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Musiktheater
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Lohengrin
Romantische Oper in drei Aufzügen
Dichtung vom Komponisten
Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 30' (zwei Pausen)

Premiere an der Oper Frankfurt am 3. Mai 2009

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Oper Frankfurt
(Homepage)
Elsa im falschen Film

Von Thomas Tillmann / Fotos von Monika Rittershaus

Die Reaktionen des Publikums auf Jens-Daniel Herzogs Neuinszenierung des Lohengrin fielen in der Mehrheit negativ aus, das ist zu erwarten, wenn man die Vorlage nicht nur hübsch bebildert, sondern ernst nimmt und wirklich eigene Ideen entwickelt. In einem "Gedankenszenario" im Programm erklärt der Regisseur plausibel seinen Ansatz, ohne dass man eine allzu schmerzliche Kluft zwischen geduldigem Papier und rätselhafter Umsetzung wie bei so vielen Produktionen beklagen müsste, erzählt von einer jungen Frau, die nach Liebe dürstet, sich in die illusionäre Welt des Kinos flüchtet (schon bei den ersten Orchestertakten entdeckt man ein Licht, das den "Film" gleichsam in den Zuschauerraum projiziert), darüber ihren Bruder vergißt und sich als Angeklagte vor einem Tribunal wiederfindet, bei dem die anderen Zuschauer die Rollen von Volk, Ankläger, Herrscher und Held übernehmen, nachdem sie die ursprüngliche Idee, Elsa direkt vor Ort aufzuhängen, fallen gelassen haben, eine junge Frau schließlich, die dem Druck, Lohengrins Gebot einzuhalten, nicht mehr standhält und damit private Trennung und gesellschaftliche Ächtung zugleich erleidet. Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig konstruiert, überzeugt aber auf der Bühne, vor allem weil es dem Regisseur hervorragend gelingt, sein Ensemble zu sehr natürlichem Spiel und tiefer Durchdringung der Figuren zu motivieren, die anders als in vielen traditionellen und vielen modernen Inszenierungen häufig so blaß bleiben und kein echtes Interesse beim Zuschauer hervorrufen können. Lohengrin ist dabei alles andere als der strahlende Kinoheld, sondern geradezu das Gegenteil, ein beleibter, ungepflegter Außenseiter dieser Gesellschaft, der aus dem dunklen Nichts der Stuhlreihen auftaucht, und eben auch in diese Rolle gedrängt wird, weil niemand anders da ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Kinogängerin Elsa (Elza van den Heever) träumt von einem besseren Leben an der Seite eines starken Helden (im Hintergrund: Chor und Statisterie der Oper Frankfurt).

