. Diese beiden Linien treffen sich in seinem psychologisierenden Reduktionismus, der dennoch nicht auf eine dosierte szenische Sinnlichkeit (etwa bei Katrin Lea Tags Kostümen) verzichtet, vor allem aber auf ausgefeilte psychologische Gestaltung durch seine Darsteller setzt. Die aufklärerische Schlusspointe des glücklichen Endes für die Paare, für die Bassa Selim seine mit sichtbarer Kraftanstrengung gezügelte, latente Gewaltbereitschaft gegenüber Konstanze und Belmonte, in den Triumph moralischer Überlegenheit und Beschämung ummünzt, findet ohne ihn statt. Wenn sich die Freigelassenen noch im Schockzustand der unvermittelten Begnadigung bei ihm bedanken, hat er längst Türen knallend den Saal verlassen und seinen Kontrahenten sozusagen ihr Werte-Prinzip vor die Füße geworfen. Da die Inszenierung auch mit einer gewissen Deutungsoffenheit kokettiert, darf man das durchaus hochpolitisch auffassen. In höchster Gefahr
Im Zentrum freilich steht (über weite Strecken tatsächlich auch ganz wörtlich auf die Sänger bezogen) die Beziehungsmatrix der beiden Paare Belmonte-Konstanze und Pedrillo-Blonde. Sie endet in einem dunklen Cosi-fan-tutte ähnlichen Patt, weil eben sowohl der Bassa bei Konstanze, als auch Osmin bei Blonde, trotz aller Gewalt, die ihre Begegnung überschattet, deren ursprüngliche Beziehungen zu ihren Partnern in Frage zu stellen vermögen. Kurz vor dem gescheiterten Fluchtversuch wird das offenkundig. Die räumliche Distanz zwischen Belmonte und Konstanze auf der oberen und von Blonde und Pedrillo auf der unteren Ebene von Olaf Altmanns karger Bühne könnte kaum größer sein. Es ist verblüffend, wie sich hier aus der durch nichts abgelenkten musikalischen Klarheit von Mozarts raffiniert gebautem Quartett (oder doppeltem Duett) und der räumlichen Distanz der jeweiligen Partner zueinander eine eigene, dunkel ahnungsvolle Spannung aufbaut. Der obere Ausschnitt in der Bühnenwand könnte gut als Platzhalter der Belle Etage eines Palastes durchgehen. Aus dieser ungewohnten Distanz sieht der Bassa schon zu Beginn mit der Herrscherentschlossenheit auf die Probanden seines Spiels herab. Nur wenn Konstanze ihm ihr Martern aller Arten, ausnahmsweise sitzend, vom Stuhl aus entgegen schleudert, verliert er seine Fasson und geht zu Boden. Pedrillo und Osmin
Was Thalheimer Mozarts deutschem Singspiel an von manchem erwarteter falscher Leichtigkeit und aktionistischer Turbulenz verweigert, ja geradezu austreibt, das gibt er ihm insgesamt an atemberaubend erspielter psychologischer Dichte zurück. Und das mit einem Ensemble, das durchweg jenen enormen Druck, der durch die Trennungs- und Entführungssituation auf allen lastet, deutlich zu machen versteht. Das gilt für die Entführten von Konstanze (nicht immer ganz beglückend auf die Eindringlichkeit ihrer Koloraturen setzend: Christine Schäfer), über die wie ein Nina-Hagen-Verschnitt aufgemachte, frech sympathische Blonde der Anna Prohaska, bis hin zu dem zunehmend Statur gewinnenden, kurzbehosten Pedrillo von Florian Hoffmann. Das gilt aber auch für den Entführer (Thalheimer-geschult wie er ist als Bassa: Sven Lehmann) und seinen auf eigene Rechnung ambitionierten, prolligen Handlanger Osmin, für den Maurizio Muraro eloquent profunde Bedrohlichkeit aufbietet. Klares Oben und Unten
Das gilt aber besonders für die Gestaltungs- und Berührungssensation des Abends. Pavol Breslik, der äußerlich die als blonde, weiß gewandete, aber von Selbstzweifel zerrissene Lichtgestalt Belmonte mitten aus dem Parkett ins Spiel kommt, greift nicht nur mit seinem (man darf es sagen: wunderlichen') Timbre unmittelbar ans Herz. Er hätte einen Teil der überschwänglichen Bravos verdient, die auch Christine Schäfer kassierte. Philippe Jordan schließlich entfaltet mit der Staatskapelle einen so geschmeidig sinnlichen, in der transparenten Pointierung hochsouveränen Klang, das der in seinem produktiven Dialog mit der Szene zu einer zusätzlichen Dimension eines spannenden und herausfordernden Mozart-Abends an der Staatsoper wird. Schade für Berlin, dass dieser Dirigent seine Karriere demnächst als Chef der Pariser Nationaloper fortsetzen wird. FAZITDiese neue Entführung an der Lindenoper ist mit Blick auf die an der benachbarten Komischen Oper kein Argument gegen die leidigen Doubletten in Berlin. Thalheimers Entführung kann man nämlich als spannenden ästhetischen Gegenentwurf zu Calixto Bieitos nach wie vor zündendem Voll-(und)Bluttheater nebenan an der Komischen Oper auffassen. Und welche Opernstadt kann das schon bieten! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Chor
Solisten
Bassa Selim
Konstanze
Blonde
Belmonte
Pedrillo
Osmin
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