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Besoffen vom Krieg
Und
ein solches Stück erschien ausgerechnet zur Unterhaltung der
Besucher der
Pariser Weltausstellung 1867 auf der Bühne, zu der nahezu
geschlossen auch der
europäische Hochadel und andere Regenten (einschließlich
Bismarcks) anrückten,
sich im Théatre des Variétés köstlich
amüsierten und Hortense Schneider, der
ersten Großherzogin, zu Füßen lagen. Eine schwere
Krise zwischen Frankreich und
Deutschland stand tatsächlich bevor (der richtige Krieg fand ja 3
Jahre später
auch statt). Aber das machte nichts. Man vergnügte sich trotzdem.
Zwar war
manches aus dem Werk der Zensurschere zum Opfer gefallen, die
„Großherzogin von
Gerolstein“ blieb allerdings dennoch eine böse Satire auf all das,
was diesen
versammelten Hoheiten hoch und heilig war: Waffen, Orden, Uniformen -
jeder
militärischer Klimbim. Leitmotiv
ist denn auch ein Säbel - „Le Sabre de Mon Père“, das
schneidigste Couplet
dieser Operette. Es klingt schon gleich zu Beginn der Ouvertüre
an. Nur nicht
in Basel, denn hier beginnt das Stück vor seinem Anfang. Dieser
verzögert sich
eine Weile, weil wir zuerst das Herzogtum Gerolstein kennen lernen. In
den drei
Räumen der Bühne Anna Viebrocks hat alles Platz, was
wesentlich ist. Von unten
nach oben: ein Graben, der sowohl als Orchester- wie als
Schützengraben Verwendung
findet (die Musiker sitzen schon in Kampfmontur bereit); zwei
Geschäfte, in
denen die passenden Kleider (Boutique links) und die nötigen
Werkzeuge
(Waffenladen rechts, der mit dem Slogan wirbt, es gebe sinnvollere
Geschenke
als Alkohol) zu haben sind (Bühnen-Erdgeschoss); und im
Obergeschoss das
Staatszentrum, ein Regierungspalast mit dem Charme eines ältlichen
Mittelklassehotels. Hier
trudeln in aller Ruhe die Entscheidungsträger des
Großherzogtums ein. Marthaler
hat mit feinem Spott ein Panoptikum politisch agierender Witzfiguren
entworfen.
General Boum schwankt ständig zwischen Herzattacke und
Schnarchschlaf, seine
wenigen wachen Momente bestehen allein aus dem erwartungsvoll
ängstlichen
Aufschrei „Der Feind! Der Feind!“, neben ihm der gleichermaßen
senile wie
lüsterne Baron Puck. Hinzuerfunden sind andere Politschranzen wie
ein
Pressesprecher, der kaum drei Worte ohne zu stottern herausbekommt, ein
schleimiger Privatsekretär und einige Damen, die allein durch
schiere
Anwesenheit das Interieur dekorieren. Karikaturen von Typen, die ebenso
die
Salons des Second Empire zur Offenbachzeit bevölkert haben
mögen, wie sie auch
auf der öffentlichen Szene heutzutage zu besichtigen sind. Auch
die Großherzogin taucht schließlich auf, zuerst in der
Modeboutique, wo sie ein
Kostüm in Nato-oliv und Tarnmuster probiert, bis sie sich doch
für die Festrobe
mit Orden und Schärpe entscheidet. Auch dem Waffenladen stattet
sie einen
Besuch ab, ehe sie sich den Regierungsgeschäften eine Etage
höher zu widmen
entschließt. Man schaut also erst einmal 10 Minuten nur zu, mit
wem man es in
der Handlung zu tun bekommt. Dann
kommt aber auch der Moment des Dirigenten, der (erste Panne)
verspätet
eintrifft, in der Uniform eines Offiziers ungelenk in den Graben
klettert und
mal gleich das falsche Stück intoniert, nämlich statt der
Ouvertüre Offenbachs
diejenige zum „Tannhäuser“ des wenige Jahre zuvor in Paris
ausgebuhten Richard
Wagner (zweiter Fauxpas). Man ahnt: In diesem Staat läuft ziemlich
viel
ziemlich gründlich ziemlich verkehrt. Doch
dann beginnt die Realität der Operette: Ein Krieg muss her. Und da
ist die Großherzogin ganz in ihrem
Element.
