Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Tolomeo ed Alessandro
overo La corona disprezzata


Dramma per musica in tre atti
Libretto di Carlo Sigismondo Capece
Musica dal Sig. Domenico Scarlatti


Aufführungsdauer: ca. 3:20 h (eine Pause)

Konzertante Aufführung
Theater an der Wien, 18. Januar 2009

Logo:

Theater an der Wien
(Homepage)

Überzeugendes Plädoyer

Von Bernhard Drobig

Es spricht für Wien, dass sich am selben Abend zwei Häuser mit konzertanten Wiedergaben barocken Musiktheaters bis auf den letzten Platz besetzen ließen. Während im großen Saal des Konzerthauses britische Künstler Händels englische Masque "Acis and Galatea" vorstellten, lud das Theater an der Wien zur ebenfalls konzertanten Aufführung von Domenico Scarlattis "Tolomeo ed Alessandro" in internationaler Besetzung unter der Leitung des sich so unermüdlich für weniger oder gar nicht bekanntes Barockrepertoire einsetzenden Alain Curtis. Es war ein guter Griff, begegnete man doch einem Werk, das trotz seines traditionellen Seria-Stils mit sich abwechselnden Rezitativen und geschlossenen Formen bei nur einem einzigen Accompagnato sowohl in Handlung wie Musik eine sich bis zuletzt steigernde Spannung stiftete, vor allem Domenico Scarlatti auch als Opernkomponist aus dem Schatten seines Vaters heraustreten ließ.

Entstanden ist das dreiaktige dramma per musica im Auftrag der im römischen Exil lebenden polnischen Königin Maria Casimira Sobieski, die den Neapolitaner Domenico Scarlatti als ihren maestro di cappella angestellt und mit der Vertonung eines von ihrem literarischen Sekretär, Carlo Sigismondo Capece, verfassten Librettos beauftragt hatte. Die Uraufführung erfolgte anno 1711 zur Eröffnung des in ihrem Palast eingerichteten kleinen Theaters, wobei, wie berichtet, männliche und weibliche Sänger auftraten, während die jetzt zugrunde gelegte Partitur des ersten Aktes, die jüngst als Capeces Handexemplar im Antiquariat aufgetaucht ist, vier Sopran- und zwei Altstimmen ausweist, so wie sie nun auch in Wien auftraten. Den zweiten und dritten Akt hat übrigens Alain Curtis aus der englischen Adelsresidenz Belton House beigezogen und somit komplettes Aufführungsmaterial nutzen können.

Die Handlung spielt etwa 108 v. Chr. auf Zypern. Dort lebt incognito der von seiner Mutter Cleopatra zugunsten seines jüngeren Bruders Alessandro verbannte Thronprätendent Tolomeo, trauernd ob der Trennung von seiner Frau Seleuce, die sich freilich ebendort wie er unter fremdem Namen aufhält. Sie hatte sich bei ihrer Ausweisung aus Ägypten nach Zypern retten können und wird nun vom dortigen Tyrannen Araspe umworben, der ihretwegen seine Braut Dorisbe verstoßen hat. Als Alessandro im Auftrag seiner Mutter bei einer militärischen Expedition Tolomeo finden und töten soll, gerät er in Seenot und wird ausgerechnet vom unerkannten Tolomeo gerettet und verschont. Er verliebt sich auch alsbald in Elisa, die Schwester des Tyrannen, die ihrerseits Tolomeo bevorzugt. Inzwischen trifft dieser erstmals seine Seleuce und macht Araspe eifersüchtig. Als dann Elisa bei Tolomeo weiterhin nicht ankommt, verspricht sie sich Alessandro, wenn er Tolomeo tötet. Dabei kommt ihr zu Hilfe, dass Araspe erneut Tolomeo mit Seleuce überrascht und sie nun beide verhaftet. Nochmal scheitert Elisa bei Tolomeo, er nimmt lieber das ihm gereichte Gift, das jedoch Dorisbe nur als Schlafmittel zubereitet hatte. Währenddessen kommt Kunde von Cleopatras Tod und Alessandro verzichtet zugunsten des rechtmäßigen Thronerben Tolomeo und seiner Gattin auf die Krone, erhält seine Elisa wie Dorisbe ihren Araspe.

