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Aus einem Guss
Von Bernd Stopka
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Fotos von Christian Bort
Es ist eine grausame Geschichte: Ein Goldschmied, dem seine Tochter gleichgültig ist, der sich aber von seinen Werken nicht trennen kann, ein Künstler, der feinste Goldarbeiten fertigen kann, aber brutal mordet, um sie behalten zu können. Cardillac ist alles andere als eine gemütliche Oper sie ist das beklemmende Psychogramm eines Mannes, eines psychotischen und gefährlichen aber genialen Künstlers.
Den szenischen Rahmen bilden die ausgesprochen intensiven Bühnenbilder von Martin Kukulies. Stilisierte Häuser und Säulen, hohe Treppen und Türen als multifunktionale dreh- und kombinierbare Bühnenelemente in dunklem Grau verleihen der Szene eine düstere, bedrohliche und beklemmende Stimmung. Matte Projektionen von Bruchstücken alter Häuserfassaden verstärken diesen Effekt. Umso intensiver wirken da die wenigen Momente, in denen ein goldener Schein aufleuchtet wie der Glanz eines versteckten Goldschatzes. Das Prinzip des Stilisierens, welches das Werk Hindemiths und seines Librettisten Ferdinand Lion beherrscht, findet in diesen Bildern eine kongeniale optische Umsetzung. Mit den Kostümen von Fred Fenner, der sich dieses Prinzip ebenso zu eigen gemacht hat, erscheint die Produktion wie aus einem Guss und bietet einen geradezu perfekten Rahmen für die intensive Personenregie, mit der Regisseur Klaus Weise individuelle Charakterstudien zeichnet: den bucklig-krummen dämonischen Goldhändler, den eitlen Offizier, den selbstverliebten Kavalier, die liebende Tochter und die Dame als Vamp. Nicht zufällig haben diese Personen keine Namen und folgerichtig stehen sie als archetypische Typen auf der Bühne.
Susanne Pütters (Dame),
Die Dame wird nicht in einer Sänfte getragen, sondern in einem Käfig auf die Bühne gefahren. Wie in einer Mausefalle fängt sie darin ihren Kavalier. Auf ihr schwarzes Kleid ist ein stilisierter weißer Frauenkörper appliziert. In der Verführungsszene erscheint sie gleich fünffach im gleichen Kostüm nicht ganz, denn bei einer der Damen hat die Applikation die Beine leicht gespreizt. Das wäre Andeutung genug - auf dem roten Sofa geht es dann aber zum Flötenduett doch ganz handfest zur Sache. Im weiten Cape, das einem Dracula Ehre machen könnte, erscheint Cardillac. Kühl und fast sachlich küsst die Dame den toten Kavalier. Sie hatte ihr Spiel. In rot-weiß-schwarzen Kostümen begegnen sich der Offizier und Cardillacs Tochter. Er als Draufgänger, sie ängstlich und unentschlossen. Sie kann den Vaters nicht verlassen, ohne seine Liebe gespürt zu haben, doch der hat nur Augen und Herz für seine Schmuckstücke. Wie in einen Käfig verkriecht sie sich unter den Arbeitstisch ihres Vaters. Sie ist eine Gefangene Ihrer Sehnsucht. Als Gefangener seiner Sucht lebt Cardillac in einer eigenen Welt. Mit wie viel liebevollem Respekt vor dem Material er arbeitet, aber wie distanziert er sich dagegen Menschen gegenüber verhält. Ein egoistischer, ein dämonischer, ein vom Zwang getriebener Mensch ist er, aber kein dummer. Man mag sich zunächst wundern, warum in Cardillacs Werkstatt keine Ausstellung seiner Schmuckstücke zu sehen ist, doch das lässt sich logisch erklären: All die Schmuckstücke, die er sich von seinen Kunden mordend wiedergeholt hat, kann er nicht mehr öffentlich zeigen, denn das würde ihn verraten. Etwas befremdlich erscheint der Besuch des Hofstaates in Cardillacs Werkstatt. Zwar verweist die Szene auf das 17. Jahrhundert, in dem die Oper eigentlich spielt (im Übrigen sind wir unverkennbar in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts), doch durch die Darstellung des Königs als einen kindischen Louis im Kleinformat, der mit dem Schmuck spielt, ohne seinen Wert zu achten, verliert die Szene ein bisschen an Brisanz und sie verliert das Gefälle zwischen Künstler und König. Beklemmend gruselig erscheint dagegen das tiefe Schwarz der Rokokokostüme und perücken des Hofstaates. Das transportiert die Angst, die Cardillac bei dem Gedanken befällt, ein Schmuckstück verkaufen zu müssen. Jan Zinkler (Cardillac) und Chor
Eine bühnenhohe und bühnenbreite Treppe beherrscht das Schlussbild. Auf sie wird eine hohe Fassade projiziert und so wirkt es, als flüchte Cardillac in die Höhe des Hauses, wenn er fliehend die Treppe hinaufklettert. In Kreuzigungshaltung gibt er sich seinem Schicksal hin. Zunächst hatte sich der eher oratorisch arrangierte Chor hinter eigenen übergroßen Gesichtsbildern versteckt, die wie Schutzschilde wirken. Erst nachdem Cardillac sich selbst als Täter gestellt hat und getötet wird, legen sie den Schutz ab. Golden leuchten die Gesichtsbilder um den toten Goldschmied. Der Regisseur hat keine Scheu vor Theatralik, er nutzt sie effektvoll, ohne irgendwohin abzugleiten. Jan Zinkler spielt den Cardillac mit atemberaubender Intensität. Man spürt unmittelbar die Seelen, die in seiner Brust kämpfen. Allein diese Blicke: ängstlich, dämonisch, dann wieder zärtlich das Gold betrachtend - ein Täter und ein Opfer seiner Zwänge. Stimmlich hatte er allerdings keinen großen Abend. Ob es an einer Indisposition lag, die nicht angesagt wurde? Oder liegt ihm die Partie einfach nicht? Die Stimme klingt angestrengt und gepresst mit ungewohnt rauem, nasalem Timbre. Nicht immer konnte er sich gegen das Orchester behaupten und gelegentlich entglitt ihm die Intonation. Schauspielerisch brillant blieb er der Partie stimmlich einiges schuldig. Ausgesprochen glücklich ist die Besetzung der gegensätzlichen Paare gelungen. So ist Tobias Haaks ein Kavalier mit sanftem Schmelz, Arthur Shen ein Offizier mit hellem, strahlendem Metall. Susanne Pütters vereinigt auch stimmlich das Vornehme und das Verruchte, wogegen Rebecca Nelsen mit leichtem Sopran eine mädchenhaft-zarte Tochter singt, die auch mal zickig sein kann. Gewaltige, düstere Töne lässt Selçuk Hakan Tirasoglu als dämonisch-verschlagener Goldhändler hören. Eher gutmütig verschafft sich Malte Roesner als Führer der Prévôté stimmlich Respekt. Jan Zinkler (Cardillac) mit Chor
Sehr homogen und ausgesprochen exakt in den Einsätzen bewältigt der Chor seine anspruchsvolle Aufgabe. Gleiches ist vom Orchester zu berichten, das auch mit vielfältigen solistischen Leistungen ausgesprochen gute Eindrücke hinterlässt. FAZIT Ein intensiver Abend, der - mit wenigen Abstrichen - zeigt, wie großartig, fesselnd und mitreißend eine Opernproduktion sein kann. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Szenische Übertragung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
SolistenCardillacJan Zinkler
Seine Tochter
Der Offizier
Der Goldhändler
Der Kavalier
Die Dame
Der Führer der Prévôté
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