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Mann, oh Mann!
Von Joachim Lange / Fotos von Thomas Aurin Berlin sei arm aber sexy, so hat der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit aus dem Dilemma der deutschen Hauptstadt, zwischen Finanzdesaster und Kreativitätspotential, eine griffige PR-Formel gemacht. Wendet man das auf die Situation der Berliner Opernhäuser an, dann ist da die Komische Oper ziemlich eindeutig für den Teil sexy zuständig. Denn ihr Chef, der designierte Intendant der Zürcher Oper, Andreas Homoki, ist in Berlin auch deshalb so erfolgreich, weil er Regisseuren wie Calixto Bieito an seinem Haus freie Hand lässt. Mit seiner dortigen, skandalumwitterten Entführung aus dem Serail wurde der Katalane 2004 denn auch endgültig berühmt. Natürlich hat es jetzt auch seine Version von Christoph Willibald Glucks heroischem Fünfakter Armida (1777) in sich. Bei Bieito umweht die einst so viel veroperte Geschichte dieser kämpferischen Zauberin, die sich wider Willen verliebt, kein Hauch von falschem Respekt vor der barocken Ausgrabung. Er zelebriert auch keine Zauberoper, die etwa Lullys oder Händels diverse Vorarbeiten in Richtung Mozart weitertragen würde. Stattdessen macht er aus Glucks spätem und kühnem Wurf eine Studie über die Liebe. Oder besser: über die brodelnden Obsessionen, die einer Erfüllung von Liebe immer wieder in die Quere kommen.
Optisch ersetzen Bieito und sein Team die barocke Opulenz durch einen kühl gestylten Außen-, Innenraum, der entfernt an ein modernes Atrium erinnert; vor allem aber durch mehr als ein Dutzend männliche Objekte der Begierde Armidas und ihrer beiden Freundinnen Phénice und Sidonie. So viel nackte Männlichkeit gab es wohl noch nie auf einer Opernbühne. Und nicht nur das. Es geht ziemlich zur Sache. In allen Variationen. Oper als Softporno oder Peepshow? Immerhin reicht es für eine Ab 16 - Empfehlung. Doch ist es das nicht nur. Das war es ja auch bei Bieitos Lulu in Basel vor kurzem nicht. Für den Katalanen ist nackt eben nicht peinlich oder aufgesetzter Schocker, sondern gehört zu dem, was er erzählen will. Dabei freilich fahndet er unnachgiebig auch nach dem, was vom Bauchnabel abwärts die Menschen an- und umtreibt. Und auf der Bühne greifen sie dann auch dort hin. Im Falle von Armida haben (zunächst jedenfalls) offenkundig die Frauen die ganze (auch sexuelle Verfügungs-)Macht. Und die erweisen sich im Krieg der Geschlechter um keinen Deut besser als die Männer.
Man nimmt sich, wen man will. So und so oft man will. Widerstand zwecklos, sonst gibt's Schläge. Für Armida wird der auftauchende Rinaldo zum Problem, weil sie sich in ihn verliebt, er sich aber nicht aus seiner martialisch kämpferischen Welt losreißen kann. Bei Bieito erschießt sie ihn sogar und entschwindet dann auf hohem Gerüst in den Bühnenhintergrund und im musikalischen Nirwana. Die eigentliche Sensation dieser Produktion ist neben diesem optischen Spezialpaket aber, dass sich der Alte-Musik Spezialist Konrad Junghänel am Pult des Orchesters der Komischen Oper, das so lustvoll präzise, bühnenorientiert und sinnlich aufspielt wie schon lange nicht, alsbald gegen die handgreifliche Opulenz der Bühne durchsetzen bzw. mit ihr auf eine wundersame Weise kooperieren kann. Hier merkt man (doch deutlich anders als am Tag zuvor bei Stefan Herheims und Daniel Barenboims neuem Lohengrin an der Staatsoper), dass offenbar alle nicht nur am gleichen Strang, sondern auch in die gleiche Richtung gezogen haben.
Maria Bengtsson triumphiert denn auch stimmlich und darstellerisch als moderne Armida. Ihr assistieren nicht minder eindrucksvoll Olivia Vermeulen und Karoline Andersson als Phénice und Sidonie. Maria Gortsevskaya ist als blond ondulierter, Hosenanzug tragender und mit einem Riesenstrauß roter Rosen auftretender Haß fulminant. Peter Lodahl als Rinaldo und seine Kumpanen Thomas Ebenstein als dänischer Ritter und Günter Papendell als Ubaldo behaupten sich nicht nur stimmlich gegenüber der geballten Frauenpower, sie bestehen auch darstellerisch gegen die massiv zu Markte getragene Männlichkeit in diesem faszinierend furchterregenden Tempel der entfesselten Obsessionen.
Bieito hat in Berlin eine ungewöhnlich freizügige Armida in Szene gesetzt, bei der dennoch die Musik die Oberhand behält! Viel Jubel für alle Beteiligten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Chöre
Solisten
Armida
Hidraot
Rinaldo
Artemidoro
Ubaldo
Der dänische Ritter
Phénice
Sidonie
Aronte
Der Hass
Ein Dämon in
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