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Das Kunstwerk Frau
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu Alles dreht sich um Lulu, dabei ist sie nie wirklich greifbar. Eine sehr attraktive junge Frau, aber keine femme fatale: Sie muss nur durch den Raum spazieren, und schon bringen die Männer sich um. Sie macht keine großen Gesten, ist keine Carmen, die ihre Reize offen ausspielt; sie ist wie ein Fantasiegebilde, der Erde entrückt und mit sich selbst beschäftigt. Sängerin Julia Bauer macht das szenisch wie musikalisch großartig, zart und sehr elegant, mit einer kleinen, mädchenhaften Sprechstimme (die vom Komponisten ja immer wieder gefordert wird), mit leichter, sehr beweglicher Singstimme (die auf der großen Essener Bühne mitunter unterdimensioniert wirkt, was der szenischen Gestaltung aber sogar entgegen kommt), versiert in den Koloraturen und jederzeit souverän. In den schönsten Momenten bekommt das Piano etwas Ätherisches, leicht Unterkühltes. Dann ist diese Lulu endgültig nicht mehr von dieser Welt. Dann ist sie ganz Kunst. Lulu (Julia Bauer) und der Maler (Andreas Herrmann)
Regisseur Dietrich Hilsdorf hat sich von Bühnenbildner Johannes Leiacker ein riesiges Atelier auf der Bühne bauen lassen, frühes 20. Jahrhundert, mit grauen Heizkörpern und modrigem Fabrikcharme. Mit ein paar Umbauten lassen sich darin alle Räume des Stücks darstellen: Atelier und Salon des Malers sowieso, durch einen Vorhang und eine Bühne dahinter ist die Theatergaderobe des dritten Bildes umrissen (eine Tanzperformance im Atelier das ist durchaus plausibel), die Wohnung Dr. Schöns ist mit ein paar veränderten Möbeln hergestellt, das trostlose Schlussbild in der Dachwohnung zeigt dann den fast leeren Raum. Faszinierend sind die großformatigen Bilder Lulus, die einzelne Körperpartien zeigen, blutüberströmt. Schon für sich allein genommen entwickeln diese Raumvariationen große Bildwirkung, scheinen dazu nahe an der Vorlage zu sein, bevor sie nach und nach ihre Doppelbödigkeit zeigen. Überhaupt sieht es lange danach aus, als wolle der Regisseur vor allem werktreu die Geschichte nacherzählen (mit ein paar kleinen Eingriffen in die Handlung - so ist Dr. Schöns Verlobte im Raum anwesend, wenn er schriftlich die Verlobung aufkündigt), behutsam modernisiert zwar, aber mit fast filmischer Genauigkeit in den Abläufen. Die etwas undurchsichtige Handlung plausibel zu machen, ist ja erst einmal nicht der schlechteste Ansatz (wobei manche Szenen etwas mehr Witz haben dürften). Allerdings durchbricht Hilsdorf diesen Realismus, indem er zwischen den Bildern einen Vorhang hinunterfahren lässt, auf dem per Videoeinspielung genau das gezeigt wird, was hinter diesem Vorhang passiert: Nämlich hektische Bühnenumbauten. Das ist ein raffiniertes Spiel mit Realität und Täuschung (und Schlusspointe). Auch wird der Zuschauerraum hin und wieder in das Spiel einbezogen. Lulu und Dr. Schön (Heiko Trinsinger)
Die metaphorische Ebene wird nach und nach gegen Ende freigegeben. Das eigentliche Kunstwerk ist nicht das Bild der Frau, sondern die Frau selbst. So stehen am Schluss alle Herren, auch die zuvor schon einmal gestorbenen, um Lulu herum, der Maler schneidet Lulu die Kehle durch, dann treten die Herren gemeinsam an die Rampe. In Essen spielt man die unvollendete Fassung des Werks; anstelle des von Berg nur skizzenhaft hinterlassenen dritten Akts (der 1979 durch Friedrich Cerha fertig ausinstrumentiert wurde) treten die symphonischen Stücke, die Berg bereits in der Lulu-Suite veröffentlicht hatte, sowie die auskomponierten Schlussworte der Gräfin Geschwitz. Die Oper wirkt mit dieser pantomimischen Schlusslösung keineswegs unvollendet; das Verstummen, die Sprachlosigkeit der Titelfigur hinterlässt großen Eindruck auch weil hier endgültig das Orchester die Initiative übernimmt nachdem Hilsdorf zuvor durchaus auch die reinen Sprechszenen pointiert hatte. Lulu und Alwa (Thomas Piffka)
Stefan Soltesz am Pult der hervorragend disponierten Essener Philharmoniker interpretiert die Musik sehr stark romantisch, schleift dabei die eine oder andere moderne Ecke und Kante ab. Dadurch bekommt diese Zwölftonmusik eine stellenweise überirdische Schönheit. Der Klang ist dabei nie dick, sondern kammermusikalisch transparent und sehr biegsam. Die Musik ist immer im Fluss, eine unendliche Melodie. In gewisser Hinsicht entschärft das die Aussage der Inszenierung, mildert die Härten des Stücks. Auf der anderen Seite erlebt man selten Aufführungen, die musikalisch wie szenisch so fesselnd sind. Lulu und Schigolch (Günter Kiefer)
Das Sängerensemble ist ohne große Schwächen, aber (von oben bereits erwähnten Julia Bauer in der Titelpartie abgesehen) auch ohne besondere Glanzlichter. Heiko Trinsinger singt einen soliden, recht hellen Dr. Schön, dem aber das Abgründige fehlt, dass den Gewaltmenschen ausmacht. Thomas Piffka imponiert als Alwa mit strahlendem und kraftvollem Tenor im hymnischen Schluss des zweiten Aktes und bewältigt die Partie auch ansonsten sicher, allerdings bleibt die Stimme oft recht farblos. Almas Svilpa gibt einen auch stimmlich kraftvollen, aber nicht kraftmeiernden Athleten, Andreas Herrmann geht mit seinem leichten lyrischen Tenor als Maler an seine stimmlichen Grenzen, verleiht der Figur aber ein durchaus überzeugendes verzweifeltes Profil. Ziemlich unauffällig bleibt die Gräfin Geschwitz, für die Bea Robein zwar schöne, aber doch etwas dünne Töne aufbietet. Sehr solide ist der Schigolch von Günter Kiefer, der aber als Kontrast zu den anderen Personen noch poltriger sein dürfte. Aufhorchen lässt der leuchtend intensiv schmachtende Gymnasiast von Ieva Prudnikovaite.
Eine sehr konzentrierte und mitreißende Interpretation, die sicher keinen neuen Blick auf das Werk frei gibt, ihrem Sujet aber mit großen Bildern gerecht wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Dramaturgie
Solisten
Tierbändiger / Athlet
Alwa
Dr. Schön
Lulu
Walter Schwarz, Maler
Dr. Goll, Medizinalrat
Schigolch
Gymnasiast
Prinz / Kammerdiener
Gräfin Geschwitz
Theaterdirektor
Gaderobiere (hier: Schöns Verlobte)
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