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Kleine Krefelder Moralkunde
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte
Bürgerliches Eheglück oder Geld, Sex und Macht? Hilflos schauen Anne Truelove (Isabelle Razawi) und ihr Vater (Christoph Erpenbeck, r.) zu, wie Tom Rakewall (Hans-Jürgen Schöpflin, 2.v.l) und Tom Shadow (Michael Kupfer) handelseinig werden
Ein junger Mann erliegt den Verlockungen von Reichtum, Sex und Macht und verliert dadurch seine bürgerliche Existenz – das ist ein moralinsaures Sujet, bei dem die Charaktere dazu noch „sprechende“, symbolträchtige Namen tragen. Es ist nahe liegend, dahinter böse Ironie zu vermuten, aber so leicht macht Igor Strawinsky es dem Publikum mit The Rake's Progress nicht. Sowohl der Text als auch die Musik befinden sich im Schwebezustand zwischen Ernst und Parodie. 1947, als dem Komponisten beim Betrachten des gleichnamigen Kupferstich-Zyklus des englischen Grafikers William Hogarth (1697 – 1764) die Idee zur Oper kam, hat die Katastrophe des gerade beendeten Weltkriegs auch die künstlerischen und moralischen Maßstäbe korrumpiert, und der Rückgriff über die Romantik hinweg auf das weniger korrumpierte 18. Jahrhundert in die Hochzeit der Aufklärung – auch in den musikalischen Mitteln – hat bei aller Verfremdung auch ein Moment der Welt- und Zeitflucht. So viel zum Thema Sex: Mutter Goose (Uta Christina Georg), Inhaberin eines florierenden Etablissements, kümmert sich rührend um ihre Gäste Tom (Mitte) und Nick.
The Rake's Progress hat gerade Konjunktur, zuletzt hat die nicht jugendfreie Wiener Aufführung (unsere Rezension) für Schlagzeilen gesorgt. Wählte dort Martin Kušej einen spektakulär zeitgemäßen, nämlich medienkritischen Zugang, so zeigt Wolfgang Lachnitt in Krefeld einen zeitloses Kammerspiel, das sich bewusst vom surrealen Bilderbogen einer „Stationenoper“ (wie sie Hogarths Bilder nahe legen) entfernt und in weitgehend einheitlichem Bühnenraum ziemlich brav eine eben doch moralische Geschichte erzählt. Die boshaften Spitzen des Librettos sind geschleift, etwa die im Original geradezu absurd gezeichnete „Türkenbab“ (mit Vollbart!), die in dieser Inszenierung kein Mannweib, sondern eine – in diesem Kontext kann man sagen: konventionelle – Filmdiva ist. Immerhin sind die Figuren ironisch stark überzeichnet wie die kreuzbiedere Ann oder der Wüstling Tom Rakewell, der sich auch optisch seinem mephistofelischen Verführer Nick Shadow immer stärker angleicht. Das rettet die Oper gerade noch davor, als moralisches Lehrstück zu enden. Große Auktion: Hier wird die Türkenbab (Kerstin Brix) versteigert.
Vom Konzeptionellen her ist diese in ihrer Grundidee eher biedere Auffassung angreifbar; die Aufführung punktet jedoch – was theaterpraktisch wohl das Entscheidende ist – durch ihre handwerklichen und musikalischen Qualitäten. Das Bühnenbild von Harald Stieger lässt sich durch das einfache Verschieben von ein paar Wänden geschickt variieren und öffnet den Raum, ohne ihn völlig aufzubrechen – gleicher Rahmen, aber spannungsvolle Variationen für die einzelnen Szenen. Der in giftigen Komplementärfarben rot-grün gehaltene Raum ist eine Mischung aus Markthalle, Schlachthaus, Fabrik, Büro und Wohnraum und passt sich der schnell wechselnden Handlung flexibel an. Die technisch eingeschränkten Möglichkeiten im Krefelder Behelfsquartier „Theater auf Zeit“ (TaZ) – das Stadttheater ist wegen Sanierungsarbeiten geschlossen - mögen ein Grund für dieses Konzept gewesen sein; das Regieteam ist mit diesem Raumproblem jedenfalls virtuos umgegangen. Brillant agiert das Ensemble auf der Bühne. Hans-Jürgen Schöpflin ist einmal mehr ein vorzüglicher Charaktertenor mit erheblichen Kraftreserven. Seine Stimme, mehr lyrisch als dramatisch, ist zwar nicht unbedingt „schön“ (was man von einem Wüstling ja auch nicht unbedingt erwartet), aber ausgesprochen wandlungs- und gestaltungsfähig, dazu bissig und zupackend in der Interpretation – und das bei hohem spielerischen Einsatz. Den zeigt auch Michael Kupfer als Nick Shadow, auch er ein eher leichter und agiler, trotzdem voluminöser Bariton, mit clownesken Zügen gespielt. Isabelle Razawi ist eine Anne mit klarem, fast sprödem Sopran, von der Personenregie eher statisch angelegt, aber musikalisch mit hoher Präsenz. Kerstin Brix liefert als Türkenbab ein musikalisches Kabinettstückchen mit parodistischen Zügen. Uta Christina Georg (Mutter Goose), Christoph Erpenbeck (Truelove) und Walter Planté (Auktionator) runden ein durchweg überzeugendes Ensemble souverän ab. Lediglich die Textverständlichkeit lässt zu wünschen übrig - da bleibt es einigermaßen rätselhaft, warum sich der Regisseur für die (hier weitgehend unverständliche) deutsche Übersetzung anstatt für das englische Original entschieden hat, zumal sich Übertitel inzwischen durchgesetzt haben und vom Publikum akzeptiert werden. Das Ende: Der gealterte Tom und Anne
Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Graham Jackson begleiten präzise und zuverlässig, was nicht wenig ist. Trotzdem hätte man sich hier und da einen mehr solistisch geprägten, noch pointierteren Tonfall gewünscht (eigentlich muss in dieser Partitur jeder Ton klingen, als sei er der wichtigste überhaupt – schließlich kann die Musik beim nächsten schon neue Bahnen einschlagen). Jackson bleibt da eher dem Mozart-Ideal (Strawinsky selbst hat den großen Einfluss von Cosí fan tutte auf seine Partitur betont) verpflichtet als dem jungen Strawinsky, der immerhin schon ein radikales Werk wie Sacre du printems komponiert hatte. Sehr zuverlässig agiert der Chor.
Eine gelungene Aufführung, die vor allem von den ausgezeichneten Darstellern lebt - auch wenn sie den Schwierigkeiten von Strawinskys Oper ausweicht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Tom Rakewell
Timothy Simpson
Nick Shadow
Ann
* Isabelle Razawi
Truelove
Mutter Goose
Katharina Ihlefeld
Baba
Sellem
* Walter Planté
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