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Pikowaja Dama
(Pique Dame)

Oper in drei Akten
Text von Modest I. Tschaikowski
nach der Novelle von Alexander Puschkin
Musik von Peter I. Tschaikowski


in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Theater Mönchengladbach am 21. März 2009
(rezensierte Aufführung: 27.3.2009)


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Theater Krefeld-Mönchengladbach
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Ein bisschen Oneirismus

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Stutte


Peter Tschaikowskij hat in Pique Dame ein komplexes Spiel mit unterschiedlichen Zeitebenen getrieben. Die romantische Partitur wird immer wieder durchbrochen durch Musik, die vergangenen Epochen angehört, teils durch imitierende Stilzitate, teils durch die Übernahme von (zur Zeit des Komponisten populären und dadurch dem Publikum bekannten) Melodien wie einer Arie aus André-Ernest-Modeste Grétrys Richard Löwenherz von 1784, die der alten Gräfin als Reminiszenz an vergangene Zeiten zugeteilt ist. Ein eingeschobenes Intermezzo beschwört auch musikalisch die Zeit Katharinas der Großen. Dabei geht es aber weniger um die historische Einfärbung des Stoffesals um den zunehmenden Bewusstseinsverlust der Hauptperson Hermann (in Mönchengladbach entscheidet man sich für die Schreibweise „German“) – darin ist Tschaikowskij ausgesprochen modern.

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Traumsequenzen: Hermann (Timothy Simpson)

Regisseur Francois De Carpentris spitzt diese Dramaturgie noch einmal zu, indem er die Handlung in das Jahr 1917 verlegt. Das Zarenreich ist zusammengebrochen, die große Epoche des Adels liegt trotz der zeitlichen Nähe in unendlicher Vergangenheit. Spielraum ist die Ruine eines Adelspalais mit eingestürztem Dach und leeren Fensterhöhlen. Die eigentliche Handlung ist eine Folge von Wahnvorstellungen, Vermischung von Traum und Realität, halb Halluzination und halb Wirklichkeit – im Programmheft sprechen Regisseur und Dramaturgin von „Oneirismus“ („traumähnliche Erlebnisweise von realen Vorgängen mit gleichzeitiger Benommenheit“). Hermann, der mit einem Trupp Soldaten in der Ruine kampiert, durchlebt einen Zustand des Deliriums, in dem ihm sein von jungfräulicher Reinheit geprägtes Frauenbild erscheint. In besagtem Aufsatz im Programmheft ist diese Deutung ausführlich beschrieben.

Vergrößerung in neuem Fenster Lisa (hier: Dara Hobbs)

Nun ist das mit klugen Deutungen im Programmheft oft so eine Sache: Intelligente Gedanken nachlesen ist die eine, diese auf der Bühne dann auch wieder zu erkennen die andere Sache. An vielen Stellen ist die Personenregie zu ungenau, letztendlich auch zu konventionell, um das Konzept auch szenisch umzusetzen. Ein wenig drängt sich der Vergleich zu Dietrich Hilsdorf auf, der am gleichen Abend wie diese Pique Dame in Wiesbaden Tristan und Isolde zur Premiere brachte (unser Bericht), dabei das Soldatenelend ungleich krasser darstellte. Der Wille zu solcher Radikalität fehlt De Carpentries, wäre hier aber erforderlich, um den Zeitenwechsel präziser zu motivieren. Auch müssten die „historisierenden“ Szenen pointierter dargestellt sein, die Ebene des Traumhaften visuell stärker abgehoben werden. Hier aber bleibt vieles auf einer recht gefälligen Ebene, die den Personen historisch nicht ganz einwandfreie Kostüme zuordnet, was allerlei Assoziationen ermöglicht, im Ergebnis aber letztendlich hinter Tschaikowskijs Modernität zurück bleibt.

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Festakt : In der Mitte die Gräfin (Kerstin Brix) mit Jeletzki (Michael Kupfer), links Lisa (Hier: Dara hobbs)