Keine Frage, dass dieses dichte Bündel an Komplikationen dreier Paare fruchtbarer Boden für eine breite Palette an Affektspiegelungen mannigfachster Art bot, und Scarlatti schenkte ihnen allen mit rund zwei Dutzend meist kurzen Dacapo-Arien sowie zwei Duetten und einem knappen Schlussensemble eine überraschend reich differenzierte Formensprache, die den gewählten Gleichnissen wie den thematisierten Empfindungen instrumental und vokal oftmals geradezu bildhaften Ausdruck verlieh. Besonders auffällig sind Arien, die den Zwiespalt der Gefühle durch den Wechsel von Tempi und Rhythmen nachzeichnen, höchste Erregungen durch Kombinationen aus Koloraturen und markanten Intervallsprüngen abbilden, und Lamenti nicht nur in fast nach Atem ringenden kurzen Phrasen, sondern auch in sehr eigenwillig chromatischen Wendungen verströmen lassen, und zwar so raffiniert, dass man fast den harmonischen Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Und obwohl es generell keine größeren vokalen Bögen, auch keine sich augenblicklich einprägenden Melodien gibt, verfehlen doch die bis auf eine Continuoarie von Streichern und gezielt eingesetzten Holzbläsern begleiteten Vokalsätze ihre Wirkung nicht im Geringsten.

Alain Curtis hatte sie von zusätzlichen Verzierungen weitgehend frei gehalten, ließ diese wie auch Kadenzen nur dann aufblühen, wenn es sich beispielsweise bei Vendetta-Arien aus der Sache heraus ergab. Wenn kadenziert wurde, geschah es zwar auch im Hochtonbereich, immer aber elegant und in einem einzigem Atem. Auch den Basso continuo beließ Curtis bei moderaten Ausdifferenzierungen, ließ die Spannkraft der Rezitative sich aus der Rollenidentifikation der Protagonisten entfalten, die sich zudem auf leerer Bühne in Eigenregie durchaus lebensecht bewegten. Unter den insgesamt ausdrucksstarken Sängerinnen stach insbesondere Roberta Invernizzi hervor, die als Elisa in sich rollengemäß steigernder Leidenschaftlichkeit mit ihrem berückend klar artikulierenden, auch kontrolliertes Vibrato nutzenden Sopran mitreißende Bravouren von Eifersucht, Rachedurst und Verzweiflung bot. Kontraststark verkörperte Ann Hallenberg als Tolomeo mit herb-sonorem Alt ergreifende Facetten von Trauer und Liebesschmerz sowie unbeirrbarer, selbst todbereiter Treue. Ihre von Seufzermotiven und Spiccati der Streicher grundierten Lamenti zählten zu absoluten Höhepunkten der Aufführung. Véronique Gens in der Rolle Alessandros bezauberte bei leicht eingedunkeltem Sopran durch ein bis in die Koloraturen hinein bestechend elegantes Legato und die Kunst, jederzeit Gefühlsintensität mit königlicher Verhaltenheit zu verbinden, auch im Duett mit der ähnlich timbrierten Theodora Baka, die bei härterem Ausdruck des Tyrannen Arespe Schnittigkeit zutreffend markierte. Als Araspes verstoßene Braut Dorisbe fand die jugendlich wirkende Altistin Tuva Senningsen ein überzeugendes Nebeneinander von Liebeskummer und –hoffnung, während Klara Ek für Tolomeos Gattin Seleuce mit angenehm weichem und doch fülligem Sopran unvergessliche Momente an strahlenden Koloraturen, intonationsreinen Intervallsprüngen und nicht zuletzt atemberaubender Sicherheit in der Gestaltung langer chromatischer Passagen vermittelte, ob in Leid, Mitgefühl, Schicksalshader, Enttäuschung oder Jubel.


FAZIT

Das ebenso engagiert wie kompetent begleitende Ensemble Il Complesso Barocco und eine hochrangige Sängerriege plädierten unter des Altmeisters Alain Curtis kundiger Leitung überzeugend für Domenico Scarlatti als beachtenswerten Operkomponisten. Der avisierten CD darf man um so gespannter entgegensehen, als dann auch der Vergleich mit dem vom gleichen Dirigenten eingespielten "Tolomeo" Georg Friedrich Händels von 1728 möglich sein wird, dessen Text nach demselben Libretto entwickelt worden ist.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alain Curtis


Il Complesso Barocco


Solisten

Tolomeo
Ann Hallenberg

Alessandro
Véronique Gens

Seleuce
Klara Ek

Elisa
Roberta Invernizzi

Araspe
Theodora Baka

Dorisbe
Tuva Semmingsen


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -