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Schein und SeinVon Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Matthias Stutte
Bielefeld feierte am 31.Januar mit der letzten Oper von Richard Strauss die gelungene Premiere eines Leckerbissens für kulturelle Feinschmecker. Mit feinsinnigem Blick für Bedeutungsnuancen und Entstehungsumstände verdeutlicht Helen Malkowsky in ihrer Inszenierung spannungsreich die Konstruiertheit und Absurdität dieses Werks, erzählt aus der Perspektive der Regisseurin und Theaterfrau und gibt kaleidoskopartige Einblicke in die Vielschichtigkeiten des heutigen Künstlerdaseins. Delikat ist die Rezeption dieser Oper schon wegen der Zeitumstände der Uraufführung 1942 in München, aber auch oder gerade weil Richard Strauss die nationalsozialistischen, antisemitischen Berufsverbote opportunistisch für seine eigene Karriere genutzt hatte oder dass er trotz einiger Auseinandersetzungen die kulturelle Gallionsfigur des Naziregimes blieb. Für unverantwortlich kegelspielende Sonntagskinder der Kunst, wie Richard Strauss, habe ich immer eine gelinde Verachtung gehabt, urteilte Thomas Mann 1941 in einem Brief. Zu diesem Zeitpunkt lebte der erfolgreiche Komponist und Konzertdirigent, 76-jährig, fernab der ihn umgebenden Kriegswirklichkeit in Garmisch-Patenkirchen und beendete im August 1941 die Komposition seines Diskussionsöperchens, wie Strauss Capriccio nannte. Theaterdirektor La Roche (Mitte) erläutert Textdichter Olivier (links) und Komponist Flamand (rechts) die Vorzüge der italienischen Oper.
Grundlage ist die alte, musikhistorisch relevante Frage nach dem Vorrang von Wort oder Ton in der Oper. Bei den Florentiner Meistern um 1600 stand zunächst der Dramentext im Vordergrund. Nachdem sich der virtuose, effektvolle Koloraturengesang auf Kosten von Textverständlichkeit und Handlungsstringenz in der opera seria des 18.Jahrhunderts verselbstständigte, war Gluck bemüht, wieder menschliche Dramen und Leidenschaften in den Vordergrund zu rücken und die Musik den Erfordernissen der Handlung unterzuordnen. Thema der geistreichen Dialoge von Capriccio ist die daraufhin entstehende, erbitterte Kontroverse im 18.Jahrhundert in Paris zwischen Gluckisten und Piccinisten, gepaart mit eigenen Erfahrungen, wie sie die beiden intimen Kenner der Theaterwelt Clemens Krauss und Richard Strauss erlebt hatten. Wenn Dichter Olivier und Komponist Flamand um den Vorrang von Wort oder Ton in der Kunst streiten, rivalisieren sie zugleich um die Liebe der jungen, klugen und schönen Gräfin Madeleine. Keine Lyrik, keine Poesie, keine Gefühlsduselei: Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenen Witz wolle er, schrieb Richard Strauss an den befreundeten Dirigenten und Textdichter Clemens Krauss. Und doch besitzt dieses durchkomponierte und überwiegend rezitativisch angelegte Stück auch Straussschen poetischen Zartsinn, anrührende Passagen, etwa die Sonett-Vertonung des Musikers Flamands, die Mondscheinmusik oder den Schlussmonolog der Gräfin. Neben einer Vielzahl musikhistorischer Reminiszenzen, u.a. an die italienische Barockoper, Gluck, Couperin, Rameau zitierte Strauss auch eigene Werke, wie z.B. die Melodie der Mondscheinmusik, die er für seinen Liederzyklus Krämerspiegel komponierte. Die Bühne enthüllt uns das Geheimnis der Wirklichkeit. Wie in einem Zauberspiegel gewahren wir uns selbst. Das Theater ist das ergreifende Sinnbild des Lebens. Diese Äußerung Gräfin Madeleines könnte auch das Motto der Malkowsky-Inszenierung sein. Harald B. Thor entwarf dazu eine moderne Häuserfassade, wo im Wechsel von grauem Lamellenrollo und rotem Theatervorhang nicht nur ein Fensterblick ins Innere freigelegt wird, sondern auch die jeweilige Perspektive und Anlage der Oper auf mehreren Ebenen verdeutlicht werden. Graf und Schauspielerin Clairon (linke