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Musiktheater
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The Rake's Progress

Oper in drei Akten
Fabel von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman
Musik von Igor Strawinski

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Theater an der Wien am 13. November 2008


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Theater an der Wien
(Homepage)
Und ewig läuft das Blödelfernsehen

Von Joachim Lange / Fotos von Hans Jörg Michel / Theater an der Wien

Schon ganz schön frech dieses Theater an der Wien. Versucht sich an der Staatsoper vorbei zu schummeln. Zwar mit allerlei Koproduktionen, aber doch mit einem eher ambitionierten Spielplan. Und mit einer Melange aus musikalischem und szenischem Anspruch, die das große Schwesterhaus am Ring schon länger nicht mehr so überzeugend hinbekommen hat wie jetzt Nicolaus Harnoncourt und Martin Kušej ausgerechnet mit Igor Strawinskis The Rake's Progress. Der Dreiakter des Russen nach dem Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman ist zwar längst kein Exot mehr im Repertoire, liegt aber doch eine Handbreit neben dem, was sich von selbst spielt. Und in der Opernstadt Wien ist ein Werk, das 1951 uraufgeführt wurde, immer noch nahezu taufrisch.

Vergrößerung

Anne Sofie von Otter (Baba the turk), Arnold Schoenberg Chor und Statisterie des Theater an der Wien

Es scheint fast, als wollte Nikolaus Harnoncourt bei seinem ersten Opernausflug ins zwanzigste Jahrhundert mit den Wiener Symphonikern vor allem beweisen, dass Strawinski eine Musik geschrieben hat, die von ihren prominenten Vorgängern lebt. Vor allem von denen, die Arien und Belcanto groß schrieben und die ein Menschentheater komponiert haben. Wie besonders Mozart. Der Perfektionist und Notendurchpflüger Harnoncourt lässt denn auch vor allem den Mozart im Strawinsky aufleuchten, gibt etwa die Höllenfahrt des mephistophelischen Nick Shadow so, als würde Don Giovanni vom Komtur in die Hölle befördert. Nur ist es hier, eben eher zwanzigstes Jahrhundert, nicht der Sünder, der zur Hölle fährt, Hier versinkt der Teufel im selbstgeschaufelten Grab. Und sein Widerpart verliert weder sein Leben noch seine Seele, sondern „nur“ seinen Verstand. Um in der Schrankwandhölle dann zu einem dementen Narren zu werden. So wie all die anderen bei der Übertragung des Villacher Faschings im ewig laufenden Blödelfernsehen.

Vergrößerung Toby Spence (Tom Rakewell) und Alastair Miles (Nick Shadow)

Musikalisch ist das ganze Unternehmen nicht nur ein Ereignis im Graben, bei dem dieser Dirigent das Orchester in eine Präzision und Sinnlichkeit treibt, die keine Wünsche offen lässt. Auch das Ensemble auf der Bühne ist kaum zu überbieten. Anne Sofie von Otter schmückt als Türken-Baba die Besetzungsliste, gibt als Diva mit Lust eine mediengeile Diva. Bei ihr ist der Bart ab. Dafür hält sie das männliche Geschlecht in jede gezückte Kamera. Gesungen wird nicht nur von ihr mit dezidiert belcantistischem Ehrgeiz. Triumphieren können damit vor allem auch Adriana Kuèerová als Anne Trulove, besonders aber der rollenerfahre Toby Spence als Tom Rakewell. Wunderbar seine Kondition, der jugendliche Überschwang, das Auftrumpfen gegen den prägnanten Alastair Miles als Nick Shadow, und schließlich sein poetisch zartes Abgleiten in den Wahnsinn.

Vergrößerung

Anne Sofie von Otter (Baba the turk) und Statisterie des Theater an der Wien

Auf der Bühne beginnt alles eher brav und hochglanzbieder mit einem Raum gewordenen Stoßseufzer über „die Jugend von heute“, den noch jede Elterngeneration über ihren Nachwuchs von sich gegeben hat. Der genügt sich, in Gestalt von Anne und Tom, selbst, bis der mahnende Papa aufkreuzt. Die Matratze und der Fernseher sind die zentralen (und einzigen) Möbel. Zwischen den verstreuten Klamotten: jede Menge Bierbüchsen und Schachteln der Marke „Pizza Diavolo“. Aus einer davon kommt denn auch der Teufel ins ansonsten kahle Neubauzimmer geklettert, das Annette Murschetz etwas schräg zur Seite gedreht ins Bühnenportal platziert hat und das sich im Laufe des Abends nur geringfügig verändert. Den Arnold Schoenberg Chor verbannt das in die Seitenlogen. Fürs Bordell, das hier ein (mäßig) bewegtes Gruppensexbild nach (dem Motto: „Wir sparen das Geld für den Swingenclub und machen es daheim“) mit lauter Nackten ist, gibt's ein paar Sofas und eine Videokamera, ohne die scheinbar nichts mehr geht. Für den im Reichtum und mit Baba frustrieten, auf den Ruin zusteuernden Tom dann (a la Edward Hopper) ein Panoramafenster mit auch mal kurz benutztem Pool im Hintergrund. Für den Ausverkauf (mit Gerhard Siegel als kabinettstückreifem Auktionator) eine Batterie von Pappkartons. Für die Kartenspielerszene Nebel und ein geschaufeltes Grab im wieder kahlen Zimmer, und schließlich den Schrankwandwahnsinn am Ende.

Martin Kušej, der ja durchaus zu drastischen Bildern fähig ist, wollte laut Einblendung ins Wien des Jahres 2008, ist dann aber doch mit seiner Sex- und Fernsehästhetik ein paar Jahre früher hängen geblieben. Er weitet die Perspektive dieser Faustgeschichte (ohne einen „richtigen“ Faust) nicht wirklich in die möglichen Abstürze der Gegenwart oder die in der unmittelbaren Zukunft drohenden, sondern fokussiert das ganze - positiv ausgedrückt - auf ein dann doch leicht didaktisch angehauchtes Kammerspiel. Mit dem lieto fine-Nachspiel als TV-Talkshow und den Sängern im Graben versteht sich. Nur schade, dass ausgerechnet die Zielgruppe, für die solcherart elterliche Mahnung wohl auch in Wien zur eher nervenden Lebenswirklichkeit gehören dürfte, nix davon hat. Denn wegen der (etwas verklemmt unterspielten) Bordellszene gibt's ein Jugendverbot bis 18 Jahre. Na, wenn das keine Sorge um die Moral der jungen Leut' ist! So etwas Medienergiebiges kann sich eine Marketingabteilung nicht besser ausdenken. Die, die zur Premiere rein durften, jubelten jedenfalls ziemlich einträchtig.


FAZIT

Brillant.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Nikolaus Harnoncourt

Inszenierung
Martin Kušej

Bühne
Annette Murschetz

Kostüme
Su Sigmund

Video-Design
Peer Engelbracht

Chor
Erwin Ortner



Arnold Schoenberg Chor

Wiener Symphoniker


Solisten

Tom Rakewell
Toby Spence

Nick Shadow
Alastair Miles

Ann
Adriana Kuèerová

Truelove
Manfred Hemm

Mutter Goose
Carole Wilson

Baba
Anne Sofie von Otter

Sellem
Gerhard Siegel



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater an der Wien
(Homepage)



Da capo al Fine

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