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(Kein) Märchen vom Überleben der Menschheit
Von Stefan Schmöe / Fotos: Marcus Lieberenz im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN (Tel.: +49 (0)177-2439680, www.bildbuehne.de) Einen Schatten zu werfen bedeutet, Spuren zu hinterlassen, oder in der Sprache dieser Oper: Kinder zu gebären, also auch: den Fortbestand der Gattung Mensch zu sichern. Die Kaiserin, ein Feenwesen, hat keinen Schatten, aber die Strafe trifft ihren menschlichen Gatten, den Kaiser, der versteinern muss: Ohne Nachkommen ist er nur noch Standbild seiner selbst. Der Schatten müsste einer Menschaufrau abgewonnen werden, die aus freiem Willen darauf verzichtet, also die Mutterschaft als eigentliches biologisches wie soziales Lebensziel aufgibt. Die Färbersfrau wäre beinahe bereit dazu, müsste aber alle Hoffnungen und Ideale ihres Mannes Barak durchkreuzen. Es geht also um die kommende(n) Generation(en) in der Frau ohne Schatten, und Hans Mayer hat die Oper deshalb „ein Märchen vom Überleben der Menschheit“ genannt. Diesen Aspekt haben Regisseurin und Intendantin Kirsten Harms und Dramaturg Andreas K. W. Meyer zur zentralen Idee der Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin erklärt. Die Entstehungsgeschichte des Werkes, das von 1911 an konzipiert und im Ersten Weltkrieg vollendet wurde, hat da sicher eine Rolle gespielt. Ein Endzeitdrama also. Zumindest im Programmheft. Schwierige Beziehung in Mondlandschaft: Kaisern (Manuela Uhl, rechts) und die Amme (Doris Soffel) Auf der Bühne will das an sich ja nicht unplausible Konzept allerdings nicht recht funktionieren. Kirsten Harms versucht, dem Kontrast Kaiserpaar – Arbeiterpaar zusätzlich soziale Schärfe verleihen, aber weder nimmt man dem Kaiser die optische Nähe zum Nazi-Schergen ab (die Kaiserin im weißen Kleid bleibt durchaus märchenhaft), schon gar nicht dem Färberspaar das soziale Elend in einem unterirdischen Schacht – schließlich singt Barak ja fast schon penetrant optimistisch, dass er auch eine Großfamilie locker ernähren könnte. Um die Märchenhandlung aufzuheben und greifbar auszudeuten, bleibt die Inszenierung insgesamt zu wenig konkret. Vor allem aber lässt die Regisseurin die beiden Paare im dritten Akt, der nach einer Katastrophe spielt, die im Programmheft angedeutet, auf der Bühne aber überhaupt nicht nachvollziehbar wird, auf einer Mondlandschaft irrlichtern (das ruft beim Publikum ähnliches Gelächter hervor wie zuvor die Erscheinung eines schönen Jünglings in unfreiwillig komischer Gestalt eines Dandys mit Spazierstock). Da ist das Stück irgendwie doch ganz Märchen und kann keinen der Interpretationsstränge zu einem plausiblen Ende führen. Dass die Amme kurzerhand erschossen wird, macht die Sache nicht glaubwürdiger – man kann nachlesen, dass hier ein militantes Regime auf Kosten des Prekariats Krieg führt, auf der Bühne sehen kann man es eigentlich nicht. Die großen Ideen, die sie formuliert, kann Kirsten Harms szenisch so gut wie gar nicht umsetzen – da bleiben bestenfalls ein paar Behauptungen übrig. Trotzdem wäre es zu einfach, die Inszenierung pauschal als gescheitert zu bezeichnen. Zum einen gelingen ein paar schöne Bilder wie der marmorne Palast mit zwei riesigen Falkenstatuen – hier ist bereits alles zu Stein geworden, wodurch die drohende Bestrafung für den Kaiser greifbare Präsenz bekommt. Die Fäberwohnung mit verrosteten Eisenträgern des Industriezeitalters schafft einen passablen Rahmen, und auch an die Mondlandschaft kann man sich gewöhnen, zumal sie auf die Personen fokussiert. Die nämlich sind der eigentliche Trumpf der Regie, weil Kirsten Harms da sehr genau inszeniert (und die Sängerdarsteller hervorragend spielen). Die wachsende Verunsicherung der beiden um den Schatten konkurrierenden Frauen ist sehr schön herausgearbeitet, die Färberin dabei eine durchaus moderne Frau in einer Ehekrise. Und der existentielle