Bildseite) proben unter Anleitung des Theaterdirektors (rechts) ihre Rollen. Anstelle pompösen, barocken Kostümrauschs und Salonkultur betritt zu den verträumten Klängen des einleitenden Streichsextetts zunächst ein einfacher schwarz bemantelter Mann mit Koffer und Hut die Bühne. Weitere dunkle Personen mit gesenktem Blick schreiten gemessen, einsam aneinander vorbei, während der hintere Teil der Bühne den Blick auf zwei Arbeitszimmer freigibt und vorne der Mann mit Koffer und Hut langsam beginnt, seinen Koffer zu öffnen, eine Puppenbühne aufzubauen. Kleine Nuancen wie herbei hüpfende Kinder beleben das Bühnengeschehen zeitgleich zum Tremolando-Part der Ouvertüre Ob Dichter Olivier und Komponist Flamand wie lebende Marionetten von oben, bzw. unten auf die Bühne gestellt werden, während Theaterdirektor La Roche in der Mitte in seinem Regiestuhl eingeschlafen ist, ob Graf und Gräfin sich wie geschwisterlich neckende Böckchen gegenüberstehen oder umarmen, ob marionettenhaft stolzierende Diener im Rokokogewand heiße Schokolade servieren, ob wir an einer TV-Talkrunde oder einer Theaterprobe teilnehmen, immer changiert die Inszenierung auch zwischen Spiel und Wirklichkeit, beleuchtet die zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Bühne aus unterschiedlichen Perspektiven. Gräfin Madeleine dagegen bleibt von Anfang an Mensch. Sie beugt sich während der kammermusikalischen Ouvertüre, gleichsam als Verkörperung des Opernthemas, zum Koffer, um zärtlich, melancholisch ihr kleines, barockes Marionettenebenbild in die Hand zu nehmen. Sie ist die Muse, die Wort und Ton inspiriert, die die theoretischen Erörterungen in die entscheidenden Lebensfragen zurückholt, wenn sie in der Schlussszene mit ihrem nun lebensgroßen Marionettenebenbild Zwiesprache hält, sie entkleidet, um sich das Kostüm überzuziehen und die Bühne zu verlassen, während als Abschluss des Opernkaleidoskops eine halbnackte, angestrahlte Marionette übrigbleibt. TV-Talkrunde mit italienischer Gesangseinlage - von links nach rechts: Italienisches Gesangsduo, Graf, Clairon, Theaterdirektor, Dichter, Gräfin.Ob Streicher, Bläser, Solo oder Tutti, der wechselnde, meist kammermusikalische Orchesterklang der Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Peter Kuhn blieb stets durchsichtig, mozartinisch leicht wie ein musikalischer Kommentar zu den lebhaften Gesprächen auf der Bühne. Unklar ist jedoch, warum die Sonettdeklamation zusätzlich zur Cembalo-Untermalung mit unpassenden Akkordeonklängen aufgepeppt wurde. Gelungen auch die homogene Stimmenauswahl, Stimmführung und das dem Seccorezitativ nahe textverständliche Lustspielparlando der Solisten. Bariton Alexander Marco-Buhrmester war ein kraftvoller, schauspielerisch überzeugender Dichter Olivier. Tenor Luca Martin verkörperte einen dramatischen Komponisten Flamand, dessen Sonett-Arie Kein Andres, das mir so im Herzen loht ein wenig mehr Melancholie, lyrische Wärme gut getan hätten. Susanne Reinhards funkelnder Mezzosopran passt hervorragend zur selbstbewussten, kessen Frauenfigur Clairon, während Meik Schwalm mit seinem beweglichen Bariton einen verspielten, jugendlich ungestümen Grafen darstellte. Brian Bannatyne-Scott interpretierte den Theaterdirektor La Roche als humor- und temperamentvollen, begeisterten Theatermenschen. Melanie Kreuters beweglicher, lyrischer Sopran wusste auch die melancholischen, zerbrechlichen Momente von Gräfin Madeleine stimmlich zu verdeutlichen.
Eine sehenswerte, abwechslungsreiche Inszenierung einer komplexen Vorlage. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenDie Gräfin Melanie Kreuter
Der Graf
Flamand
Olivier
La Roche
Clairon
Monsieur Taupe
Eine italienische Sängerin
Ein italienischer Tenor
Eine junge Tänzerin
Der Haushofmeister
Acht Diener
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