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Vor dem Ende ist nach dem EndeVon Joachim Lange / Fotos von Maurice Korbel
Es ist eine große apokalyptische Show. Denn dieses schräge Breughelland, das György Ligeti Michel de Ghelderodes Schauspiel La Balade du Grand Macabre nachgebildet hat, ist ein Sodom und Gomorra der Moderne, in dem es drunter und drüber geht. Mit einem ominösen Großen Makabren namens Nekrotzar, der den Weltuntergang via Kometen-Einschlag punktgenau vorhersagt. Worauf bei den seltsamen Breughelländern auch noch die letzten Hemmungen in Sachen sexueller Perversion oder politischer Groteske fallen. Alles treibt in einem musikalischen Tumult des Eklektizismus sondergleichen auf eine Katastrophe zu, die dann freilich nicht eintritt. Wohl, weil sie schon längst da ist. Obwohl sich der Katalane in seinen jüngeren Arbeiten längst vom notorischen Berserker zum stilistisch gezähmten Statthalter eines ambitionierten Musiktheaterrealismus gewandelt hat und sich damit wacker gegen eine mainstreamtaugliche szenische Unverbindlichkeit behauptet, hat er die Schock-Ingredienzien seiner Sturm-und-Drang-Jahre durchaus noch im Köcher. Und griffbereit. In Ligetis Weltuntergangsgroteske langt er jedenfalls kräftig zu. Rebecca Ringst hat ihm dafür eine Laufstrecke aus grobem Holz auf die Drehbühne gezimmert, auf der man im großen Bogen nach oben rennen kann. Oder nach unten, je nach Perspektive. In der Mitte gibt es einen großen Erdhaufen und aus dem Schnürboden hängen lauter Holzkreuze, die bei Bedarf aufleuchten. Den Rest besorgen Totenmasken, eine fahrbares Klosett für Piet vom Fass, ein Einkaufswagen für Plüschtiere und die verrückten Kostüme von Marian Coromina. Wobei das Liebespaar mit den sprechenden Namen Clitoria (Jana Havranová) und Spermando (Sang Hee Kim) noch am normalsten daherkommt. Breughelland - ein Sodom und Gomorra der Moderne Und die ganze Aufregung ja sowieso nicht mitbekommt, weil es miteinander beschäftigt ist. Der Rest des Personals freilich treibt es exzessiv. Der beleibte, wunderbar komödiantische Patrick Jones langt nicht nur ins Klo, sondern landet auch schon mal kopfüber darin, behält aber auch braun verschmiert noch einen Rest von Clownswürde. Dass bald darauf ein aufgeblasener Riesenphallus nach seinem spuckenden Bühneneinsatz ins Publikum abschwirrt, dass der halbnackte Fürst nach der vermeintlichen Katastrophe von der erkletterten Mitte des Zuschauerraumes aus nach seinen Untertanen ruft, dass literweise Theaterblut fließt und ein wenig kanibalisiert wird das versteht sich bei Bieito fast von selbst. Da wirkt es fast schon zahm, wenn die beiden Minister in ihrer Ratlosigkeit wie Angi und Guido daherkommen und aufeinander losgehen. Wenn sich aber Leandra Overmann als Domina Mescalina aus der Nonnenkluft pellt und ihren Astradamors in Nylons und Highheels (Jin Seok Lee) malträtiert dann ist das ist eines jener Overmann-Bieito Duette, die nachhaltig in Erinnerung bleiben. Zumal die sich mit physischer Wucht und Stimmgewalt exemplarisch in die Rolle wirft. Mescalina (Leandra Overmann) und Nekrotzar (Gabriel Urrutia)Musikalisch und sängerisch obwaltet ohnehin geradezu der Luxus. Das gilt für Jimmy Chiangs entfesselte Achterbahnfahrt mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg und den im ganzen Theater verteilten, fabelhaften Opernchor. Vor allem aber für die durchweg imponierenden Sängerdarsteller. Wobei da Gabriel Urrutia als diabolischer Showstar Nekrotzar und der halbseiden kettenbehangene Fürst Go-Go des fabelhaft stimmsicheren Counters Xavier Sabata herausragen. Übrigens wird dessen Einsatz in Freiburg durch die Mittel möglich, die über eine sogenannte Exzellence-Initiative, das auch dort klamme Budget aufbessert. Mit diesen zusätzlichen privaten Geldern, bei der die Kommune dann sozusagen als Ansporn und Belohnung noch einmal die Hälfte des Betrages drauflegt, kann sich ein längst herunter gespartes Haus mit B-Orchester eben, wie gegenwärtig einen Ring leisten und aufstrebende junge Sänger längerfristig in seine Ensemblearbeit einbeziehen. Für die laufende Spielzeit sind das immerhin noch einmal um öffentliche 100.000 aufgestockte 200.000 Euro. Immerhin wird durch diese spezielle Initiative, durch die nicht einfach der Kürzung öffentlicher Mittel durch private Gelder ersetzt werden, dem notorisch wütenden kommunalen Rotstift etwas Kreatives entgegengesetzt. Fürst Go-Go (Xavier Sabata) Musikalisch machen die Freiburger also mehr als bella figura. Dass Bieito mit seiner Groteske die schauspielerischen Urinstinkte seiner Darsteller entfesselt und sie zu einer Gaudi mit Hintersinn animiert hat, war nicht zu übersehen. Bieito hat mit seiner Truppe auf das Absurd-Groteske draufgesattelt und seinem Affen Zucker gegeben. Die größere Herausforderung wäre es, sich gerade hier dem höheren Blödsinn entgegenzustemmen. Dass der Rückgriff auf seine derb deftigen Mittel heute zudem nicht mehr provoziert, sondern eher als Marke konsumiert wird, gehört zum Preis, den auch er für seinen eigenen Erfolg zahlen muss.
Dem Theater in Freiburg ist ein musikalisch hochkarätiger Ausflug in die Moderne gelungen, die auch szenisch aufs Ganze geht. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Nekrotzar
Piet vom Fass
Clitoria
Spermando
Mescalina
Astradamors
Venus & Gepopo
Fürst Go-Go
Weisser Minister
Schwarzer Minister
Ruffiack
Schobiack
Das schwangere Mädchen
Das Mädchen mit dem Fahrrad
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