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b.02
Kunst der Fuge


Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Johann Sebastian Bach
(Die Kunst der Fuge BWV 1080)


Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere am 5. Dezember 2009 im Theater Duisburg
Übernahme-Premiere am 19. Dezember 2009 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 23. Dezember 2009 im Opernhaus Düsseldorf)


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Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Ein Tanzuniversum vermessen

Von Stefan Schmöe

Er wolle nicht Bachs Kunst der Fuge deuten, erklärt Düsseldorfs neuer Ballettchef Martin Schläpfer im Programmheft, er wolle „einen Theaterabend, keinen Kunst-der-Fuge-Abend“ gestalten. Dabei scheint Bachs sperrige Komposition nicht gerade nach einer tänzerischen Ausgestaltung zu verlangen, ist in mancher Hinsicht mehr „Kopfmusik“, theoretisches Konstrukt als spielbare Partitur. Nicht einmal die Besetzung ist klar, hat Bach es doch beim Niederschreiben der einzelnen Stimmen belassen und möglichen Interpreten die Freiheit zugemutet, daraus eine Aufführung zu entwickeln – wenn ihm denn überhaupt daran gelegen war. Ein Durchdeklinieren von Kompositionstechniken, ziemlich anachronistisch schon zu seinen Lebzeiten. Und dazu soll getanzt werden?

Die formalen Schwierigkeiten, die sich aus dem hohen Abstraktionsgrad und der strengen Satztechnik ergeben und erst einmal einem „emotionalen“ Zugang widersetzen, hat Schläpfer auf geradezu geniale Weise gelöst. In seiner Choreographie, die er 2002 für das Mainzer Ballett entwickelt und an den Rhein mitgebracht hat, dominiert ein auf den ersten Blick eine „sachliche“, auf formal tänzerische Elemente beschränkte Ebene. Es gibt keine Handlung, die den Abend durchzieht. Die Folge von Fugen und Kanons der Komposition gibt die Grundstruktur vor, wonach der zweistündige Abend in viele kleine Einheiten eingeteilt ist. Schläpfer hält aber jederzeit den Spannungsbogen, sodass die Teile ineinandergreifen. Und auch wenn die einzelnen Sätze der Musik oft Entsprechungen in der Choreographie finden, sind hier keine „Charakterstücke“ entstanden, sondern eine Abfolge von Szenen, die ähnlich streng wirkt wie die Musik, sich aber auch von dieser emanzipiert, an einigen Stellen bewusst andere Zäsuren setzt, die auf eigene Weise mit der Komposition korrespondieren. Deutlichstes Beispiel: Im Contrapunctus 11 gehen die Tänzer mitten im Stück ab, das Saallicht geht an, die Türen werden zur Pause geöffnet – eine abbrechende Choreographie, die man als Gegenstück zur abbrechenden Musik in der unvollendeten letzten Fuge verstehen kann. Auf raffinierte Weise werden an vielen Stellen Symmetrieprinzipien der Musik in der Choreographie spielerisch aufgegriffen, reflektiert und umgedeutet.

Auf das Spektrum der kompositorischen Möglichkeiten, die Bach in der Kunst der Fuge darstellt, reagiert Schläpfer mit einer entsprechenden Bandbreite tänzerischer Ausdrucksformen vom klassischen Ballett bis zum Modern Dance. Zu den bewundernswerten Dingen dieses Abends gehört auch, dass nie der Eindruck einer tänzerischen Leistungsschau entsteht, sondern jede Aktion und jede Geste aus künstlerischer Notwendigkeit legitimiert ist. In der souveränen Handhabung dieser Mittel zeigt sich Schläpfer dem großen Komponisten gewachsen. Verschiedene Tanzstile gehen gleitend und mit größter Selbstverständlichkeit ineinander über, wobei nach einer Drehung ein plötzliches Lächeln eines Tänzers für einen kurzen Moment die Stimmung völlig verändern kann. Das sind allerfeinste Bedeutungsnuancen, in denen sich die unendliche Vielfalt dieser Musik widerspiegelt und die doch ganz eigenständig sind.

