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La Grande-Duchesse de Gérolstein

 

Operette von Jacques Offenbach

Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy

 

In französischer Sprache mit deutschen Dialogen und Übertiteln

 

Premiere am Theater Basel am 20. Dezember 2009

 

Aufführungsdauer ca 2 ¼ Stunden. Keine Pause


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Theater Basel
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Besoffen vom Krieg

Von Christoph Wurzel


Die Operette konnte entstehen, weil die Gesellschaft, in der sie entstand, operettenhaft war. So brachte es Siegfried Kracauer in seiner großartigen Offenbach-Monografie auf den Punkt. Und er meinte damit eine Gesellschaft, die angesichts ihrer Probleme die rosa Brille aufsetzt. Offenbach und seine Librettisten hielten mit ihrer  eigenen, neuen Variante der „opera bouffe“ der Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs in Frankreich kräftig den Zerrspiegel vor. In der „Großherzogin von Gerolstein“ geht es vor allem um den Militarismus und den Nepotismus dieser Zeit. „Diesmal nehmen wir den Krieg aufs Korn, den Krieg, der vor unseren Toren steht“, schrieb der Librettist Halévy ins Tagebuch.

 

Und ein solches Stück erschien ausgerechnet zur Unterhaltung der Besucher der Pariser Weltausstellung 1867 auf der Bühne, zu der nahezu geschlossen auch der europäische Hochadel und andere Regenten (einschließlich Bismarcks) anrückten, sich im Théatre des Variétés köstlich amüsierten und Hortense Schneider, der ersten Großherzogin, zu Füßen lagen. Eine schwere Krise zwischen Frankreich und Deutschland stand tatsächlich bevor (der richtige Krieg fand ja 3 Jahre später auch statt). Aber das machte nichts. Man vergnügte sich trotzdem. Zwar war manches aus dem Werk der Zensurschere zum Opfer gefallen, die „Großherzogin von Gerolstein“ blieb allerdings dennoch eine böse Satire auf all das, was diesen versammelten Hoheiten hoch und heilig war: Waffen, Orden, Uniformen - jeder militärischer Klimbim.

 

Leitmotiv ist denn auch ein Säbel - „Le Sabre de Mon Père“, das schneidigste Couplet dieser Operette. Es klingt schon gleich zu Beginn der Ouvertüre an. Nur nicht in Basel, denn hier beginnt das Stück vor seinem Anfang. Dieser verzögert sich eine Weile, weil wir zuerst das Herzogtum Gerolstein kennen lernen. In den drei Räumen der Bühne Anna Viebrocks hat alles Platz, was wesentlich ist. Von unten nach oben: ein Graben, der sowohl als Orchester- wie als Schützengraben Verwendung findet (die Musiker sitzen schon in Kampfmontur bereit); zwei Geschäfte, in denen die passenden Kleider (Boutique links) und die nötigen Werkzeuge (Waffenladen rechts, der mit dem Slogan wirbt, es gebe sinnvollere Geschenke als Alkohol) zu haben sind (Bühnen-Erdgeschoss); und im Obergeschoss das Staatszentrum, ein Regierungspalast mit dem Charme eines ältlichen Mittelklassehotels.

 

Hier trudeln in aller Ruhe die Entscheidungsträger des Großherzogtums ein. Marthaler hat mit feinem Spott ein Panoptikum politisch agierender Witzfiguren entworfen. General Boum schwankt ständig zwischen Herzattacke und Schnarchschlaf, seine wenigen wachen Momente bestehen allein aus dem erwartungsvoll ängstlichen Aufschrei „Der Feind! Der Feind!“, neben ihm der gleichermaßen senile wie lüsterne Baron Puck. Hinzuerfunden sind andere Politschranzen wie ein Pressesprecher, der kaum drei Worte ohne zu stottern herausbekommt, ein schleimiger Privatsekretär und einige Damen, die allein durch schiere Anwesenheit das Interieur dekorieren. Karikaturen von Typen, die ebenso die Salons des Second Empire zur Offenbachzeit bevölkert haben mögen, wie sie auch auf der öffentlichen Szene heutzutage zu besichtigen sind.

 

Auch die Großherzogin taucht schließlich auf, zuerst in der Modeboutique, wo sie ein Kostüm in Nato-oliv und Tarnmuster probiert, bis sie sich doch für die Festrobe mit Orden und Schärpe entscheidet. Auch dem Waffenladen stattet sie einen Besuch ab, ehe sie sich den Regierungsgeschäften eine Etage höher zu widmen entschließt. Man schaut also erst einmal 10 Minuten nur zu, mit wem man es in der Handlung zu tun bekommt.

 

Dann kommt aber auch der Moment des Dirigenten, der (erste Panne) verspätet eintrifft, in der Uniform eines Offiziers ungelenk in den Graben klettert und mal gleich das falsche Stück intoniert, nämlich statt der Ouvertüre Offenbachs diejenige zum „Tannhäuser“ des wenige Jahre zuvor in Paris ausgebuhten Richard Wagner (zweiter Fauxpas). Man ahnt: In diesem Staat läuft ziemlich viel ziemlich gründlich ziemlich verkehrt.

