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Eine Chinesische Liaison
Von Joachim Lange
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Fotos © Forster / © Zhang Huan Studios
Ausflüge bildender Künstler auf die Opernbühne sind längst keine Seltenheit mehr. Und da man heutzutage ganz selbstverständlich alte Stoffe ohnehin von der Erfahrungs- und Bilderwelt der Gegenwart aus liest, ist auch der Blick durch eine fremde kulturelle Brille nur konsequent. Dass La Monnaie Chef Peter de Caluwe die Spielzeit mit einer Neuproduktion von Händels Semele eröffnet, passt in dessen Jubiläumsjahr. Dass er sie aber dem Opernneuling Zhang Huan anvertraut, macht den ja im Barock ohnehin schon ziemlich universellen Händel unversehens zum szenischen Stichwortgeber für einen kulturellen Globalisierungsversuch auf der Opernbühne. Zhang Huans Skulptur grüßt vor der Brüsseler Oper (Foto: ©Zhang Huan Studios)
Zhang Huan wurde mit fast schon masochistischen Performences bekannt, brachte etwa Stunden mit Honig beschmiert in einer öffentlichen Toilette zu, hat längst in Venedig Biennale-Weihen und das Privileg der Außenwirkung jenseits des modischen Kunstexportbooms aus dem Reich der Mitte. Er ist daheim und im Westen etabliert. Für sein Operndebüt hat der 44jährige Allroundkünstler nicht nur einen verrenkten Riesenbudda, der seinen Kopf unter dem Fuß auf den Boden drückt, vor die Brüsseler Oper gesetzt, sondern vor allem einen 450 Jahre alten, originalen Tempel aus der chinesischen Provinz auf die Bühne gestellt. Der hatte als profan eingemauertes Wohnhaus selbst die Kulturrevolution überdauert. Er hat ihn der letzten Eigentümerin abgekauft, freigelegt, in seinem Shanghaier Atelier wieder aufgebaut und nach Brüssel verfrachtet. Und zwar tatsächlich (mit Sponsorenhilfe) im Original und nicht als Kulissenkopie. Semele entschwebt über dem Dach des Tempels (Foto: © Forster)
Mitten in Europa nun beglaubigt das bühnenfüllende Balkengerippe ohne Dachziegel erstaunlich kraftvoll seine eigene Authentizität jenseits aller Folklore. Ja es wird zu einem erstaunlich barockkompatiblen Hauptakteur. Weil seine reale Geschichte als Film zur Ouvertüre erzählt wird. Und, weil die Ingredienzien von Jupiters Lovestory mit Semele, samt seiner geilen, göttlichen Maskeraden, der eifersüchtigen Gattin, der finalen Verwandlung Semeles in eine Flamme, also der ganze Theaterzauber, auch auf Chinesisch nicht zusätzlich verwirrt, sondern stringent funktioniert. Mit seiner Semele hatte sich der Opernkomponist Händel 1744 nur dürftig getarnt in die Gattung des Oratoriums geflüchtet, und sich so nicht nur den Broterwerb, sondern auch ein ununterbrochenes Nachleben als live aufgeführter Tonsetzer gesichert. Längst haben nachhaltige Händelrenaissance und funkelnder Barockboom den nicht ganz freiwilligen Marktanpassungs-Schwenk des deutsch-englische Operngenies wieder zurückgenommen und behandeln Semele als Musiktheater. Auch Zhang Huan hält das so. Links Semele, in der Mitte Juno im intrigierenden ikognito als Schwester Semeles und rechts Cadmus (Foto: © Forster)
Mit einem Personal, das Modedesignerin Han Feng in einen Mix aus historisch stilisierter, asiatischer und europäischer Kostümpracht gesteckt hat. Mit einer im Licht changierenden Atmosphäre von Sehnsucht, Intrige, Lust und Verzweiflung. Der Theaterzauber, der dabei mit einer brennenden Tempelglocke, der durch die Lüfte fliegenden Semele, einer mongolischen Vokalistinnen-Einlage, zwei aufeinander platschenden Sumoringern und einem göttlichen Drachen entfaltet wird, überdeckt zugleich manche Unbeholfenheit beim Aufmarsch der Priester, die auch mal ihre orangenen Gewänder für eine etwas aufgesetzte Liebesszene ablegen, oder die konventionelle Arien-Präsentation an der Rampe. Dabei vermögen die beiden chinesischen Protagonistinnen, Yiang Huang als wunderbar koloraturleichte Semele und Ning Liang als die mit fundiertem, boshaften Furor wütend intrigierende Göttergattin Juno, eine chinesische Sicht auf den europäischen Barock zu beglaubigen, der dem ganzen Unternehmen bei der geplanten Verlegung nach Peking und Shanghai sicherlich den rechten Rückenwind geben kann. Auch sonst wurde auf hohem Niveau gesungen. Semele soll heiraten, denkt aber an einen anderen - und was für einen (Foto: © Forster)
Jeremy Ovenden überzeugte als Schwerenöter Jupiter ebenso wie David Hansen als von Semele verschmähter Bräutigam Athamas (da half ihm auch seine Romeo -Aufmachung nichts), Nathan Berg beim Priesterauftritt als Cadmus und als aufs Dach verfrachteter Schlafgott Somnus und Sabina Puertolas als sprudelnde Iris. Dazu lieferte Christophe Rousset mit seinen Talens Lyriques inspirierten Originalklang-Händel vom Feinsten. Am Ende liefert dann Zhang Huan eine überraschend gegenwärtige Pointe: Da vergeht die so menschlich neugierige Semele nämlich nicht als Flamme, sondern ein projiziertes Aschebild zerläuft in Regen und Blut, während die Priester, an Stelle des Finales, die Internationale wie eine ferne nostalgische Melodie summen und etwas zu Grabe tragen, das gut die rote Utopie sein könnte. Dann kommt der große Regen, auch durchs Tempeldach, während eine Frau mit Kind auf dem Rücken, wie zu Beginn, ganz prosaisch den Boden fegt.
Die Oper La Monnaie in Brüssel hat die Saison mit einem ambitionierten Opernprojekt begonnen, das eine glaubhafte Begegnung verschiedener Kulturen mit hohem musikalischen Niveau vereint und der Hauptstadt Europas gut zu Gesicht steht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht
Chor
SolistenJupiterJeremy Ovenden
Cadmus
Somnus
Semele
Ino/Juno
Athamas
Iris
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E-Mail: oper@omm.de