Herzog zeigt sehr beeindruckend, wie sehr Elsas Liebe zu Lohengrin von Anfang an Gegenstand öffentlichen Interesses ist und kaum je Privatsache: Sie hat ihren Helden nach dem Gottesgericht keineswegs für sich, er wird völlig vereinnahmt von der vor Freude taumelnden Masse, während Elsa allein am Rand steht. Nicht einmal ein eigenes Bett bekommt das Paar im letzten Aufzug, auf den wie in einem Ritual abgelegten Sakkos des Volkes kommen die beiden sich auf dem von den Stuhlreihen befreiten Boden des von Mathis Neidhardts aufwendig gestalteten, schmucken Art-Déco-Kinosaals kurz näher. Dieses Kino ist nicht zuletzt "Zufluchtsort für die von einer erbarmungslosen Wirklichkeit erschöpften und enttäuschten Massen", in dem deren "kollektive und individuelle Erlösungssehnsüchte" Erfüllung finden. Die Braunhemden, die sie sich im letzten Akt überstreifen, lassen an die furchtbaren Geschehnisse in der Mitte des letzten Jahrhunderts denken, auch die Kostüme und Frisuren zuvor weisen in diese Zeit. Herzog verzichtet zwar auf eindeutige Symbole, aber trotzdem bleibt diese Assoziation die beherrschende, was die eigentliche Intention des Regisseurs verkürzt, nämlich dass er eigentlich eine post-apokalyptische Gesellschaft meint, "die die Menschen an der Macht der Vernunft hat (ver-)zweifeln lassen" angesichts von Wirtschaftskrise, ökologischer Katastrophen, dem "Scheitern rationaler Steuerungsmechanismen und -strategien", die auf den Glauben an einen starken Mann setzt und all ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auf einen Einzelnen projiziert, dem sie freiwillig alle Macht übergibt und sich dadurch von jeder eigenen Verantwortung meint entlasten zu können. Diese durchaus plausible, weitergehende, aktuelle Ebene und die so formulierte Warnung erschließen sich dem unvorbereiteten Zuschauer vermutlich doch erst nach der Lektüre des Programmhefts. Die Gewaltbereitschaft dieser Gesellschaft zeigt sich nicht nur im Umgang mit Elsa, sondern auch mit Friedrich, der auf offener Bühne gefoltert und gedemütigt wird, indem man ihm die Anzughose runterzieht, und schließlich als weibischer Mann in roten Pumps gezeigt wird. Seine Ängste und seine Zerrissenheit werden hervorragend ausgeleuchtet, sein Zittern bei dem russischen Roulette, das Lohengrin und sein Gegner statt des Schwertkampfes der Vorlage absolvieren, ist beklemmend. Wie Ortrud, die das Kostüm der harmlosen Eisverkäuferin, das sie zu kurzem roten Bob und über strengem Schwarz trägt, schnell abgelegt hat, nachdem sie Gottfried aus dem Saal entfernt hat, ist Telramund den sozialen Tod bereits gestorben, beide "unterminieren ... das Glaubensgebäude mit den Sprengsätzen der Rationalität und infiltrieren es mit dem Virus des Zweifels". Auch diese Ebene der ambitionierten Inszenierung hätte auf der Bühne stärker herausgearbeitet werden können.

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Die beiden Paare im Kinosaal: Lohengrin (Michael König) und Elsa (Elza van den Heever), Telramund (Robert Hayward) und Ortrud (Jeanne-Michèle Charbonnet)

Ansonsten aber freut man sich über eine Produktion, die es nicht nötig hat, platt zu provozieren und Mätzchen und vermeintlich spektakuläre Einzelideen aneinander zu reihen, eine Produktion, die einen roten Faden hat: Intendant Bernd Loebe hatte Recht, als er vor der Vorstellung die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit lobte, mit der alle an der Produktion Beteiligten sich dem "Phänomen Wagner" genähert haben, beides müssten auch diejenigen anerkennen, die sich grundsätzlich nicht auf das Konzept einlassen konnten.

Vergrößerung in neuem Fenster Friedrich (Robert Hayward) belauscht seine durchtriebene Gattin Ortrud (Jeanne-Michèle Charbonnet) und die arglose Elsa (Elza van der Heever).

Bertrand de Billy, Chefdirigent und künstlerischer Leiter des RSO Wien, bot am Pult des wirklich gut disponierten Frankfurter Museumsorchesters bei seinem Hausdebüt keine allzu analytische, tiefsinnige, überladen konzeptuelle Wiedergabe der Romantischen Oper mit idiosynkratisch-eitlen Tempi, sondern eine in erster Linie schwungvoll musizierte, rauschhaft-sinnliche mit blitzsauberen, mitreißenden Ensembles. Nicht selten hatte ich den Eindruck, dass er das Werk in Abstimmung mit der Szene bewusst etwas nach Filmmusik klingen lassen wollte, was aber auch an der suggestiven Ausstattung gelegen haben kann, und auch wenn es etwas klischeehaft klingen mag, auch diese speziell französische Note, die er einbrachte und die sich schlecht beschreiben lässt, kam dem Abend sehr zugute, so dass der Gast bereits zu Beginn des zweiten Aufzugs gebührend gefeiert wurde. Das wurden auch die Chöre zurecht, die Matthias Köhler, der erst seit Beginn der Spielzeit deren Leiter ist, hervorragend einstudiert hatte und die vor allem durch vorbildliche Textdeutlichkeit und subtile Gestaltung, aber natürlich auch durch den vollen Klang überzeugten (zusätzlich zum Haus- und Extrachor hatte man auch noch Aushilfen von den Bayreuther Festspielen engagiert).