Konflikt der Kaiserin – verzichtet sie auf den Schatten, tötet sie ihren Mann; nimmt sie den Schatten, zerstört sie das Glück der Färberfamilie – wird zum dramatischen und mitreißenden Höhepunkt der Oper. Das wirkungsvoll zu inszenieren ist ja nicht wenig. Dazu hat Frau Harms ein grandioses Ensemble zusammengestellt. Eva Johansson ist eine anrührende Färberin mit großem jugendlich-dramatischem Schwung und leuchtender, mühelos sich aufschwingender Stimme. Die Kaiserin von Manuela Uhl klingt trotzdem noch eine Spur größer, hat in ihrem klaren Sopran eine leichte dunkle, „gläserne“ Beimischung und den großem Atem (und Kraft) für hochdramatische Momente. Dazu kommt Doris Soffel als Intrigen spinnende Amme, deren Stimme zwar nicht mehr über allzu viel klangliche Substanz, aber überaußerordentliche Präsenz verfügt und deren Partie in jedem Ton souverän gesungen ist. Und mit Johan Reuter gibt es einen famosen Barak, der jederzeit klangschön und mit großem, nicht forciertem Ton die richtige Mischung zwischen liedhafter Naivität und dramatischer Gestaltung findet. Dagegen fällt der Kaiser von Robert Brubaker ziemlich ab, dessen eigentlich angenehm dunkel timbrierter und in der Höhe weich ansprechender Tenor zwar bei den Spitzentönen elegant zurückgenommen ist, der aber die tieferen Passagen oft nur pauschal schreit. Dazu wird die die Gesangslinie nach fast jedem Ton unterbrochen, wozu ein undurchschaubarer Wechsel von überbetonten und verwaschenen Konsonanten nicht unerheblich beiträgt. Ziemlich matt klingt Stephen Bronk als Geisterbote, sehr uneinheitlich und derb (obwohl im Programmheft zu Recht als eine Schlüsselstelle der Oper bezeichnet) das Trio der Wächter (Ben Wagner, Lucas Harbour, Krzysztof Szumanski). Sehr schön dagegen Hulkar Sabirova als Stimme des Falken und Hüter der Schwelle, und Yosep Kang ist bei seinem kurzen Auftritt ein schwärmerischer Jüngling. Steht so eigentlich nicht bei Hofmannsthal: Der Geisterbote (Stephen Bronk) erschießt die Amme (Doris Soffel) Ambivalente Eindrücke hinterlassen das Orchester der Deutschen Oper und Dirigent Ulf Schirmer. Die Streicher sind sehr zurückgenommen, was den Ton verschlankt, aber aus dem Gleichgewicht bringt: Für Strauss müsste der Streicherklang nicht immer, aber an vielen Stellen eben doch mehr als eine Spur satter sein. Die dominierenden Blechbläser (mit riskant leisen, dadurch nicht immer sauberen Einsätzen) mischen sich schlecht, das tiefe Blech „knallt“ oft sehr. Ähnlich uneinheitlich wie der Klang ist die Phrasierung. Dem Melodiker Strauss traut der Dirigent nicht, vielleicht auch, um die nicht ganz von der Hand zu weisende Kitschgefahr zu bannen. Stärker hebt er, fast impressionistisch, bestimmte Klangfarben hervor. Ein für die Frau ohne Schatten spezifischer Tonfall stellt sich erst spät ein, Salome und Rosenkavalier geistern oft herum. Die wichtigen dramatischen Momente (wie den Schluss des zweiten Aktes oder das entscheidende „Ich will nicht!“ der Kaiserin im dritten) lädt Schirmer allerdings mit ungeheurer Spannung auf – das ist dann ganz großes Musiktheater. Und auch die ruhigen Passagen des dritten Akts (darunter das von Reinhold Wolf sehr entspannt und sanft fließend gespielte Violinsolo) gelingen sehr überzeugend. Orchestral ist das ein manchmal großer Strauss-Abend.
Kirsten Harms kann ihr ambitioniertes Regiekonzept nicht umsetzen und schafft dennoch eine Inszenierung mit starken Szenen - nicht zuletzt wegen ausgezeichneter Sänger. Keine durchgängig gute Produktion, aber eine trotzdem sehens- und vor allem hörenswerte mit sehr intensiven Momenten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Kaiser
Kaiserin
Amme
Barak
Sein Weib
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
Der Geisterbote
Hüter der Schwelle
Erscheinung des Jünglings
Stimme des Falken
Drei Wächter
Stimme von oben
Geisterstimmen/Kinderstimmen
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