In einer Szene defilieren die Tänzer wie in einer Modenschau, in einer anderen gibt es einen japanischen Dialog, von dem das Publikum nur anhand der Gestik eine Vorstellung bekommt. Diese Momente sind dem Tanztheater verhaftet, scheinen relativ konkret kleine Geschichten zu erzählen. Andere Szenen bleiben abstrakter, formaler, und auch darin hält Schläpfer die Balance zur Musik: Eine Deutung jenseits des rein Tänzerischen ist vorstellbar, aber nicht real greifbar. Hier wird mit den künstlerischen Möglichkeiten, die vorhanden sind, ein Universum vermessen. Das geschieht teilweise sehr dynamisch, fast sportlich und mitunter akrobatisch, dann wieder sehr zart, manchmal in klassischen Formen (die oft umgehend wieder aufgelöst oder durchbrochen werden). Immer jedoch mit großer Virtuosität und auf hervorragendem technischen Niveau – und immer mit einer außerordentlichen Intensität bis ins kleinste Detail. Am besten sieht man sich diese Choreographie mehrfach an, um die Fülle an Ideen zu erfassen.

Genial ist auch die Ausstattung. Die Bühne wird von einer halbrunden Wand begrenzt, auf der Farbbänder entlang laufen – blau, gelb, rot, unscharf abgegrenzt durch ein dazwischen verlaufendes Schwarz (Bühne: Thomas Ziegler). Je nach Beleuchtung wirken die Farben matt und erschöpft oder lodern geradezu magisch auf (Licht: Franz-Xaver Schaffer). Daraus ergibt sich ein ganz eigener Spannungsbogen. Die Kostüme (Catherine Voeffray) bestehen aus sehr feinen, auch sehr durchsichtigen Spitzenstoffen, die eine große Körperlichkeit vermitteln, gleichzeitig aber auch fragil und verletzlich scheinen und den Tänzern auch etwas Irreales, nicht Greifbares verleihen.

Die Musik kommt (in exzellenter Tonqualität) vom Band. Schläpfer hat Einspielungen in unterschiedlicher Instrumentation zusammengestellt, die aber auch wieder einem strengen Plan folgen. Die „einfachen“ Fugen und die Kanons werden vom Streichquartett gespielt, Gegen- und Spiegelfugen vom Cembalo, die Doppelfugen vom Blockflöten- bzw. Saxophonquartett, die abschließende Tripelfuge vom Klavier.

Um auf den Anfang zurück zu kommen: Kein Kunst-der-Fuge-Abend? Doch, unbedingt. Denn hier gelingt es, den Geist der Komposition mit den Mitteln des Tanzes so treffend auf der Bühne umzusetzen, dass Choreographie und Musik ihre Autonomie behalten und sich doch gegenseitig befruchten. Man hört die Musik anders, wenn man diese Choreographie gesehen hat. Auch deshalb ist es ein ganz großer Theaterabend.


FAZIT

Hochintelligentes, hervorragend getanztes Ballett mit einer ungeheuren Assoziationsfülle, das einen immer wieder staunen lässt und viel zu schnell vorbei geht. Unbedingt ansehen, am besten mehrmals.


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Produktionsteam

Choreographie
Martin Schläpfer

Bühne
Thomas Ziegler

Kostüme
Catherine Voeffray

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Ballettmeisterinnen
Kerstin Feig
Monique Janotta

Dramaturgie
Anna do Paco

Ballett am Rhein


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Feline van Dijken
Carolina Francisco Sorg
Carrie Johnson
Yuko Kato
Anne Marchand
Carly Morgan
Louisa Rachedi
Julie Thirault
Anna Tsybina

Helge Freiberg
Niels Funke
Callum Hastie
Antoine Jully
Sonny Locsin
Bogdan Nicula
Ordep Rodriguez Chacon
Alexandre Simões
Pontus Sundset
Maksat Sydykov
Jörg Weinöhl




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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