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Gefährliche Distanz
Von Roberto Becker
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Fotos von Clive Barda
Im Falle von Alban Bergs nur als Fragment überlieferter zweiter Oper Lulu hat es sich eingebürgert, die von Friedrich Cerha 1979 komplettierte dreiaktige Fassung aufzuführen. In der Abwägung zwischen dem Respekt vor dem erst nach Bergs Tod 1937 postum aufgeführten fragmentarischen Original und der von fremder Hand ergänzten Fassung überwiegen in den Augen der heute Verantwortlichen zumeist mehr die Vorzüge eines konsequent zu Ende durchbuchstabierten Abstiegs der Lulu. In jüngster Zeit haben sich mit Calixto Bieito und Christof Loy zwei renommierte Regisseure, die vor allem in Deutschland eine wichtige Rolle spielen, in Basel und in London, auf eine geradezu gegensätzliche Weise dieser dreiaktigen Fassung angenommen. Bieito hatte in seiner mittlerweile ausgeprägten Perfektion eines radikalen Bühnenrealismus nicht auf eskalierende Drastik der Bebilderung, sondern auf die fast völlige Nacktheit seiner Titelfigur gebaut, um sie mit ihrer körperlichen Faszination, als Projektionsfläche der sexuellen Obsessionen zu entwickeln und zugleich das Ausgeliefertsein und die Verletzlichkeit der Frau zu verdeutlichen. Bei ihm passierte aber alles in dem erkennbaren gesellschaftlichen Rahmen einer Welt, die auf Oberflächenreize und Käuflichkeit fixiert ist. Lulu und Dr. Schön Christof Loys, nicht nur im Vergleich zu Calisto, extrem minimalische Herangehensweise versucht in London genau den umgekehrten Weg. Bei ihm werden der soziale Ort und die effektvolle Ausstellung von Verführung und Verstrickung zur Nebensache und fast ganz weggelassen. Seine Bühne ist leer. Nur eine gelegentlich durchscheinende und die Spielfläche mal vergrößernde, dann wieder verkleinernde Wand, ein Stuhl, ein Messer und ein Revolver, etwas Theaterblut und Schminke genügen, für eine Reise in die Befindlichkeiten der Figuren und ihr Reagieren aufeinander. Dieses Herangehen verweigert den Darstellern weitgehend eine Raum und Zeit ausschreitende Aktion. Es wirft sie fast völlig auf das persönliche Charisma zurück und liefert sich damit der stimmlich gestalteten Überzeugungskraft der Sängerdarsteller aus. Alles passiert zwischen schlichten Auf- und Abgängen oder einer angedeuteten Abwesenheit durch einfaches Wegdrehen. Die so vorgegebene diskursive Distanz zum Geschehen auf der Bühne wird noch dadurch verstärkt, dass die zu Tode gekommenen, nach einer kurzen Verweildauer als Bühnenleiche auf dem Boden in einer Art von offener Verwandlung wieder aufstehen und die Spielfläche zu Fuß verlassen. Diese ausgeprägte Kargheit der äußeren Mittel wird dann zum Vorzug, wenn im Abstieg der Lulu das Exemplarische menschlicher Gefährdung durchscheint und das Elend der Londoner Straßenhurenexistenz ohne Elendsinterieur und abgerissene Kostümierung auskommt. Sie stößt aber auch schnell an Ihre Grenzen, wenn im ersten Teil, beim scheinbaren Aufstieg Lulus, deren Faszination und ihre Wirkung auf die Männer auf eine naturgemäß differenzierte persönliche Ausstrahlung der Sänger angewiesen ist. Lulu und Schigolch
Michael Volle etwa vermag es, sowohl mit seiner makellosen, artikulationsgenauen Stimme als auch mit seiner Präsenz seinen Dr. Schön sowohl als Bühnenfigur glaubhaft zu machen als auch zugleich jenen Kontext mitschwingen zu lassen, der ihn zu einem Modellfall selbstgewisser männlicher Gewaltbereitschaft macht, die freilich auch in obsessive Abhängigkeit umzuschlagen vermag. Auf der anderen Seite war dem Experiment des auf hell strahlende Töne abonnierten Wagnertenors Klaus Florian Vogt, einen halbwegs glaubhaften Alwa wirklich zu gestalten, weniger Erfolg beschieden. Diese Figur wirkte meist wie ein Fremdkörper in einem ansonsten betont spielfreudigen Ensemble. Den Vorzug, den die dreiaktige Version beim Aufzeigen der inneren Symmetrie in einer Personenkonstellation bietet, bei der den ersten drei Männern Lulus (Medizinalrat, Maler, Dr. Schön) ihre Kunden (Professor, Neger und Jack the Ripper) entsprechen, schöpft Loy in einer klaren Choreographie von persönlichen Wiedergänger voll und mit Gewinn aus. Einen gewissen Spannungsabfall kann er damit dennoch nicht verhindern. Lulu und der Athlet Neben Volle gelang es vor allem Peter Rose seinen Tierbändiger und Athleten vital zu profilieren. Auch Will Hartmann als etwas harmloser Maler und Gwynne Howell als alter Schigolch vermochten die Kluft zwischen Bühnendiskurs und nachvollziehbarer Figur immer wieder zu überwinden. Bei der schwedischen Sopranistin Agneta Eichenholz als Lulu setzte Loy nicht vordergründig auf deren Attraktivität, sondern konfrontierte das Wissen der Männer auf der Bühne (und der Zuschauer im Saal) um ihre tragisch umwölkte Anziehungskraft mit einer eher kühlen Beiläufigkeit. In den zarten Tönen schien da zwar die Verletzlichkeit anrührend auf, doch der schillernden Komplexität, die sie zum Gravitationszentrum einer auseinanderfliegenden Welt machen müsste, vermochte sie nur punktuell gerecht zu werden. Auch bei Jennifer Larmors Gräfin Geschwitz überdeckte die Suche nach anrührender Innerlichkeit und eigener Betroffenheit allzu sehr das durchaus extravagant Selbstaufopfernde dieser tragischen Figur. Obwohl Antonio Pappano sehr um den Schulterschluss mit der Bühne bemüht war, mussten die beiden Sängerinnen an die Grenzen ihrer Durchschlagskraft gehen. Davon abgesehen überzeugte die musikalische Seite dieser Produktion jedoch wesentlich mehr als der kaum noch weiter (wenn nicht in die Beliebigkeit) zu treibende szenische Minimalismus Loys. Pappano korrigierte das mit dem Orchester des Royal Opera House vor allem in den sinnlich durchglühten Zwischenspielen, in denen er ohne jede Scheu auch auf die dunkle Schönheit der Musik Alban Bergs baute.
Der betonte szenische Minimalismus, mit dem Christof Loy Bergs Lulu beizukommen versucht, überzeugt als Konzept nicht durchgängig. Intensive Rollenporträts und eine überzeugende Orchesterleistung verhelfen der Produktion gleichwohl zu einem eigenen, wenn auch in sich widersprüchlichen Reiz.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Solisten
Tierbändiger/ Athlet
Alwa
Dr. Schön/Jack The Ripper
Lulu
Maler/Polizist/Neger
Medizinprofessor/Theatermanager/
Schigolch
Gymnasiast/ Groom
Prinz/Kammerdiener/Marquis
Gräfin Geschwitz
Journalist
Diener
Galeriebesitzer
Fünfzehnjährige
Mutter
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