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Don Carlo
Opera in vier Akten von Giuseppe Verdi
Mailänder Fassung von 1884
Libretto von Joseph Méry und Camille Du Locle
Italienische Textfassung von Achille de Lauzières und Angelo Zanardini

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 4 h (3 Pausen)

Voraufführung der Neuproduktion für die Inaugurazione
am 4. Dezember 2008 im Teatro alla Scala, Milano


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Teatro alla Scala
(Homepage)
Oper als melancholischer Blick zurück

Von Joachim Lange

Die Scala ist eins von den Opernhäusern, die sich mehr auf ihre inoffizielle als die reguläre Öffentlichkeitsarbeit verlassen können. Noch vor jeder wichtigen Premiere gibt es mindestens eine Streikdrohung, deren Realisierung dann immer gerade noch abgewendet wird. Diesmal drohten sich die Interessengruppen gar untereinander. Aber die Inaugurazione, die traditionelle Saisoneröffnung am 7. Dezember, dem Tag des Stadt-Schutzheiligen St. Ambrosius, lässt sich die Mailänder Society nicht verderben. Das ist so ein Tag, an dem sich die Italiener daran erinnern, dass sie im Ursprungsland der Oper leben und sich das selbst bis in die Niederungen des italienischen Fernsehens herumspricht. Wenn von Kostümen geredet wird, dann sind an diesem Abend immer die auf der Bühne und die im Zuschauerraum gleichermaßen gemeint.

In diesem Jahr kam hinzu, dass man die Generalprobe erstmals im Rahmen eines weiter gefassten Jugendförderungsprojektes für den Zuschauernachwuchs der Oper geöffnet hatte. Was zu einem Opernpublikum mit einem Traumaltersdurchschnitt deutlich unter Dreißig führte. Für die Premiere selbst war, wie schon im letzten Jahr, wieder der deutsch-französische Kulturkanal Arte mit einer Live-Übertragung im Boot.

Aktuelle Zusatz-Schlagzeilen gab es, weil man weniger als 24 Stunden vor der eigentlichen Premiere dem vorgesehenen Don Carlo Sänger, Giuseppe Filianoti, den Laufpass gegeben hatte. Es mag dem Sänger gegenüber unfair sein (er sprach denn auch empört von einem „Dolchstoß aus dem Hinterhalt“), wenn Daniele Gatti und Intendant Stéphane Lissner zu solchen Rochaden erst kurz vor der Premiere greifen, aber nach der Jugend-Vorstellung am 4. Dezember ist dieser Schritt zumindest verständlich, denn in einem für dieses Haus nicht wirklich überzeugenden Ensemble war der Carlos tatsächlich die Schwachstelle. Woran sich der noch nicht so kritische Zuschauernachwuchs nicht störte, das war der Scala-Leitung als Wiederholungsrisiko offenbar wohl doch zu groß. Hinzu kam, dass ausgerechnet der als Großinquisitor vorgesehene Matti Salminen auch nicht mehr zur Verfügung stand. Überhaupt war das Ensemble zumindest für das selbsternannte Spitzenhaus der italienischen Oper eher enttäuschend. Am überzeugendsten gelang da noch Dalibor Jenis ein stimmlich eleganter Rodrigo. Ferruccio Furlanettos König war vor allem in der Verzweiflung anrührend, während weder Fiorenza Cedolins Elisabeth noch die Eboli der Dolora Zajick wirklich Maßstäbe zu setzen vermochten. Dass sich der Ersatz-Infant, Stuart Neill, kurz vor der Premiere problemlos in die Produktion einzufügen vermochte, ist allerdings selbst ein Teil des eigentlichen Problems. Zumindest wenn man mit nichtitalienischen Augen auf die Inszenierung blickt und die politische Brisanz gerade dieses Stückes, gerade für Italien sucht. Beim erfahreneren, geschmäcklerischen Premierenpublikum fand selbst Daniele Gatti mit seinem zwar sinnlich schwelgerischen, doch mitunter auch ziemlich zulangenden Ton nicht nur Zustimmung. Ein gänzlich unumstrittener Matador vor Ort würde wohl von mehr Enthusiasmus getragen.

