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Salome

Musikdrama in einem Aufzug
Nach dem Drama Salomé von Oscar Wilde
in der Übersetzung von Hedwig Lachmann
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Premiere im Muziektheater Amsterdam am 10. November 2009
Besuchte Aufführung: 5. Dezember 2009


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De Nederlandse Opera
(Homepage)
Darf der das?

Von Thomas Tillmann / Fotos von Monika Rittershaus


Seit zwei Wochen beschäftigt mich immer wieder die eine Frage: Darf der das? Darf Peter Konwitschny in seiner ersten Neuproduktion nach mehrjähriger selbstverordneter Pause Salome und Jochanaan nicht sterben lassen, sondern als Hoffnungsträger für eine neue Welt dem Leben in Herodes' Bunker mit permanenten Tabubrüchen, Gewalt-, Drogen- und Sexexzessen bis hin zu Kannibalismus und Leichenschändung entfliehen lassen, wenn ihm das plausibler erscheint als das Ende der Vorlage? Darf man den letzten Satz, "Man töte dieses Weib", einen Statisten im Parkett schreien und damit als Publikumsreaktion auf das skandalöse Gesehene erscheinen lassen? Darf Elektra dann demnächst auch am Leben bleiben und mit Orest in Mykene regieren, während Chrysothemis an der Seite eines potenten Bauern ihrem Kinderwunsch nachgibt? Dürfen die Marschallin und Octavian ein Paar bleiben, das Sophie, Faninal und Ochs am Ende eine Nase zeigt, gesellschaftliche Konventionen über Bord wirft und sich vom Collier der Fürstin eine eigene Wienerwald-Filiale kauft? Oder bleibt Lohengrin einfach in Brabant und führt eine Ehe zu dritt mit Elsa und Ortrud? Werden Amneris und Radamès ein Paar und lassen die Ausländerin Aida allein in der Gruft? Die Ideen ließen sich endlos fortführen, die Grundfrage aber bleibt: Welche Eingriffe in das Werk gestatten wir einem Regisseur? Oder um die Formulierung der Dramaturgie aufzugreifen: Darf Konwitschny sich selber die Regeln stellen für den Umgang mit einer Vorlage?


Vergrößerung Der Ort der Handlung: Salome spielt in einem klaustrophobischen Bunker, in dem Sex und Gewalt bis zum Exzess betrieben werden (Ensemble).

Konwitschny lässt das Stück in einer Art Bunker mit Belüftungsschächten und zerbombter Decke spielen, aus dem es keinen Ausweg gibt - Salome wird während des Tanzes durch das Aufmalen von Türen ihre Fluchtabsicht artikulieren und einige Mitspieler zu ähnlichem Tun motivieren -, da gibt es keine orientalische Folklore außer ein paar schweren Teppichen. Ähnlich wie die dort gefangenen Menschen möchte man als Zuschauer nach wenigen Augenblicken dem trostlosen Geschehen entfliehen: Holzpaletten und Bierkästen stehen neben völlig verrohten Menschen in eleganter Abendkleidung an einer langen Tafel (Ausstattung: Johannes Leiacker), die ihren egoistischen Trieben nachgehen (am harmlosesten noch der Gast, der über lange Zeit Kopfhörer trägt und die gehörte Musik gestenreich dirigiert). Natürlich werden auch Lebensmittel und Drinks durch die Gegend geworfen, es fehlt eigentlich nur, dass mit echten Körperflüssigkeiten auf echten Nackten herumgespielt wird und Tiere und Kinder auf offener Bühne missbraucht werden. Ganz beklemmend fand ich, als Salome, die selber permanent begrapscht und gezüchtigt wird, der Küchenhilfe zwischen die Beine fährt und sie stimuliert, um Narraboth zu zwingen, ihr den Kontakt zu Jochanaan zu ermöglichen. In einer Art (Alp-)Traumsequenz tötet sie Salome, die ihrerseits von den anderen aufgegessen wird. Sämtliche Tabus fallen, auch die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen, die Rollen sind austauschbar (es gibt einige Parallelen zu der Duisburger Salome-Inszenierung von Tatjana Gürbaca, vielleicht haben Lehrer und Schülerin während der Vorbereitung ihrer Produktionen doch hin und wieder miteinander telefoniert).


Vergrößerung

Herodias (Doris Soffel) und ihre Gäste - von links nach rechts: Albert Dohmen (Jochanaan), Julian Tovey (2. Nazarener), Gabriel Sadé (Herodes) und André Morsch (1. Nazarener) - haben vermeintlich Spaß.

Herodias ist eine dauergeile Frau in den besten Jahren, die permanent die Hüften schwingt, sich mit allerlei Gegenständen befriedigt oder sich auf irgendwelche Herren setzt (nicht zuletzt auch auf Jochanaan), während der Gemahl Heroin noch nötiger braucht als Sex, sich aber dann wie alle anderen Männer auch über den toten Narraboth hermacht, dessen Leichnam nach der Schändung flugs mit einem Teppich zugedeckt wird, aber auf der Bühne verbleibt. Das Gezeigte ist zweifellos erschütternd und kritisierenswert, aber die drastischen Bilder nutzen sich nach kürzester Zeit ab - das war bei Konwitschnys Daphne-Inszenierung vor einigen Jahren nicht anders -, man versteht die Intention und den Pessismus des Regisseurs, zeigt sich geschockt und schaut doch bald gelangweilt auf die Uhr.

