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Tutto nel mondo è burla!
Von Ursula Decker-Bönniger /
Fotos von Bettina Stöß / Stage Picture In Verdis letztem Werk, der im Februar 1893 in Mailand uraufgeführten Opera buffa Falstaff ist Ritter Sir John Falstaff verarmt und in die Jahre gekommen. Und dennoch ist die Lebens- und Liebeslust dieses urwüchsigen Don Juan, sein Schwärmen für die Frauen vermögender Bürger ungebrochen. 3.Akt, Falstaff (Jacek Strauch) als geschmückter Stier mit dem Symbol der Liebe Die symbolaufgeladene und vielschichtige Dortmunder Neuinszenierung von Beverly Blankenship präsentiert den dicken Genussmenschen als Charakter aus dem ritterlichen Mittelalter, als Außenseiter, dem nicht ein Wirt, sondern ein Bratwurst-Straßenverkäufer die Rechnung über genossene Speisen und Getränke präsentiert. Unverbunden an seiner Seite prangt vor kobaltblau leuchtender, schwarz gefleckter Wand die spießbürgerliche Gesellschaft: Bühnenbildner John Lloyd Davies hat symbolhaft ein stilisiertes Austellungsmodell mit Garten und Fachwerkhäuschen konstruiert, das im zweiten Bild als vergrößertes Modell die Garten- und Spielwiese der Familie Ford darstellt. Zusammen mit einem überdimendionalen, gestreiften, vom Bühnenhimmel hängenden Segel und den auf der verkleinerten Bühne agierenden Protagonisten entstehen auf Licht- und Farbwirkung bedachte ästhetische Gesamtbilder. Sie sind an die absurde, groteske Bildersprache des niederländischen Künstlers Teun Hocks oder des Kolumbianers Fernando Botero angelehnt, eine Bildersprache, die verschiedene Welten, Perspektiven und Größenunterschiede mischt. 1.Akt, Pistola (Marco Spehar), Falstaff (Jacek Strauch) und Bardolfo (Hannes Brock)Diese Bilder hinterlassen oft Staunen und Verwunderung, manchmal auch melancholische Gefühle für Ritterlichkeit und urige Charaktertypen zum Beispiel wenn Falstaff im zweiten Akt den Helm mit roten Federn geschmückt einem Oldtimer-Rolls Roys entsteigt (Ford erscheint mit einem Fahrrad!) und unter seinem weißen Dandy-Jackett das Kettenhemd glitzert oder wenn im dritten Akt der dreiste Schwerenöter in die Enge getrieben und nicht von Kobolden, Luftgeistern und Teufeln gepiesackt wird sondern von aufgeblähten, massigen Gartenzwergen, die ihre barocke, erotisch-sinnliche Körperlichkeit im Nacktkostüm präsentieren. Gewürzt wird die Darbietung mit vielen, kleinen, burlesken Spielereien. Wenn eifersüchtige Ehemänner im zweiten Bild des ersten Aktes den Ford-Garten hektisch umradeln, wenn Meg, Alice und Quickly sich kurze Zeit später während der kurzen Liebesszene von Nannetta und Fenton über den Gartenzaun beugen und dem Zuschauer ihr Hinterteil präsentieren oder die hochschwangere Meg am Ende der Oper einen kleinen Gartenzwerg in ihren Armen wiegt. Musikalisch ist das Werk des fast 80-jährigen Verdi ein Genuss, vor allem wenn die Musik in den Ensembles und Ensembleszenen die verschiedenen Spielelemente, Motive, die gegensätzlichen Interessen der Protagonisten zusammenführt, kommentiert und vorantreibt. Und Jac van Steen gestaltet den großen, durchkomponierten Musikfluss durchsichtig, buffonesk beschwingt ohne den melodischen Einfällen, den lyrischen Partien z.B. von Fenton und Nannetta oder dem Eifersuchtsausbruch eines Ford zu wenig Raum zu lassen. Hinzu kommt ein spielfreudiges Solistenensemble, das seine komischen Figuren so präsent darstellt, dass Gesang und Schauspiel zu verschmilzen scheinen. 2.Akt, Fords Besuch bei Falstaff Der britische Bariton Jacek Strauch ist ein wunderbarer, in seiner Rolle aufgehender Schauspieler und nuancenreicher, warmer, vollmundig timbrierter Falstaff mit dramatischen Ausbrüchen und ebenso glaubwürdig gestalteten lyrischen Momenten. Simon Neal charakterisiert überzeugend den außer sich geratenen Ehemann Ford. Andrea Rieche als Mrs. Quickly übermittelt Falstaff ein tiefgründiges, klangsinnliches Reverenza, während Maria Hilmes als Mrs. Meg Page und Christina Rümann als Mrs. Alice Ford vor allem die lyrisch leichte, lebenslustige Seite der Windsor-Weiber verkörpern. Julia Amos stellt eine jugendlich leuchtende, liebliche Nannetta dar, während Craig Berminghams Tenor als Fenton an ihrer Seite mitunter etwas mehr Wärme und Beweglichkeit gut getan hätten. Stephan Boving ist ein textverständlich singender, aufgebrachter Dr. Cajus, Hannes Brock als Badolfo und Marko Spehar reumütige und rebellische Diener Falstaffs. Einziger kleiner Wehrmutstropfen in dieser Premiere waren die lang anhaltenden Umbauphasen zwischen den verschiedenen Bildern. FAZITWitzige und hintergründige, musikalisch starke Interpretation von Verdis Altersmeisterwerk. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten VorstellungFalstaff Jacek Strauch
Ford
Fenton
Dr. Cajus
Bardolfo
Pistola
Mrs. Alice Ford
Nannetta
Mrs. Quickly
Mrs. Meg Page
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