Im nahkampfgeeigneten Don Carlo-Begleitbuch gibt es eine bebilderte Aufführungsgeschichte der Verdioper an der Scala. Sie demonstriert dieses seltsame Herüberleuchten einer heroischen Opernvergangenheit in die Oberflächenglanzwelt des heutigen Italien, für die vor allem dieses Haus steht. Verglichen mit der dort protokollierten Prachtentfaltung mögen ja Stéphane Braunschweigs Regie und Bühne sogar als gewagt reduziert durchgehen. Ein Teil der Zuschauer empfand das auch so. Ein paar symmetrisch verteilte, in unterschiedlicher Perspektive angeordnete graue Grabplatten erinnern metaphorisch an eine Gruft, lassen sich aber auch als Drehtüren für einen Abgang nutzen. Das atmosphärische Blattgrün aus dem Wald von Fontainebleau (der gleichnamigen Akt mit der Vorgeschichte von Elisabeth und Carlos fehlt ja in der verwendeten Fassung) wird bei Bedarf als erinnernde Illustration an die Rückwand projiziert. Auch kann der König in einem der schlichten, klaren Bühnenkastenräumen eindrucksvoll vereinsamt, wegen mangelnder Liebe vor sich hin leiden. Dass auch er nur in einem Gefängnis lebt, wird noch dadurch unterstrichen, dass das Gefängnis seines Sohnes wie eine verkleinerte Kopie des königlichen Gemachs aussieht. Von der so vertrackten emotionalen Ambivalenz zwischen den beiden spürt man aber grade da nichts, wo Verdi ihr Raum gibt und auch der König an der Leiche Posas um den einzigen vertrauten Menschen trauert.

Sicher versucht Braunschweig durch die immer wieder auftauchenden Kinderdoubles für Carlos, Posa und Elisabeth, etwas über das Ersterben von Kinderträumen oder den Verlust von Hoffnung aufzuspüren. Doch diese zur „Person wird hier die Zeit“-Fußnoten bleiben pure Illustration, wirken gar aufgesetzt, wenn das kindliche Alter Ego des Infanten gen Schnürboden entschwebt, während die Ketzer von Bühnendampf und rotem Licht eingenebelt werden. Der Rest ist vor allem Tableau, Rampe, Pose und eine demonstrativer Verzicht auf eine Personenregie, die diesen Namen verdient. Da passt dann auch der von Dampf umwaberte geisterhafte Auftritt Karls und das dekorative Niedersinken von Carlos und Elisabeth auf der Grabplatte an der Rampe als Schlussbild. Insgesamt half da selbst die Fernsehregie nicht viel, obwohl sie mit ihren Schnitten und Naheinstellungen das Geschehen sehr viel dramatischer erscheinen lässt, als es in der Totale des Zuschauerraumes der Fall ist.

Luc Bondy hatte dem ganz eigenen Sog der Scala vor drei Jahren mit seinem Wiedereröffnungs-Idomeneo noch widerstanden. Patrice Chéreau hatte mit seinem Tristan im letzten Jahr zumindest den Kompromiss mit sich selbst gesucht. Ganz ehrlich bei sich selbst aber war dieses Haus wohl mit Franco Zeffirellis Aida vor zwei Jahren. Stephane Braunschweigs Arrangements hätten der versuchten Nüchternheit nicht bedurft. Diese statuarische spanische „Mode“, die nun wahrlich nicht einmal von des Musiktheaters Gedanken angekränkelt ist, käme auch vor „echt“ spanischer Kulisse zur Geltung. Ist obendrein gut geeignet für jettende Stars (oder Sternchen) ohne Probenzeit.

Vielleicht waren ja die Erwartungen an Stephane Lissner zu hoch, als er 2005 von Aix-en-Provence nach Mailand wechselte. Wahrscheinlich genügt sich der Geist der Scala ohnehin selbst, egal wer unter ihm Intendant ist. Für die Scala konsequenter und ehrlicher wäre es, sich offen als Opernmuseum für alle Melomanen zu bekennen, die sich den reinen Musikgenuss nicht verderben lassen wollen. Schon gar nicht durch störendes Nachdenken über die Szene.


FAZIT

Szenisch wie musikalisch wenig Glanz.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniele Gatti

Inszenierung und Bühnenbild
Stéphane Braunschweig

Kostüme
Thibault von Craenenbroeck

Licht
Marion Hewlett



Chor und Orchester des
Teatro alla Scala


Solisten

Philipp
Ferruccio Furlanetto

Posa
Dalibor Jenis

Don Carlos
Giuseppe Filianoti
(in der Premiere am 7.12.08:
Stuart Neill)

Elisabetta
Fiorenza Cedolins

Prinzessin Eboli
Dolora Zajick

Großinquisitor
Analtoli Kotscherga

Tebaldo
Carla di Censo

Lerma
Cristiano Cremonini

Ein Herold
Carlo Bosi

Stimme vom Himmel
Julia Borchert



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Teatro alla Scala
(Homepage)



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