Auch Jochanaan ist von Anfang an dabei, mitunter trägt er eine Papiertüte über dem Kopf - ein verspotteter Außenseiter, dessen Ideen die Partygesellschaft weniger ärgern oder verstören als ungeheuer amüsieren (Konwitschny sieht ihn als Intellektuellen, der Opfer einer neoliberalistischen Konsumgesellschaft wird - die Feindbilder sind eben auch klar) und der ziemlich allein bleibt mit seinen Botschaften echter Liebe in seiner sexualisierten, gewalttätigen Umgebung, etwa wenn er den toten, geschändeten Narraboth verzweifelt in die Arme nimmt. Während des Schlussgesangs nehmen dann aber Salome und der sehr lebendige Prophet auf zwei Stühlen im vorderen Bereich der Bühne in warmen Licht Platz, auch der abgeschlagene Jochanaan-Kopf - hier nichts weiter als ein harmloses Theaterrequisit, der wirkliche Schrecken liegt woanders - wird hierhin mitgenommen, später aber in den Bühnenhimmel gezogen, Jochanaan beantwortet durch Nicken die Fragen der Prinzessin ("Hast du Angst vor mir?", "Warum hast du mich nicht angesehen?"), während der Bunker langsam viele Meter zurückgefahren wird, in dem Herodias dem Gatten wieder ins Hemd hilft, das Tetrarchenpaar versucht aufzuräumen, bis Herodes sich irgendwann friedlich ermattet seinen Kopf an Herodias' Schulter anlehnt - die Botschaft der Liebe verwandelt auch die Protagonisten jener anderen, depravierten Welt. Und schließlich stürmt das junge Glück als Botschafter einer neuen Zeit und Moral hinaus, den erbosten Ausruf des Zuschauers, den ich eingangs beschrieben habe, hört es nicht mehr.


Vergrößerung Salome (Annalena Persson) und Herodes (Gabriel Sadé) geraten aneinander.

Von Doris Soffels praller Herodias bleibt vor allem das hysterische Lachen, ihr expressives Singen bei ziemlich intakter Stimme bis zum B, die herrlichen Fermaten, die Lust am Vorführen von Registerbrüchen, die Präzision ihres Deklamierens, besonders aber die große Spielfreude in Erinnerung. Keine schlechte Wahl für den Herodes war auch Gabriel Sadé mit dunklem Ton und starkem Flackern in der italienisch geschulten Stimme. Annalena Persson, die im Kölner Tristan im Frühjahr derart scheiterte, dass sie nach der ersten Vorstellung ausgetauscht wurde, enttäuschte auch als Salome mit ihrem kleinen, klirrenden, aber durchaus lauten Sopran und schlechter Textverständlichkeit. Glücklicherweise gab es da auch einige lyrische Momente, die der Stimme eher entgegenkamen, aber meistens hörte man einen harten, flackernden Einheitslaut; immerhin, eine schlechte Darstellerin war sie nicht.


Vergrößerung

Das umstrittene Finale: Salome (Annalena Persson) und Jochanaan (Albert Dohmen) entfliehen dem perversen Leben an Herodes' Hof.

Albert Dohmen ist mit mächtigen, reifen Tönen grundsätzlich durchaus ein Jochanaan, gibt sich aber über weite Strecken keine Mühe mit dem Text, so dass seine Botschaften nicht ihre volle Wirkung entfalten können (auf der Zugfahrt nach Amsterdam hatte ich noch einmal Dietrich Fischer-Dieskau gehört, das war wirklich eine andere Liga, ob man den Älteren und seine Art zu singen nun mag oder nicht). Marcel Reijans war ein ordentlicher Narraboth, aber keiner, der einem länger im Gedächtnis geblieben wäre, dazu ist die Stimme einfach nicht schön und individuell genug. Einen matten Mezzo mit nicht gut verbundenen Registern, schwacher Tiefe und wenig Mittellage ließ Barbara Kozelj als Page der Herodias hören (gab es da kein Vorsingen?). Solidere Leistungen boten die übrigen Mitwirkenden.

Weniger Beachtung als die Regie und das Bühnenpersonal fand Stefan Soltesz am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest. Nicht dass sein routiniertes Dirigat und die Leistung des Kollektivs schlecht gewesen wären, aber der merkwürdig gedämpfte, "weich gespülte", unkonturierte Klang in gepflegtem Mezzoforte ohne Biss und Aggressivität war einfach weder Gegengewicht noch Pendant zur Szene und fiel die meiste Zeit einfach nicht weiter auf, nur in den letzten Takten ahnte man, welche Steigerungsmöglichkeiten es da gegeben hätte.


FAZIT

Was bleibt von dieser Salome? Die Eingangsfrage beschäftigt mich weiter, obwohl ich persönlich finde, dass Konwitschny hier zuweit geht, zumal die eigenen (ja auch irgendwie platten) Utopien und das Gezeigte nicht so bedeutend sind, dass das Stellen von eigenen Regeln wirklich gerechtfertigt wäre. Musikalisch blieben an diesem Nachmittag manche Wünsche offen, es geht ja nicht nur um darstellerische Präsenz bei der Aufführung einer Strauss-Oper.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Peter Konwitschny

Ausstattung
Johannes Leiacker

Licht
Manfred Voss

Dramaturgie
Bettina Bartz



Nederlands Philharmo-
nisch Orkest


Solisten

Herodes
Gabriel Sadé

Herodias
Doris Soffel

Salome
Annalena Persson

Jochanann 
Albert Dohmen

Narraboth
Marcel Reijans

Ein Page
der Herodias
Barbara Kozelj

Juden 
Alasdair Elliott
Marcel Beekman
Jean-Léon Klostermann
Pascal Pittie
Andrew Greenan

Nazarener
Julian Tovey
André Morsch

Soldaten
Alexander Egorov
Patrick Schramm

Ein Cappadocier
Jacques Does





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