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Zeitlos, deutsch, tragisch und grotesk
Mit der 1964 entstandenen, komischen Oper Der junge Lord von Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann präsentiert die Dortmunder Oper ihren Beitrag zum Henze-Projekt des Kulturhauptstadtjahres 2010. Erzählt wird hier die Geschichte der Einwohner von Hülsdorf-Gotha, die zunächst in Progromstimmung verfallen gegenüber einem fremden, englischen Gentleman, der sich den üblichen gesellschaftlichen Verpflichtungen entzieht, stumm bleibt und angeblichen wichtigen Forschungen nachgeht. Plötzlich kippt diese Ablehnung in ebenso kritiklose Zustimmung. Begeistert von der brutalen Erziehung des angeblichen Neffen Lord Barrat, von Äußerlichkeiten wie Chic, Eleganz, von unsinniger Phrasendrescherei auswendig gelernter Goethe-Zitate glauben sie, den Duft der großen weiten Welt zu genießen. Ein Aff ist's. Der Aff war's. ist die bittere Feststellung am Ende. Sie sind auf einen Dressurakt des englischen Gentleman hereingefallen! Blinde Autoritätshörigkeit, Intoleranz, Fremdenhass und Vaterlandsliebe werden in dem Libretto, das Ingeborg Bachmann in Anlehnung an Wilhelm Hauffs Der Affe als Mensch schrieb, thematisiert, ebenso das Dilemma einer verarmten, deutschen Nachkriegsgeneration, ihre schonungslose, mitunter masochistische Suche nach neuen Erlebnissen, Werten und politischen Orientierungen. Henze und Bachmann verlegen ihre Fassung der märchenhaften Parabel in das Jahr 1830, die Zeit des Vormärz und des Biedermeier. Berücksichtigt man die Kindheits- und Jugenderinnerungen des 1926 in Gütersloh geborenen und 1953 nach Italien ausgewanderten Komponisten Hans Werner Henze, so könnte es ebenso das 20./21.Jahrhundert sein. Der historisch-kritische Rahmen, den Regisseurin Christine Mielitz und Bühnenbildner Kaspar Glarner gewählt haben, ist zeitlos, deutsch, tragisch, grotesk: der kleine, saubere, menschenleere Marktplatz einer deutschen Kleinstadt mit roten Backsteingebäuden, die überdimensionale Winterlandschaft aus schneebedeckten Bergwipfeln und Wald, mit der der Salon der Baronin Grünwiesel ausgestattet ist, oder Luise, die Vorzeigetochter aus besserem Hause, die zu Beginn - zu einer dressierten, überdimensionierten Tortensäule erstarrt - an den linken Bühnenrand gefahren wird. Wenn dann Student Wilhelm, dem eigenen Anzug entwachsen und in noch zu großen Stiefeln, mit seinem Fahrrad am rechten Bühnenrand das Geschehen aufmerksam beobachtet, seiner starren Angehimmelten zärtliche Blicke sendet, die sie erwidert, und wenn er dann auf sie zugeht und ihr Kusshändchen zuwirft, wird eine Perspektive der Inszenierung deutlich. Man erahnt den tragisch-romantischen Kern der Geschichte, die unüberwindbare psychologische Spannung zwischen erstarrter, gesellschaftlicher Konvention und der Sehnsucht nach Individualität und Entfaltung persönlicher Fähigkeiten der Nachfolgegeneration. Ebenso phantasievoll und anspielungsreich werden die in Musik und Libretto angelegten komischen Momente effektvoll gewürzt, z.B. der Bananengürtel der jamaikanischen Köchin Begonia, oder wenn der rote Teppich infolge der allgemeinen Verwirrung links aus- und rechts wieder eingerollt wird, Laserstrechlimousine bei der Ankunft des englischen Edelmanns vorfahren, der Diener über ein Tierfell stolpert oder sich die Damen der besseren Gesellschaft mit gleichen, wunderbar leicht wirkenden, raumgreifenden, entfernt an antike Vorbilder erinnernden Hüten geschmückt im Salon der Baronin Grünwiesel einfinden und weiße Handtaschsäckchen schlenkern. Mit viel Liebe zum Detail und unter Einbindung einer bunten Medienmischung schaffen Regisseurin Christine Mielitz und Bühnenbildner Kaspar Glarner, der auch die fantastischen Kostüme, Damenhüte entwarf, ein bewegendes, spannungsvolles und anrührendes Wechselspiel von märchenhafter Parabel und tragik-komischer Groteske. Dass sich die wohlerzogene Tochter Luise emotional von der Instinkt geleiteten Brutalität eines dressierten Affen in der Art des Tokio-Hotel-Frontmanns Bill Kaulitz angesprochen fühlt, ist ein zusätzlicher, humorvoll kritischer Blick ins 21. Jahrhundert, lenkt aber von dem tragischen Kern der Geschichte ab. Musikalisch hat Henze die Oper im Stile einer traditionellen Opera buffa dramatisiert. Instrumentale Intermezzi bilden die Überleitung zwischen den einzelnen Bildern. Quirlige Ensembleszenen wechseln mit Rezitativen, Parlando-Passagen und Ariosi. Die Musik ist anschaulich, spielt mit Hörererwartungen, unerwarteten Klangfarbenkombinationen und atonalen Verfremdungen. Präzision, transparentes Klangbild und schwungvolles, musikalisches Zusammenspiel machen die Darbietungen von stimmigem Solistenensemble, Opern-Kinderchor und Opernchor sowie den Dortmunder Philharmonikern unter der umsichtigen Leitung Jac van Steens zu einem gelungenen, wunderbaren Ohrenschmaus. Simon Neal ist ein sehr beweglicher, textverständlich singender, klangvoller Sekretär. Maria Hilmes überzeugt ebenso als wunderbar dramatisch aufbrausende Dame von Welt. Martina Schillings lyrischer, klangschöner Sopran unterstreicht facettenreich die emotionalen Befindlichkeiten der Tochter aus gutem Hause. Peter Diebschlag ist ein textverständlich singender, klangvoller, beweglicher auch schauspielerisch überzeugender Student Wilhelm. FAZITEine phantasievoll inszenierte, sehens- und hörenswerte Parabel Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Licht
Showlasertechnik
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Sir Edgar (Stumme Rolle)
Sekretär
Lord Barrat
Begonia
Bürgermeister
Oberjustizrat Hasentreffer
Ökonomierat Scharf
Professor von Mucker
Baronin Grünwiesel
Frau von Hufnagel
Frau Oberjustizrat Hasentreffer
Luise
Ida
Ein Kammermädchen
Wilhelm
Amintore la Rocca
Ein Lichtputzer
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