Persönlich singt sie das Regimentslied und weil sie einen der
Soldaten so ganz
besonders liebt, befördert sie ihn innerhalb von wenigen Minuten
durch alle
Ränge hindurch vom Fähnrich zum General. Getroffen hat es den
eher schlichten
Fritz, der sich aber eigentlich allein nichts sehnlicher wünscht
als sein
kleines persönliches Glück mit Wanda. Fritz muss aber jetzt
in den Krieg und ihn
auch noch befehligen. Der simplen Strategie des entmachteten Generals
Boum
setzt er seine geniale Idee entgegen, den Feind mit Freibier zu
entwaffnen (was
auch gelingen wird). Auf den Sieg wird schon jetzt reichlich mit
Champagner
angestoßen und dann zieht auch die Soldatenkapelle aus dem Graben
hinaus ins
Feld. Bis
hierher reicht bei Offenbach der erste Akt. Doch bei Marthaler
hört Offenbach
hier schon wieder auf. Die Handlung der beiden weiteren Akte spart er
sich ein.
Damit entfallen Offenbachs grandiose Opernparodien wie die ganze
Verschwörungsgeschichte und auch die Szene der umständlichen
Liebeserklärung
der Großherzogin an Fritz. Stattdessen wendet Marthaler nun das
Geschehen von
der komödiantischen in eine melancholische Atmosphäre um. Vom
effektvollen
Offenbach wechselt die Musik zur Innigkeit von Händel (Arie der
Cleopatra
„Paingerò la sorte mia“) und Brahms („Ihr habt nun Traurigkeit“
aus dem
Requiem), was nur noch vom Klavier und einem einsam verbliebenen
Cellisten
begleitet wird. Bei dieser Musik kippen in berührenden rund 30
Minuten das
Hurrahgeschrei und die Champagnerlaune um in die Tristesse der
Zurückgebliebenen, die das Verlangen nach Hochprozentigem nach
sich zieht. Auf
den Taumel der Begeisterung folgt das Delirium der
Schmerzbekämpfung. So endet
die Szenerie in tiefer Depression und Einsamkeit der
Großherzogin. Die Komik
der Operette setzt sich in der Absurdität der Groteske fort. Und
das geht weit
über solche Unterhaltung hinaus, bei der sich die Karikierten noch
über sich
selbst amüsieren können. Wesentlich
lebt diese Inszenierung durch die Trägerin der Hauptrolle. Anne
Sofie von Otter
hatte in den Achtziger Jahren ihre
Karriere am Basler Theater begonnen und kehrte für die
Großherzogin nun
bravourös hierher zurück. In Marthalers Regiekonzept kann sie
die Facetten
ihrer Gesangskunst weit entfalten. Offenbach ist für sie kein
unbekanntes
Metier. Der ironisch-leichte Ton kommt ihr selbstverständlich
über die Lippen.
Doch auch die filigranen, gefühlvollen Seiten der anderen Musik
dieses Abends
sind Anne Sofie von Otter wie in die Kehle gelegt. Und auch allein
schauspielerisch ist ihre Präsenz großartig. Auch das
übrige Ensemble trägt mit
Verve zum Gelingen bei. Dass hier selbst der Dirigent zum Komiker
werden kann,
ist der offensichtlich ausgeprägt komödiantischen Ader von
Hervé Niquet zu
danken. Aber auch sonst ist er ein großer Gewinn und führt
das
kammerorchesterbasel nicht nur in eine erfolgreiche Schlacht, sondern
auch mit
viel Esprit und Witz durch Offenbachs Partitur. FazitAm Schluss teilte sich das Publikum
etwa gleichmäßig in Ablehnung und Begeisterung. Marthaler
hat zwar nur zum Teil
Offenbach inszeniert, aber gleichzeitig die Tendenz des Werks nicht nur
kreativ
paraphrasiert, entwickelt und gewendet, sondern auch eine Szenerie voll
sprühenden, geistreichen Witzes entworfen, die an keiner Stelle
etwa ins Banale
abgleitet und auch jede plakative Aktualisierung vermeidet. So hat das
ganze
Team letzten Endes der Sache Offenbachs dann doch gedient.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Hervé Niquet Inszenierung Christoph Marthaler Bühnenbild Anna Viebrock Kostüme Sarah Schittek Chorleitung Henryk Polus Dramaturgie Brigitte Heusinger, Malte Ubenauf Chor
des Theater Basel kammerorchsterbasel Solisten Großherzogin Anne Sofie von
Otter Fritz Norman Reinhardt Wanda Agata Wilewska General Boum Christoph
Homberger Prinz Paul Rolf Romei Baron Puck Karl-Heinz
Brandt Privatsekretär Ueli Jäggi Pressesprecher Jürg
Kienberger Ein Pianist Bendix
Dethleffsen Waffen- und
Notenhändler Raphael Cramer Botschafterin Altea Garrido Honorarkonsulin Carina
Braunschmidt Boutiqueangestellte Karin Gamboni Continuo (Cello) Martin Zeller
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E-Mail: oper@omm.de
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