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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
Von Joachim Lange
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Fotos Bernd Uhlig
Es war Gerard Mortier, der die Brüsseler Oper La Monnaie in den 80er Jahren zu einem der führenden europäischen Opernhäuser machte. Er hatte nach einem Jahrzehnt seinen Ruf als innovativer Spitzenintendant weg, mischte in den 90er Jahren die Salzburger Festspiele auf, etablierte danach die RuhrTriennale und auch seine Zeit als Chef der Pariser Nationaloper wird wohl immerhin als ein ambitioniertes Zwischenspiel in die Geschichte dieses Hauses eingehen. Dass Mortier jetzt für die aktuelle Brüsseler Macbeth-Produktion aus Madrid (er nimmt dort gerade den großen Anlauf, der nötig ist, um mit dem Teatro Real durchzustarten) angereist war, konnte er sich nicht nur davon überzeugen, dass das Haus auch unter Peter de Caluwe immer noch ein hohes musikalisches Niveau mit szenischer Ambition verbindet. Wobei es für Caluwe nach den jüngsten Wahlen nicht einfacher werden dürfte, angesichts der explosiven innerbelgischen Politik, sein Haus auf Kurs zu halten. Auf der anderen Seite wollte Mortier aber sicher auch sehen, wie Krzystof Warlikowski mit Verdis Macbeth fertig wird. Er hatte dem polnischen Regisseur an der Bastille für seine heftig umstrittenen Inszenierungen den Rücken frei gehalten. Brüssel ist zum Abschluss der Spielzeit tatsächlich nicht nur ein szenisch, sondern auch ein musikalisch großer Wurf gelungen: Allen voran der erstklassige Macbeth von Scott Hendricks, bei dem zum betörenden Timbre und der unangestrengt wirkenden Stimmkraft ein präsentes darstellerisches Charisma kommt. Dass auch der Tenor Andrew Richards über beides verfügt, hatte er gerade mit seinem Stuttgarter Parsifal bewiesen er rückt jetzt mit diesen Tugenden seinen Macduff aus jedem Nebenrollenverdacht. Iano Tamar erweist sich eine großformatige, differenzierend gestaltende Lady Macbeth, und Carlo Colombara ist ein voluminöser Banco. Am Pult eines Orchesters in Hochform liefert Paul Daniel genau das richtige Maß von mitreißendem und erschreckendem Verdi-Klang. Banco und Macbeth, hinten die Hexen als eine innere Projektion des Ehrgeizes des beiden Männer
Warlikowski erzählt die Geschichte konsequent aus der Perspektive von Macbeth, und er holt sie dabei ins exemplarische Gegenwärtige. Und obwohl Videodoppelungen der Szene eingesetzt werden, wird das Ganze nie platt, sondern besteht auf einer eigenen assoziationsoffenen Ästhetik. Kinder beherrschen die Alpträume dieses Macbeth. Seine zweite Begegnung mit den Hexen wird zu einer zweiten Bankett-Szene mit seltsam aus der Zeit und ihrem Leben gefallenen Kindern. Die Botschaft der Hexen donnert ohnehin vom obersten Rang, ist also trotz (oder eigentlich gerade wegen) der raumfüllenden Wucht des exzellenten Chores, wie beim ersten Mal, nur eine innere Stimme. Auch da waren merkwürdige unwirkliche Frauen wie Freudenmädchen des Bösen nur Projektionen von Macbeth Ehrgeiz. Beim zweiten Auftritt der Hexen nehmen Kinder mit alt gewordenen Gesichtern die Plätze an der Feststafel ein, um lauter wie Speisen servierte Puppen zu zerfetzen. Die Lady und ihr Mann
Mit einem ähnlich riskant suggestiven Bild bewältigt der Regisseur eine weitere Klippe, in der jede Macbeth-Inszenierung ins unglaubwürdig Kitschige kippen oder tief bewegen kann. Beim großen Chor über das geknechtete Vaterland nämlich, da kommen wieder lauter Kinder und produzieren, traumverloren, nichts als Seifenblasen. Man ahnt schon am Blick der Mutter, dass es nicht nur Milch ist, die diese in elegantem Schwarz auftretende Lady Macduff, die schon beim Bankett dabei war, da den (ihren?) Kindern verabreicht. Am Ende werden sie allesamt tot von diesem Schlachtfeld getragen. Kindermord aus Nächstenliebe. Schlimmer kann die Diagnose über einen gesellschaftlichen Zustand kaum ausfallen. Für die Geschichte vom Verschwinden selbst der letzten Skrupel in kriegereschen Zeiten hat Ausstatterin Malgorzata Szczesniak ein Raum geschaffen, dessen Charme zwischen zweckentfremdeter Turn- oder Werkhalle changiert, auf jeden Fall aber vom historischen Schottland beklemmend dicht an unsere Gegenwart heranholt wird. Dabei greift Warlikowski aber nicht auf den medialen Bildervorrat zurück, der auch heute tagtäglich mit Nachschub versorgt wird, sondern illustriert die Latenz von Grenzüberschreitungen als persönliche, sexuelle Obsessionen. So, wenn etwa die Helfer von Macbeth aus ihren männlich fixierten Rollenbildern aussteigen, wie Transvestiten durch die Traumwelt geistern und ihnen am Ende unter einer Ganzkörper-Plastetüte die Luft ausgeht. Banco
Ob Macbeth nun wirklich vom Schlag getroffen im Rollstuhl endet oder Macduff als großer Rächer und Held für den Showdown mit eingeölter Heldenbrust, offenem langen Haar und ausgewickeltem Beil ein letztes Mal zuschlägt oder nicht, bleibt im Grunde gleich. Der starre Breitbandvorhang, der sich am Ende nicht ganz bis nach unten senkt, gibt einen andeutenden Blick auf die Anfangskonstellation frei. Ändern wird sich nichts in diesem Schottland, das eigentlich die menschliche Natur ist.
Mit diesem Macbeth ist der Oper in Brüssel musikalisch und szenisch ein Wurf gelungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Video
Chor
Solisten
Macbeth
Lady Macbeth
Banco
Macduff
Malcolm
Dame di Lady Macbeth
Servo / Medico / Araldo
Sicario
Apparizione
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