Die Frankfurter Premiere war nicht zuletzt auch ein Abend der Rollendebüts - nur die Interpreten des Königs und der Ortrud hatten ihre Partien bereits anderswo gegeben. Natürlich gilt die Regel, dass man grundsätzlich nichts Schlechtes über Einspringer schreibt, und mit dem Hausherrn war man Bjarni Thor Kristinsson ja auch dankbar, dass er die Premiere rettete (bis Samstagmittag hatte man gehofft, dass das langjährige Ensemblemitglied Gregory Frank würde singen und sich mit der Partie des König Heinrich von seinem Publikum würde verabschieden können). Der Isländer fand sich nach Videostudium auch problemlos in die Regie ein, ließ aber vokal doch einige Wünsche offen: Sowohl die fahlen Töne in der Höhe als auch die wenig voluminösen in der Tiefe und die ruppige, ungeschlachte Art seines Vortrags hatten wenig mit der Auftrittssituation zu tun, das wäre mir sicher auch bei seinem Debüt im Amsterdamer Concertgebouw und dann später im Teatro Massimo in Palermo aufgefallen. Gefeiert wurde Jeanne-Michèle Charbonnet für ihre darstellerisch intensive Ortrud. Ich persönlich bekam die Formulierung "she overacts like hell" nicht aus dem Kopf, und sie hatte allen Grund dazu, denn besonders der Schluss von "Entweihte Götter" als auch die zweifellos vertrackten Passagen des "Fahr heim" ließen einen (Mezzo-)Sopran erkennen, der in der Höhe schmerzliche Grenzen hat - ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren so brutal der Stimme abgetrotzte und zudem so peinigend zu tiefe Töne gehört zu haben wie an diesem Abend, und ich möchte mir nicht vorstellen, wie sie als Leonore, Brünnhilde, Isolde, Senta oder Elektra die heiklen Stellen bewältigt. Und meine Gesprächspartnerin auf dem Weg zum Auto hat Unrecht: Ein solches Singen, das auch in bequemeren Lagen stets flackernd und unkontrolliert war, ist nicht wegen des Gesamteindrucks zu entschuldigen, Wagner hat kein Schauspiel geschrieben, er wollte keinen Chansonabend, die von ihm gesetzten Noten sind keine Orientierungshilfe für eigene Versuche, durch Keifen Expressivität zu entwickeln, sondern zentraler Maßstab für die Beurteilung der Leistung auf einer Opernbühne, und die war skandalös.

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Elsa (Elza van der Heever) und Lohengrin (Michael König) sind ein einziges, kurzes Mal allein, seit sie sich sahen.

Michael König ist ein mutiger Sänger, keine Frage, er lässt sich ohne Rücksicht auf Verluste auf das szenische Konzept des Antihelden ein. Vokal reiht er sich ein in eine lange Reihe von lyrischen Tenören, die das lukrativere Heldenfach anstreben, ohne dass das stimmliche Material dafür auch nur annähernd ausreichen würde. Natürlich gibt es da wunderbare zarte Momente, bemerkenswerte Piani und Legati, die das "süße Lied" wirklich zu einem solchen machen (zumal jedes Wort zu verstehen war), aber das ist ja von einem Vertreter dieses Fachs auch zu erwarten. Zu erwarten ist aber auch, dass er in den Ensembles zu hören ist oder wenn das Orchester lauter als mezzoforte spielt (und Bertrand de Billy ist wirklich ein mehr als fairer musikalischer Leiter), dass er vor allem im letzten Aufzug nicht allein mit der vokalen Bewältigung der nicht kleinen Aufgabe beschäftigt ist, sondern zu einer echten Interpretation vordringt, dass sich die Stimme nicht spreizt und grell wird, wenn der Künstler doch einmal ein Forte risikiert. Wie bei so vielen anderen zu leichtgewichtigen Tenören stellte sich dann auch schnell diese gewisse Monotonie ein, die dann entsteht, wenn der farbliche Reichtum fehlt, den dramatischere Stimmen eben aufweisen.