 

Doch dann beginnt die Realität der Operette: Ein Krieg muss her. Und da ist die  Großherzogin ganz in ihrem Element. Persönlich singt sie das Regimentslied und weil sie einen der Soldaten so ganz besonders liebt, befördert sie ihn innerhalb von wenigen Minuten durch alle Ränge hindurch vom Fähnrich zum General. Getroffen hat es den eher schlichten Fritz, der sich aber eigentlich allein nichts sehnlicher wünscht als sein kleines persönliches Glück mit Wanda. Fritz muss aber jetzt in den Krieg und ihn auch noch befehligen. Der simplen Strategie des entmachteten Generals Boum setzt er seine geniale Idee entgegen, den Feind mit Freibier zu entwaffnen (was auch gelingen wird). Auf den Sieg wird schon jetzt reichlich mit Champagner angestoßen und dann zieht auch die Soldatenkapelle aus dem Graben hinaus ins Feld.

 

Bis hierher reicht bei Offenbach der erste Akt. Doch bei Marthaler hört Offenbach hier schon wieder auf. Die Handlung der beiden weiteren Akte spart er sich ein. Damit entfallen Offenbachs grandiose Opernparodien wie die ganze Verschwörungsgeschichte und auch die Szene der umständlichen Liebeserklärung der Großherzogin an Fritz. Stattdessen wendet Marthaler nun das Geschehen von der komödiantischen in eine melancholische Atmosphäre um. Vom effektvollen Offenbach wechselt die Musik zur Innigkeit von Händel (Arie der Cleopatra „Paingerò la sorte mia“) und Brahms („Ihr habt nun Traurigkeit“ aus dem Requiem), was nur noch vom Klavier und einem einsam verbliebenen Cellisten begleitet wird. Bei dieser Musik kippen in berührenden rund 30 Minuten das Hurrahgeschrei und die Champagnerlaune um in die Tristesse der Zurückgebliebenen, die das Verlangen nach Hochprozentigem nach sich zieht. Auf den Taumel der Begeisterung folgt das Delirium der Schmerzbekämpfung. So endet die Szenerie in tiefer Depression und Einsamkeit der Großherzogin. Die Komik der Operette setzt sich in der Absurdität der Groteske fort. Und das geht weit über solche Unterhaltung hinaus, bei der sich die Karikierten noch über sich selbst amüsieren können.

 

Wesentlich lebt diese Inszenierung durch die Trägerin der Hauptrolle. Anne Sofie von Otter hatte in den Achtziger Jahren  ihre Karriere am Basler Theater begonnen und kehrte für die Großherzogin nun bravourös hierher zurück. In Marthalers Regiekonzept kann sie die Facetten ihrer Gesangskunst weit entfalten. Offenbach ist für sie kein unbekanntes Metier. Der ironisch-leichte Ton kommt ihr selbstverständlich über die Lippen. Doch auch die filigranen, gefühlvollen Seiten der anderen Musik dieses Abends sind Anne Sofie von Otter wie in die Kehle gelegt. Und auch allein schauspielerisch ist ihre Präsenz großartig. Auch das übrige Ensemble trägt mit Verve zum Gelingen bei. Dass hier selbst der Dirigent zum Komiker werden kann, ist der offensichtlich ausgeprägt komödiantischen Ader von Hervé Niquet zu danken. Aber auch sonst ist er ein großer Gewinn und führt das kammerorchesterbasel nicht nur in eine erfolgreiche Schlacht, sondern auch mit viel Esprit und Witz durch Offenbachs Partitur.

 

 

Fazit

Am Schluss teilte sich das Publikum etwa gleichmäßig in Ablehnung und Begeisterung. Marthaler hat zwar nur zum Teil Offenbach inszeniert, aber gleichzeitig die Tendenz des Werks nicht nur kreativ paraphrasiert, entwickelt und gewendet, sondern auch eine Szenerie voll sprühenden, geistreichen Witzes entworfen, die an keiner Stelle etwa ins Banale abgleitet und auch jede plakative Aktualisierung vermeidet. So hat das ganze Team letzten Endes der Sache Offenbachs dann doch gedient.


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Produktionsteam

 

Musikalische Leitung

Hervé Niquet

 

Inszenierung

Christoph Marthaler

 

Bühnenbild

Anna Viebrock

 

Kostüme

Sarah Schittek

 

Chorleitung

Henryk Polus

 

 

Dramaturgie

Brigitte Heusinger,

Malte Ubenauf

 

Chor des Theater Basel

 

kammerorchsterbasel

 

 

Solisten

 

Großherzogin

Anne Sofie von Otter

 

Fritz

Norman Reinhardt

 

Wanda

Agata Wilewska

 

General Boum

Christoph Homberger

 

Prinz Paul

Rolf Romei

 

Baron Puck

Karl-Heinz Brandt

 

Privatsekretär

Ueli Jäggi

 

Pressesprecher

Jürg Kienberger

 

Ein Pianist

Bendix Dethleffsen

 

Waffen- und Notenhändler

Raphael Cramer

 

Botschafterin

Altea Garrido

 

Honorarkonsulin

Carina Braunschmidt

 

Boutiqueangestellte

Karin Gamboni

 

Continuo (Cello)

Martin Zeller

 

 

 

 





Weitere Informationen
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