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Musiktheater
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Le Grand Macabre

Libretto von Michael Meschke und György Ligeti
Nach Michel de Ghelderodes Schauspiel La Balade du Grand Macabre
Musik von György Ligeti

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden (keine Pause)

Premiere am 30. Januar 2010

Logo: Theater Freiburg

Theater Freiburg
(Homepage)

Vor dem Ende ist nach dem Ende

Von Joachim Lange / Fotos von Maurice Korbel

Es ist eine große apokalyptische Show. Denn dieses schräge Breughelland, das György Ligeti Michel de Ghelderodes Schauspiel „La Balade du Grand Macabre“ nachgebildet hat, ist ein Sodom und Gomorra der Moderne, in dem es drunter und drüber geht. Mit einem ominösen Großen Makabren namens Nekrotzar, der den Weltuntergang via Kometen-Einschlag punktgenau vorhersagt. Worauf bei den seltsamen Breughelländern auch noch die letzten Hemmungen in Sachen sexueller Perversion oder politischer Groteske fallen. Alles treibt in einem musikalischen Tumult des Eklektizismus sondergleichen auf eine Katastrophe zu, die dann freilich nicht eintritt. Wohl, weil sie schon längst da ist.
Was in den Siebzigern, als Ligeti damit herausrückte, als provozierende Satire auf die Zeit und ihre Untergangsphantasien daherkam, muss sich heute immer mal wieder den Test auf seine Belastbarkeit über die gefühlte Existenzgefährdung der Hochzeit atomaren Todrüstens hinaus, gefallen lassen. So wie jetzt am Theater in Freiburg durch Calixto Bieito.

Vergrößerung Die Apokalypse droht

Obwohl sich der Katalane in seinen jüngeren Arbeiten längst vom notorischen Berserker zum stilistisch gezähmten Statthalter eines ambitionierten Musiktheaterrealismus gewandelt hat und sich damit wacker gegen eine mainstreamtaugliche szenische Unverbindlichkeit behauptet, hat er die Schock-Ingredienzien seiner Sturm-und-Drang-Jahre durchaus noch im Köcher. Und griffbereit. In Ligetis Weltuntergangsgroteske langt er jedenfalls kräftig zu. Rebecca Ringst hat ihm dafür eine Laufstrecke aus grobem Holz auf die Drehbühne gezimmert, auf der man im großen Bogen nach oben rennen kann. Oder nach unten, je nach Perspektive. In der Mitte gibt es einen großen Erdhaufen und aus dem Schnürboden hängen lauter Holzkreuze, die bei Bedarf aufleuchten. Den Rest besorgen Totenmasken, eine fahrbares Klosett für Piet vom Fass, ein Einkaufswagen für Plüschtiere und die verrückten Kostüme von Marian Coromina. Wobei das Liebespaar mit den sprechenden Namen Clitoria (Jana Havranová) und Spermando (Sang Hee Kim) noch am normalsten daherkommt.

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Breughelland - ein Sodom und Gomorra der Moderne

Und die ganze Aufregung ja sowieso nicht mitbekommt, weil es miteinander beschäftigt ist. Der Rest des Personals freilich treibt es exzessiv. Der beleibte, wunderbar komödiantische Patrick Jones langt nicht nur ins Klo, sondern landet auch schon mal kopfüber darin, behält aber auch braun verschmiert noch einen Rest von Clownswürde. Dass bald darauf ein aufgeblasener Riesenphallus nach seinem spuckenden Bühneneinsatz ins Publikum abschwirrt, dass der halbnackte Fürst nach der vermeintlichen Katastrophe von der erkletterten Mitte des Zuschauerraumes aus nach seinen Untertanen ruft, dass literweise Theaterblut fließt und ein wenig kanibalisiert wird – das versteht sich bei Bieito fast von selbst. Da wirkt es fast schon zahm, wenn die beiden Minister in ihrer Ratlosigkeit wie Angi und Guido daherkommen und aufeinander losgehen. Wenn sich aber Leandra Overmann als Domina Mescalina aus der Nonnenkluft pellt und ihren Astradamors in Nylons und Highheels (Jin Seok Lee) malträtiert – dann ist das ist eines jener Overmann-Bieito Duette, die nachhaltig in Erinnerung bleiben. Zumal die sich mit physischer Wucht und Stimmgewalt exemplarisch in die Rolle wirft.