Vergrößerung in neuem Fenster Ausgeträumt: Elsa (Elza van der Heever) ist wieder allein und zudem sozial isoliert (im Hintergrund: Chor und Statisterie der Oper Frankfurt).

Mehr als eine Entdeckung im jugendlich-dramatischen Fach ist inzwischen die Südafrikanerin Elza van den Heever, die in Frankfurt bereits als Giorgetta im Tabarro reüssierte und nun als schauspielerisch sehr begabte, faszinierende Elsa "abräumte". Die apart timbrierte, trotz leicht metallischer Farbe sinnliche, kraftvolle Stimme, die hervorragend zum schwärmerisch-hysterischen Ton der Rolle passt, weist sicherlich über das lyrische Fach hinaus, aber trotzdem möchte man der jungen Sopranistin wünschen, dass sie den sicher bald eingehenden Angeboten für schwerere Partien möglichst lange widerstehen kann. Noch etwas mehr Feinschliff hätte ich mir gewünscht für das "Euch Lüften", das sie auch gestalterisch noch intensiver hätte präsentieren können, aber das wird sich in den Folgevorstellungen sicher noch verbessern, in denen sie auch etwas weniger die Durchschlagskraft der oberen Lage demonstrieren, sondern sich auf die Qualitäten besinnen könnte, die sie im "Brautgemach" erkennen ließ, namentlich erfüllten Pianogesang und schöne messa di voce-Effekte.

Robert Hayward hatte man nach seinem Mandryka auch als Telramund engagiert, und mich hat er nicht nur wegen seines großen darstellerischen Einsatzes überzeugt, sondern auch auf Grund seines über weite Strecken unangestrengten, ausdrucksstarken, seriösen Singens, bei dem auch leisere, brüchigere Töne glänzend integriert wurden. Einziges Manko waren freilich die nicht unerheblichen Probleme, die ihm der deutsche Text bereitete, aber daran kann er ja weiter arbeiten. Einen guten Eindruck hinterließ auch Johannes Martin Kränzle als vibrierend-hellstimmiger, aber für mein Empfinden nicht unterbesetzter Heerrufer, der hier als Kinobesitzer fungiert, und auch die Choristen und Opernstudiomitglieder erledigten ihre solistischen Aufgaben ohne Fehl.


FAZIT

Zweifellos eine gewagte Inszenierung bekommt man da in Frankfurt zu sehen, die Altwagnerianer verstören muss und die sicher auch nicht in allen Punkten völlig überzeugen kann. Nicht zu leugnen und nicht genug zu loben ist aber auch, dass man hier einen handwerklich glänzend gemachten und vor allem spannenden Theaterabend zu sehen bekommt, der ohne vordergründige Provokation auskommt und versucht, die Vorlage ernst zu nehmen. In musikalischer Hinsicht bleiben neben Höhepunkten auch schmerzliche Schwächen in Erinnerung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bertrand de Billy

Regie
Jens-Daniel Herzog

Bühnenbild und Kostüme
Mathis Neidhardt

Dramaturgie
Norbert Abels

Licht
Olaf Winter

Chor
Matthias Köhler



Frankfurter Museumsorchester
Chor und Extra-Chor
der Oper Frankfurt
Choraushilfen der
Bayreuther Festspiele
Statisterie der Oper Frankfurt



Solisten

Heinrich der Vogler
Bjarni Thor Kristinsson

Lohengrin
Michael König

Elsa von Brabant
Elza van den Heever

Friedrich von Telramund
Robert Hayward

Ortrud, seine Gemahlin
Jeanne-Michèle Charbonnet

Der Heerrufer
Johannes Martin Kränzle

Vier brabantische Edle
Dong-Jun Wang
Yuriy Tsiple
Viktor Tsevelev
Constantin Neiconi

Edelknaben
Camelia Peteu
Alketa Hoxha
Jianhua Zhu
Hiromi Mori



Weitere Informationen


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