Nun hat der Regisseur wohl auch im Sinn gehabt, neben der anspruchsvollen „oneiristischen“ Ebene auch die Geschichte einigermaßen verständlich nacherzählen zu wollen für alle, die jenseits des Regietheaters „einfach nur Oper“ erleben möchten. Ganz ohne Reibungsverluste geht das nicht; durch die „ungleichzeitigen“ Kostüme und manche Stilisierungen wird die Sache durchaus verwirrend. Ein paar starke Bilder gelingen De Carpentries dabei aber schon, besonders in der ersten Begegnung von Hermann mit der (anderweitig und nicht unbedingt glücklich verlobten) Lisa oder später mit der geheimnisvollen Gräfin, der er das Wissen um die drei Spielkarten, mit denen er gewinnen wird, entlocken will. Da entwickelt das Bühnenbild eine morbide Melancholie, die der Musik gut steht. An anderer Stelle sind aber große Momente recht beiläufig verschenkt: Lisas Selbstmord, als sie Hermann nicht von seinem Weg zum Kartenspiel abhalten kann, und die große Schluss-Szene mit dem Spiel, bei dem der siegessichere Hermann gegen seinen ewigen Rivalen Jeletzki, Lisas vormaligen Verlobten, alles verliert: Das dürfte größer, pathetischer in Szene gesetzt sein. Und hier vermischen sich die Ebenen der Inszenierung nicht ganz glücklich, denn es erscheint nicht der rächende Geist der Gräfin (der „Pique Dame“, wie sie früher genannt wurde), sondern Hermanns Frauenideal in bräutlichem Weiß, was das Dämonische der Szene zumindest ästhetisch entschärft.

Vergrößerung in neuem Fenster Nächtliche Begegnung: Hermann (Timothy Simpson) und die Gräfin (Kerstin Brix)

Die Schwächen liegen in der allzu routinierten Personenregie, vielleicht auch, weil die Darsteller schauspielerisch weitgehend in solidem Mittelmaß verbleiben. Timothy Simpson als Hermann ist wohl auch stark mit der musikalischen Gestaltung beschäftigt; sein kraftvoller Tenor hat in der Höhe immer wieder mit Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen. Simpson gestaltet die Partie mit großer Emphase, aber auch mit immensem Kraftaufwand (was die Stimme bei den Spitzentönen eng macht), neigt vor allem im ersten Teil immer wieder zum Schreien – was er nicht nötig hat, den die Stimme trägt auch so. Die stärksten Momente hat er in der durchaus glanzvollen, etwas unausgeglichenen Mittellage. Dagegen erscheint die Stimme von Janet Bartolova als Lisa recht klein, mit ausladendem Vibrato in der Höhe manchmal unkontrolliert, ansonsten aber konzentriert geführt. Kerstin Brix ist eine wenig dämonische, aber musikalisch klug gestaltende Gräfin mit klarer, lyrischer Stimme, beeindruckend ihr substanzvolles Pianissimo. Michael Kupfer fehlt es als Jeletzki sicher an Sonorität und Klangfülle, gesungen ist die Partie aber tadellos mit viel Gespür für die melodische Linie. Hayk Dèinyan ist ein sehr ordentlicher Tomski.

Die Niederrheinischen Sinfoniker brauchten in der hier besprochenen zweiten Aufführung ein paar Minuten Anlaufzeit, bis sie nach etwas grobschlächtigem Beginn zunehmend differenzierter spielten. Unter der Leitung von Chefdirigent Graham Jackson lässt vor allem die subtile Behandlung der Bläser aufhorchen, aber auch der Wechsel zwischen den verschiedenen stilistischen Ebenen gelingt sehr überzeugend. Der Chor (Einstudierung: Heinz Klaus) kam in einer Passage völlig aus dem Takt, singt ansonsten aber sehr zuverlässig mit schönem und homogenem Klang.


FAZIT

Die ambitionierte Regie bleibt unentschlossen auf halbem Weg stecken, ist aber dennoch nicht ohne Reiz; musikalisch zwar nicht unbedingt glanzvoll, aber durchaus akzeptabel.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Graham Jackson

Inszenierung
Francois De Carpentries

Bühne
Siegfried E. Mayer

Kostüme
Karine Van Hercke

Choreographie
Robert North

Dramaturgie
Ulrike Aistleitner
Karine Van Hercke


Chor und Statisterie der
Vereinigten Städtischen Bühnen
Krefeld und Mönchengladbach

Die Niederrheinischen Sinfoniker



Solisten

* Besetzung der
rezensierten Aufführung


Lisa
* Janet Bartolova /
Dara Hobbs

Herrmann
Timothy Simpson

Die Gräfin
Kerstin Brix

Fürst Jeletzki
Michael Kupfer

Graf Tomski
Hayk Dèinyan

Tschekalinski
* Luis Lay /
Kairschan Scholdybajew

Surin
Matthias Wippich

Polina
Uta Christina Georg

Mascha
Maria Gurzynska

Gouvernante
Nele van Deyk

Tschaplitzki
Luis Lay /
* Walter Planté

Narumow
Zbigniew Szczechura

Festordner
Jerzy Gurzynski

Tänzerinnen
Lidija Curcic
Alicia Fossati
Eleonora Nezguretska
Elisa Rossignoli



Weitere
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Mönchengladbach

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