Vergrößerung Mescalina (Leandra Overmann) und Nekrotzar (Gabriel Urrutia)

Musikalisch und sängerisch obwaltet ohnehin geradezu der Luxus. Das gilt für Jimmy Chiangs entfesselte Achterbahnfahrt mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg und den im ganzen Theater verteilten, fabelhaften Opernchor. Vor allem aber für die durchweg imponierenden Sängerdarsteller. Wobei da Gabriel Urrutia als diabolischer Showstar Nekrotzar und der halbseiden kettenbehangene Fürst Go-Go des fabelhaft stimmsicheren Counters Xavier Sabata herausragen. Übrigens wird dessen Einsatz in Freiburg durch die Mittel möglich, die über eine sogenannte Exzellence-Initiative, das auch dort klamme Budget aufbessert. Mit diesen zusätzlichen privaten Geldern, bei der die Kommune dann sozusagen als Ansporn und Belohnung noch einmal die Hälfte des Betrages drauflegt, kann sich ein längst herunter gespartes Haus mit B-Orchester eben, wie gegenwärtig einen Ring leisten und aufstrebende junge Sänger längerfristig in seine Ensemblearbeit einbeziehen. Für die laufende Spielzeit sind das immerhin noch einmal um öffentliche 100.000 aufgestockte 200.000 Euro. Immerhin wird durch diese spezielle Initiative, durch die nicht einfach der Kürzung öffentlicher Mittel durch private Gelder ersetzt werden, dem notorisch wütenden kommunalen Rotstift etwas Kreatives entgegengesetzt.

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Fürst Go-Go (Xavier Sabata)

Musikalisch machen die Freiburger also mehr als bella figura. Dass Bieito mit seiner Groteske die schauspielerischen Urinstinkte seiner Darsteller entfesselt und sie zu einer Gaudi mit Hintersinn animiert hat, war nicht zu übersehen. Bieito hat mit seiner Truppe auf das Absurd-Groteske draufgesattelt und seinem Affen Zucker gegeben. Die größere Herausforderung wäre es, sich gerade hier dem höheren Blödsinn entgegenzustemmen. Dass der Rückgriff auf seine derb deftigen Mittel heute zudem nicht mehr provoziert, sondern eher als Marke konsumiert wird, gehört zum Preis, den auch er für seinen eigenen Erfolg zahlen muss.


FAZIT

Dem Theater in Freiburg ist ein musikalisch hochkarätiger Ausflug in die Moderne gelungen, die auch szenisch aufs Ganze geht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jimmy Chiang

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Rebecca Ringst

Kostüme
Marian Coromina

Licht
Markus Bönzli

Choreinstudierung
Bernhard Moncado

Dramaturgie
Dominica Volkert


Statisterie des
Theaters Freiburg

Opernchor des
Theaters Freiburg

Zusatzchor: Studierende der
Hochschulen für Musik
Würzburg und Freiburg

Philharmonisches
Orchester Freiburg


Solisten

Nekrotzar
Gabriel Urrutia

Piet vom Fass
Patrick Jones

Clitoria
Jana Havranová´

Spermando
Sang Hee Kim

Mescalina
Leandra Overmann

Astradamors
Jin Seok Lee

Venus & Gepopo
Lini Gong

Fürst Go-Go
Xavier Sabata

Weisser Minister
Klaus Gerber

Schwarzer Minister
Matthias Flohr

Ruffiack
Sergiy Zinchenko

Schobiack
Leon Warnock

Das schwangere Mädchen
Felicitas Frische

Das Mädchen mit dem Fahrrad
Valentina Fetisova


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Freiburg
(Homepage)





Da capo al Fine

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